Herne. Hat die Coronakrise die Zahl der Leerstände in der Herner Innenstadt ansteigen lassen? Die WAZ hat mit Experten auf den Leerstand geschaut.
Das ist eine weit verbreitete Furcht vor den Folgen der Corona-Pandemie: reihenweise leere Ladenlokale in den Innenstädten. Die WAZ hat nachgeschaut, wo sich im Herner Einzelhandel Lücken auftun. Sie ist mit Experten einmal die Bahnhofstraße vom City-Center zur Bahnhofsunterführung spaziert. Das Fazit der Experten: Die Zahl der Leerstände ist keinesfalls unnormal hoch. Deshalb sind sie zuversichtlich, dass die Herner City die Krise gut überstehen wird.
„Als ich in der Innenstadt angekommen bin, habe ich gesehen, dass es auf der Bahnhofstraße eine gute Kundenfrequenz gibt“, sagt Gisbert Schneider. Seine Aussage hat Gewicht. Schneider kennt zahllose Innenstädte in Deutschland. Seit 2012 analysiert er mit seinem Unternehmen „Schneider + Straten“, wer als Mieter für welche Ladenlokale in welcher Lage in Frage kommen. Schneider hat sich einen Überblick über die Zahl der Herner Leerstände gemacht, auf seinem Plan sind sie gelb markiert. So viel Gelb taucht gar nicht auf. Kein Dutzend Ladenlokale wartet auf einen Mieter. „Wir sind weit von einem Horrorszenario entfernt, das für die Zeit nach Corona skizziert worden ist“, so Schneider. Herne stehe auch deshalb gut da, weil es hier keine Übertreibungen bei den Mietpreisen gegeben habe wie in anderen Städten.
Fehlende Barrierefreiheit ist ein Vermietungshindernis
Auch in anderer Hinsicht ist Herne einer anderen Entwicklung voraus, wie Holger Stoye, Chef der Herner Wirtschaftsförderung, am Startpunkt des Spaziergangs erklärt: Schon vor der Pandemie habe Einzelhandel in Ober- und Untergeschossen nicht mehr „gezogen“. Deshalb sei es nur richtig, dass der Besitzer des City-Centers ganze Ladenlokale abgebaut habe und Dienstleistungen im Obergeschoss untergebracht habe.
Einige Meter weiter sehen die Experten allerdings einen Leerstand, der „weh tue“. Bahnhofstraße 18, dort war unter anderem die Boutique Flash. Dabei ist die Lage sehr gut, das Haus steht ziemlich in der Mitte des funktionierenden Teils der Bahnhofstraße. Schneider erkennt auf den ersten Blick den dicken Minuspunkt: Treppen. Wer ins Geschäft will, muss Stufen steigen. Zwar nur zwei, doch für Filialisten sei dies schon so etwas wie ein K.o.-Kriterium. Es gebe Berechnungen, wonach jede Stufe zehn Prozent Kundenfrequenz koste.
Einige Meter weiter kommt das ehemalige Ladenlokal von Wäschemoden Hirsch in den Blick. Dazu muss man wissen, dass das Ehepaar das Geschäft aus Altersgründen aufgegeben hat, nicht etwa, weil es nicht mehr lief. Der Hauseigentümer hat qualitätsvoll renoviert und gibt sich nach WAZ-Informationen Zeit, um einen ebenso qualitätsvollen Mieter zu finden.
Filialisten sind sehr zurückhaltend, weil sie von Unsicherheit geprägt sind
Wie lange die Suche dauern werde, sei schwer zu sagen, so Schneider. Die Filialisten seien von einer großen Unsicherheit geprägt, was sie sehr verhalten agieren lasse. Doch Stoye sieht Chancen für Herne: „Egal, mit welchem professionellen Marktteilnehmer wir sprechen, alle haben Interesse an der Stadt, aber zurzeit sind sie sehr zurückhaltend.“
In Ruhe abwarten - das gilt auch für die Besitzer der Häuser, in denen H&M und Reno Mieter waren. Auch in diesen beiden Fällen lagen die Gründe für den Rückzug nicht im schlecht laufenden Geschäft. Heinz Hasenkamp nutzt die Wartezeit, um in den Schaufenstern auf sein eigenes Unternehmen aufmerksam zu machen. Die Lage für diese beiden Ladenlokale sei ausgezeichnet, so Schneider. Durch den Parkplatz vor dem Rathaus und die Haltestellen an der Bebelstraße kämen sehr viele Kunden in diesem Bereich vorbei.
Interessant ist die Betrachtung des Ladenlokals in der Stadt-Galerie am Robert-Brauner-Platz. Dort war das Baubüro für die Neuen Höfe untergebracht: Für Gisbert Schneider hat es nur eine 1B-Lage, unter anderem, weil ihm zum Platz hin Schaufensterfläche fehlt. Die Frage der Warenpräsentation spiele bei Vermietungen eine wichtige Rolle. Das Ladenlokal könne sich aber zum 1A-Standort entwickeln - wenn die Gastronomie und der Einzelhandel in den Neuen Höfen eröffnet habe.
Leerstände können auch mit dem Handeln der Vermieter zusammenhängen
Nun richtet sich der Blick auf den Abschnitt, der allgemein als „schwierig“ bezeichnet wird: die rund 200 Meter Richtung Bahnhof. Im Verhältnis zu den anderen Abschnitten gibt es dort den meisten Leerstand. Allerdings ist das Bild vielschichtig: Der Euroshop renoviert - ein klares Zeichen, dass der Standort für das Unternehmen funktioniert. Mit Reiter Fashion und Tara M ist ein hochwertiges Modeangebot vorhanden. Ins ehemalige Gebers-Ladenlokal an der Ecke zur Vinckestraße ist Flash eingezogen - also dort ein Leerstand weniger. Das Gebäude, wo die „Lange Theke“ war, wird renoviert, der Eigentümer sucht nach Mietern.
Doch es gibt auch solche Fälle: Wer sich an die McDonalds-Filiale an der Hausnummer 82a erinnern kann: Man kann nach all den Jahren noch immer das Originalmobiliar erkennen. Das legt die Vermutung nahe, dass der Eifer, einen neuen Mieter zu finden, übersichtlich ausgeprägt ist. Generell haben Schneider und Stoye die Erfahrung gemacht, dass es manchmal nicht am mangelnden Interesse liegt, dass ein Leerstand hartnäckig ist, sondern am Eigentümer.
>>> WIE HERNE DAS LANDESPROGRAMM NUTZT
Die Stadt Herne nutzt das Sofortprogramm des Landes NRW, mit dem die Innenstädte gestärkt werden sollen, die Förderanträge in einer Gesamthöhe von rund 300.000 Euro seien genehmigt worden, so Stoye. Für Wanne setze man eher auf das Konzept von Pop-Up-Stores, in die für eine befristete Zeit zum Beispiel Kreative einziehen können. In Herne will man anders vorgehen. Dort soll mit Hilfe externer Beratung der Besatz des Einzelhandels erhoben werden, um so den Leerstand weiter zu bekämpfen.
In einem anderen Schritt will die WFG auch schauen, wie es um den Einzelhandel in den Seitenstraßen der Bahnhofstraße bestellt ist. In den kommenden Wochen soll eine Bestandsaufnahme stattfinden.
Die Krise und Wanne-Mitte: Nach den Worten von Gisbert Schneider hat auch die Hauptstraße die Krise gut überstanden. Die Zahl der Leerstände zwischen Buschmannshof und Parkstraße sei sogar gesunken.