Herne. Der Herner Till Beckmann ist kurz nach seinem Start als Leiter eines Dortmunder Theaters rausgeschmissen worden. Wie es zu dem Eklat kam.
Im Februar haben der Herner Till Beckmann und Cindy Jänicke die Leitung des traditionsreichen Dortmunder Theaters „Fletch Bizzel“ übernommen und viel Beifall für ihre ambitionierten Pläne erhalten. Der Stand nur vier Monate später: Stopp einer Ausstellung des Herner Vereins Pottporus im Fletch aufgrund des vom Vermieter erhobenen Vorwurfs der Sachbeschädigung, fristlose Kündigung des Leiter-Duos durch den Trägerverein des freien Theaters, Termine am Arbeitsgericht und Solidaritätserklärungen für Beckmann & Jänicke aus der Kulturszene. Das deutlichste Zeichen setzte dabei Schauspielerin Maja Beckmann.
„Hiermit gebe ich den mir 2010 verliehenen Tana-Schanzara-Preis mit sofortiger Wirkung zurück. Ich möchte keinen Preis annehmen von einem Veranstalter (Horst Hanke-Lindemann), der seine Mitarbeitenden mit fadenscheinigen und diffamierenden Gründen fristlos kündigt“, erklärt die Schwester von Till Beckmann, die zurzeit am Schauspielhaus Zürich engagiert ist. Hintergrund: Hanke-Lindemann, Vorsitzender des Fletch-Trägervereins und damit der Verantwortliche für den Rauswurf, hat den Tana-Schanzara-Preis einst ins Leben gerufen. Der Trägerverein habe ein Gebäude über die Kunst gestellt und mit dem Einknicken gegenüber dem Eigentümer ein „moralisches Rückgrat aus Wackelpudding“ bewiesen, so Maja Beckmann weiter.
Noch vor der ersten Vorstellung mit Publikum auf die Straße gesetzt
„Fadenscheinige Gründe“, „Einknicken“ – was hinter diesen Vorwürfen steckt, lässt sich zurzeit nur durch eine Annäherung an diesen wohl einmaligen Vorgang in der freien Kulturszene darstellen. Denn: Das Duo, das noch vor der ersten Vorstellung mit Publikum auf die Straße gesetzt worden ist, hat gegen die Kündigung geklagt. Cindy Jänicke hatte gerade ihren ersten Termin am Arbeitsgericht Dortmund, für Till Beckmann steht dieser am 24. Juni an. Mit Rücksicht auf die rechtliche Auseinandersetzung halten sich die Beteiligten weitgehend bedeckt. Durch (bisherige) Beiträge in Medien, Stellungnahmen und Protestnoten eröffnet sich Außenstehenden jedoch sehr wohl ein recht klares Bild.
Um die Tragweite dieser Auseinandersetzung zu erfassen, muss man die Uhr noch einmal zurückdrehen. Dortmund, 28. Januar. „Das Fletch wird mit einer außerordentlich hohen Qualität weitergeführt. Mit Cindy Jänicke und Till Beckmann kommt eine gute Ballung an Kompetenz nach Dortmund.“ So zitieren die Ruhr Nachrichten Horst Hanke-Lindemann nach der öffentlichen Vorstellung der neuen Leitung. Es ist ein Generationswechsel: Hanke-Lindemann lenkte mehr als 35 Jahre die Geschicke der Kultureinrichtung. Komplett zurückziehen wollte er sich aber nicht, sondern von ihm entwickelte Formate wie die Reihe „Ruhrhochdeutsch“ auch in Zukunft im Fletch realisieren. Der populäre „Geierabend“ soll dort ebenfalls weiter stattfinden.
Ein Stück über den „Ölkönig von Wanne“
Einen großen Strauß frischer Ideen präsentieren Beckmann und Jänicke zum schwierigen Start mitten im Lockdown. Die „Spielkinder“, das Ensemble der Herner Geschwister Till, Maja, Lina und Nils Beckmann mit Charly Hübner (Polizeiruf), sollen im Fletch auftreten. Das Haus soll sich internationalen Künstlern und neuen Netzwerken öffnen. Theater für ein junges Publikum und Tanz werden als weitere Schwerpunkte genannt. Und auch die spektakuläre Geschichte von Erhard Goldbach, dem „Ölkönig von Wanne“ (Till Beckmann), soll auf die Bühne gebracht werden.
Als eines der ersten Projekte wird die Ausstellung „Urban Discoveries“ des Herner Vereins Pottporus mit Installationen und Graffiti umgesetzt. Zur Eröffnung am 17. April kommt es aber gar nicht erst. Der Eklat im Zeitraffer: Jochen Niemeyer, Eigentümer des Gebäudes, interveniert gegen ein Wand-Kunstwerk und das Besprühen einer Feuerschutztür, spricht von Sachbeschädigung. Pottporus berichtet von Beleidigungen und massiven Eingriffen, bricht das Projekt ab und entfernt die Kunst auf Verlangen des Eigentümers.
