Herne. Die Cranger Kirmes wäre an diesem Freitag gestartet. Wegen Corona fällt sie aus. Als Trostpflaster zeigt die Stadt eine virtuelle Ausstellung.
An diesem Freitag, 6. August, wäre die 537. Cranger Kirmes mit einem Fassanstich von Oberbürgermeister Frank Dudda offiziell eröffnet worden – gäbe es keine Corona-Pandemie. Zum zweiten Mal hintereinander wurde der Rummel wegen Corona abgesagt. Das Stadtarchiv in Herne will den Kirmesfans trotzdem ein wenig Cranger-Kirmes-Jahrmarktsgefühl bescheren – und präsentiert zum ursprünglichen Kirmesstart eine virtuelle Ausstellung zur Geschichte des größten Volksfestes in Nordrhein-Westfalen.
„Kirchenpatrone, Pferde und Volksbelustigungen – Die Geschichte der Cranger Kirmes“: So heißt die Online-Ausstellung, die Stadtarchivar Jürgen Hagen und die Archiv-Fachangestellte Alina Gränitz kuratiert haben. Dabei werden 200 Objekte auf 51 Seiten, davon 22 Galerie-Seiten, gezeigt. Zu den Objekten zählen Urkunden, Aktenschriftstücke, Karten, Presseberichte, Festschriften, Programme oder Plakate. Und: ganz viele Bilder aus dem Fundus des Stadtarchivs sowie von den Herner und Wanne-Eickeler Fotografen, darunter auch die mittlerweile verstorbenen Gerd Biedermann,Winfried Labus und Wolfgang Quickels, „die mit dieser Ausstellung eine Würdigung erfahren“, so Hagen.
Cranger Kirmes: Wandel der Kirmes von einem Dorffest zu einer Massenveranstaltung
Die beiden Ausstellungsmacher spannen einen weiten Bogen. Gleich zu Beginn thematisieren Hagen und Gränitz ausführlich die Frage nach dem Ursprung der Cranger Kirmes – „ein weites Thesenfeld“, meint Stadtarchivar Hagen. In diesem Zusammenhang räumt das Duo einen Mythos, der sich bis heute hartnäckig halte, ab. Mehr wollen sie noch nicht verraten. Außerdem werfen die Ausstellungsmacher einen Blick auf die Entwicklung des Schaustellergewerbes und, damit einhergehend, den Wandel der Kirmes von einem Dorffest zu einer Massenveranstaltung. Alles, was den Rummel heute ausmache, werde historisch beleuchtet: „Aufbau, Festumzüge, Eröffnungen, Fahrgeschäfte, Feuerwerke und Sonderveranstaltungen“, sagt Gränitz.
Auch interessant
Auch Anekdoten halte die Schau bereit, wie etwa die Geschichte um das erste Fahrgeschäft eines geschäftstüchtigen Crangers, das sich als ein, neudeutsch gesprochen, „Fake“ erwiesen haben. Oder: die Begebenheit, wie ein gewisser Alfred Nobel der erste Feuerwerker auf Crange geworden sei. Auch die aus heutiger Sicht skurril anmutenden Jugendschutzbestimmungen rund um die Raupenbahnen und anderen Musikfahrgeschäfte hätten Eingang gefunden. Ebenso werde die Frage beantwortet, warum der Jahrmarkt von Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre hinein auch „Hechtkirmes“ genannt worden sei.
Ideologische und propagandistische Vereinnahmung des Rummels durch die Nazis
Die dunklen Seiten der Cranger Kirmes wollen die beiden Ausstellungsmacher nicht aussparen, darunter die ideologische und propagandistische Vereinnahmung des Rummels durch die Nazis oder das „Verschwinden“ der Sinti und Roma, die vor ihrer Verfolgung und Vernichtung mit ihrer Anwesenheit der Arbeiterstadt Wanne-Eickel für kurze Zeit einen Hauch von Exotik, Freiheit, Weltoffenheit und Abenteuertum verliehen hätten. Darüber, so Hagen, habe die Lokalpresse regelmäßig berichtet – und das sei 1948 scheinheilig mit dem „Fehlen der Pußtasöhne“ bedauert worden.
Kirmeswerbung und Kirmesabsagen seien weitere Themen, die in Augenschein genommen worden seien. Bei „Kirchenpatrone, Pferde und Volksbelustigungen“ stünden – ganz wie beim realen Rummel – die Menschen im Mittelpunkt. Aufnahmen aus den 1930er, 1980er und 2000er Jahren machten deutlich, dass Crange immer eins war: eine Familienkirmes.
Breite Unterstützung von lokalen Playern
Erfreut habe die Kuratoren die breite Unterstützung von lokalen Playern für ihre Ausstellung, angefangen bei Wolfgang Berke über Annette Krus-Bonazza und Ralf Piorr, bis hin zu Edda Reffelmann vom Fachbereich Vermessung und Kataster, sagen sie. Mit Reffelmann habe das Stadtarchiv schon einige analoge Ausstellungen „produziert“. Eine Veröffentlichung der Bilder der verstorbenen Fotografen sei durch die Rechteinhaberinnen Martina Biedermann, Barbara Schultz-Labus und Carola Quickels ermöglicht worden.
So zufrieden Alina Gränitz und Jürgen Hagen mit ihrer virtuellen Ausstellung auch sind: Sie hofften, dass es im nächsten Jahr wieder heißt: „Piel op no Crange!“, betonen sie.
Hier geht’s zur virtuellen Ausstellung: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/cranger-kirmes/