Herne. Der Herner nwb-Verlag feiert sein 75-jähriges Bestehen. Im Interview spricht Geschäftsführer Ludger Kleyboldt über das besondere Wir-Gefühl.
Der nwb-Verlag feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen. Geschäftsführer Ludger Kleyboldt erläutert im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann das besondere Wir-Gefühl und blickt in die Zukunft.
Herr Kleyboldt, zum runden Geburtstag vor fünf Jahren haben alle Mitarbeitenden einen Ausflug in die Niederlande unternommen. Was planen Sie diesmal vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie?
Wir werden auch diesmal einen Ausflug veranstalten. Wir hatten zu Beginn des Jahres überlegt, wie wir am 1. April ein Jubiläum feiern können und dann entschieden, dass es eher ein Jubiläumsjahr wird. Da wir es im April noch für zu unsicher gehalten haben, haben wir alle Aktivitäten in den Sommer verschoben und werden im August mit allen Kolleginnen und Kollegen, auch denen aus München und Köln, nach Berlin fahren. Am Standort Herne sind wir am 1. April mit einem kleinen Get Together aller Mitarbeitenden in das Jubiläumsjahr gestartet.
Das Wir-Gefühl wird bei nwb ja traditionell sehr großgeschrieben. Wie stark wurde es durch Corona in Mitleidenschaft gezogen?
Da gibt es ein gemischtes Bild. Grundsätzlich sind wir gut durch die Zeit gekommen, weil wir gut zusammenhalten. Da konnten und können wir gut drauf aufbauen. Aber wir müssen auch aufpassen, dass dieser Zusammenhalt nicht verloren geht. Bei Kolleginnen und Kollegen, die seit Monaten nicht im Haus waren und deren Videokontakt sich immer auf dieselben Menschen beschränkt, fallen die zufälligen Kontakte beim Kaffee weg. Davor haben wir Respekt. Deshalb gilt seit Ostern nicht mehr 100 Prozent mobil, sondern: Die Aufgabe bestimmt den Arbeitsort.
Hat das mobile Arbeiten auch die Produktivität beeinflusst?
Produktivität kann man bei uns nicht so richtig messen. Aber man kann die Produktivität an kreativen Neuentwicklungen ablesen. Viele Ideen entstehen im Zusammenwirken, wenn man Gedanken austauscht. Gefühlt sinkt die Zahl der neuen Ideen. Auch deshalb haben wir ein Interesse daran, dass wir wieder mehr zusammenkommen.
Schauen wir angesichts von 75 Jahren mal in die Historie. Wie sahen die ersten Produkte der Neuen Wirtschafts-Briefe aus?
Schon das erste Produkt war eher ein System. Ein Informationssystem sowohl über aktuelle Entwicklungen im Steuerrecht als Zeitschrift, die schon damals wöchentlich erschienen ist, und auch durch ein Ablagesystem, in dem man recherchieren konnte. Quasi eine Datenbank, aber damals natürlich noch aus Papier. Das sind auch heute noch die beiden Hauptanwendungsfelder.
Da muss die Datenbank angesichts der umfangreichen und komplizierten Steuergesetzgebung ja mächtig gewachsen sein.
Kompliziert war es auch schon vor 75 Jahren. Hinzu kommen die Entscheidungen der Politik. Jüngstes Beispiel: Wenn der Spritpreis steigt, wird überlegt, die Umsatzsteuer dafür abzusenken. Das greift aber in eine Vielzahl von Regelungen ein. Das bedeutet für uns natürlich, dass wir darüber berichten.
Welche Rolle spielt denn in dieser Hinsicht Corona?
Das hat zu einer völligen Auslastung der Steuerberater und Steuerberaterinnen geführt. Sei es Kurzarbeitergeld oder Anträge auf Zuschüsse aus den verschiedenen Hilfspaketen. Da kommen die Fachleute nicht hinterher. Viele bearbeiten noch das Jahr 2020. Und mit der Reform der Grundsteuer kommt schon das nächste große Thema. Das Wissen dazu verbreiten wir auf den verschiedenen Kanälen.
Angesichts von Apps und elektronischen Newslettern stellt sich die Frage, ob nwb noch wie zu den Anfängen Papier nutzt?
Wir nutzen noch Papier, aber es ist rückläufig. Die Zahl der Papiernutzenden sinkt einfach. Gerade mit mobilem Arbeiten am Bildschirm. Wir werden noch digitaler als wir es ohnehin schon waren.
Suchen Sie angesichts der Fülle an Themen weitere Mitarbeitende?