Zekai Fenerci (Pottporus) ist fassungslos und wirft Niemeyer vor, dass dieser ihm nicht genehme Kunst verhindern wolle. Der Eigentümer beteuert, dass es allein um Sicherheitsaspekte gegangen sei. Aussagen Niemeyers gegenüber dem Dortmunder Internet-Portal „Nordstadtblogger“ („Mit Theater hat das ja nichts mehr zu tun“) legen jedoch einen anderen Schluss nahe.
Vereinsvorsitzender: Wir machen alles richtig
Während sich Till Beckmann hinter das Pottporus-Konzept stellt, gibt es von Horst Hanke-Lindemann zunächst weniger eindeutige Aussagen. Was letztlich zur fristlosen Kündigung führte, ob diese rechtens ist und welche Rolle dabei der Vermieter spielte, muss nun das Arbeitsgericht klären. Im Fletch hat Hanke-Lindemann das Ruder vorerst wieder übernommen und kündigte gegenüber den Ruhr Nachrichten ein Herbstprogramm an, dass in eine „nicht ganz so progressive Richtung“ gehe. Und auch das sagte er: „Ich glaube, wir machen alles richtig.“
Diese Ansicht teilen nicht alle: Die Auseinandersetzung löst in der Kulturszene Entrüstung aus. Musiker Tommy Finke, unter Kay Voges musikalischer Leiter am Dortmunder Schauspiel, spricht in einem offenen Brief von einer „Zerstörung einer Kunstausstellung“ und sagt einen im Fletch geplanten Songwriting-Workshop „vorsorglich“ ab. Begründung: Er könne nicht garantieren, dass es zur Erschaffung von Kunst komme, die dem Vermieter sauer aufstoßen würde. David Schraven, Chef des unabhängigen Recherchezentrums „Correctiv“, sieht hier gar den „größten Kulturskandal von NRW“.
Offener Brief an den Kulturdezernenten
Der Regisseur Adolf Winkelmann („Junges Licht“, „Jede Menge Kohle“), die Journalistin Sabine Brandi - beide arbeiteten schon mit Till Beckmann - und zwei weitere Unterzeichner stellen in einem offenen Brief kritische Fragen. Sie fordern Dortmunds Kulturdezernenten Jörg Stüdemann angesichts der Bedeutung des (öffentlich geförderten) Hauses für die Kulturszene zu einer Stellungnahme auf. In seiner Antwort bedauert der Dezernent die Eskalation im Fletch Bizzel. Er bekundet in seinem Brief nicht nur hohe Wertschätzung für „eines der ältesten und erfahrensten freien Theater in Deutschland“, sondern ausdrücklich auch für die jungen Theatermacher Beckmann und Jänicke.
„Alle Versuche von uns moderierend und deeskalierend auf den Prozess und seine Beteiligten einzuwirken, haben leider nicht gefruchtet“, so Stüdemann. Mehr könne die Stadt Dortmund in diesem laufenden Verfahren nicht tun. Einen Appell richtet er aber sehr wohl an die beiden Seiten: Es wäre ein gutes Zeichen, „wenn die Konfliktparteien außerhalb eines gerichtlichen Streits zu einem Kompromiss finden könnten“.
Preisgeld wird gespendet
In ihrer Erklärung zur Rückgabe des Preises schreibt Maja Beckmann: „Tana Schanzara, die ich gut gekannt habe, war in allem das Gegenteil von dem, wie sich das Theater Fletch Bizzel in diesem Skandal öffentlich zeigt. Es tut mir leid für Tana, für Dortmund und für die (freie) Theaterszene im Ruhrgebiet.“
Das Preisgeld von 3000 Euro will die Schauspielerin an verschiedene soziale Einrichtungen im mittleren Ruhrgebiet spenden. Bedacht werden soll wohl auch das Tierheim Herne Wanne, dem Tana Schanzara als große Tierfreundin verbunden war.
Till Beckmann („das alles belastet mich sehr“) will sich mit Blick auf den anstehenden Gerichtstermin über Details nicht äußern. Das Kapitel Fletch will er aber noch lange nicht begraben: „Ich hoffe, dass wir unser künstlerisches Konzept nach wie vor umsetzen können. Dafür hat uns der Trägerverein eingestellt“, sagt er zur WAZ - und arbeitet weiter an geplanten Projekten. So wird er sich in Kürze mit dem Herner Historiker Ralf Piorr und Regisseur Adolf Winkelmann treffen, um über die Realisierung des Stückes über Erhard Goldbach zu sprechen.