Wir wachsen sowohl angesichts der Themenvielfalt, aber auch durch die Anforderungen der Digitalisierung. Wir suchen weiter gute Mitarbeitende.
Finden Sie denn auch welche?
Das ist nicht leicht und manchmal müssen wir uns auch eingestehen, dass der Wunsch nach einer eierlegenden Wollmilchsau, die sich auch noch mit einem geringen Gehalt zufriedengibt, nicht in Erfüllung gehen kann. Aber im Ruhrgebiet haben wir eigentlich noch ganz gute Karten. Hier gibt es sehr viele junge Menschen, die gut ausgebildet sind. Wir haben an unserem Standort bessere Chancen als wir in Berlin, Hamburg, Köln oder München hätten. Auch weil wir uns hier wohl fühlen und eine gewisse Bekanntheit haben.
Spielt bei der Suche auch wieder das Wir-Gefühl eine Rolle?
Sicher. Die Bewerberinnen und Bewerber, mit denen wir ins Gespräch kommen, sagen uns alle, dass es immer wichtiger wird, ob ein Arbeitgeber sich um seine Mitarbeitenden kümmert und vielleicht auch nachhaltig agiert. Und diese Dinge machen wir ja eigentlich immer schon aus eigenem Antrieb. Uns ist natürlich auch wichtig, dass diese Kultur nach außen bekannt gemacht wird, zum Beispiel, um attraktiv für neue Mitarbeitende zu sein. Unsere 100 Prozent Weiterempfehlungsrate bei der Arbeitgeberbewertungsplattform kununu ist dafür ein schönes Zeichen.
75 Jahre sind ein Anlass zurückzuschauen, aber auch nach vorne. Wie soll sich der nwb Verlag in Zukunft entwickeln?
Wir haben uns gerade vom nwb-Verlag zur nwb-Gruppe entwickelt. Wir haben festgestellt, dass beim Thema Digitalisierung viele Verlage nicht ganz so weit sind und es auch gar nicht schaffen können, weil sie die Mittel dazu nicht haben. Da wir in diesem Bereich gut unterwegs sind, können andere Verlage Dienstleistungen in diesem Bereich bei uns einkaufen. Die erste Resonanz von anderen Verlagen ist sehr positiv.
Sie haben vorhin betont, wie wohl sich nwb in Herne fühlt. Wie sehen Sie die Entwicklung gerade auch in Ihrem direkten Umfeld mit dem Funkenberg-Quartier, den Plänen bei Knipping-Dorn und der neuen Polizeiwache an der Cranger Straße?
Wir glauben, dass es jetzt eine große Chance gibt, dieses Quartier zu entwickeln. Wir schauen seit 30 Jahren auf die Brachen, die nur noch mehr verrosten. Wir freuen uns, wenn das gelingt, diese Fläche zu entwickeln und unseren Heimatstandort weiter zu stärken.
>>> BILDBAND „HERNER BILDER“ FÜR EINEN GUTEN ZWECK
„Wir fühlen uns Herne sehr verbunden und möchten unserem Heimatstandort etwas zurückgeben“, so Ludger Kleyboldt. Gemeinsam mit dem Architekten und Fotografen Maximilian Meisse habe man die schöne Stadt im vermeintlich so grauen Ruhrpott ins rechte Licht gerückt.
Im Bildband „Herne Bilder“ sei die authentische, architektonische Schönheit der Stadt eingefangen worden. Sämtliche Einnahmen aus dem Verkauf des Bandes flössen in ein vom nwb-Verlag initiiertes soziales Projekt zur Unterstützung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen in Herne. Die Teilnehmenden des Projektes würden von freiwilligen Mitarbeitenden des nwb-Verlags langfristig persönlich begleitet, um sie auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten.
>>> GEGRÜNDET IN WOHNRÄUMEN
■ Der Verlag Neue Wirtschafts-Briefe - dafür steht die Abkürzung nwb - wird 1947 im Elternhaus von Friedrich Wilhelm Schlenkhoff an der Bahnhofstraße 126 gegründet. Bis 1949 arbeitete man in zwei bis drei Wohnräumen. 1948 zählt nwb rund 8500 Leser.
■ 1997 bis 2000 wird der Altbau saniert. 2002 tritt Ludger Kleyboldt dem Verlag bei, Ernst Otte Kleyboldt verabschiedet sich 2006 in den Ruhestand. Sohn Ludger übernimmt in dritter Generation die Geschäftsführung des Neue Wirtschafts-Briefe Verlags.