Essen. Adolf Winkelmann schuf mehr als nur Kult-Filme aus dem Ruhrgebiet: Am 10. April vollendet der Dortmunder Regisseur sein 75. Lebensjahr

„Wenn einer aus dem Kino kommt und sagt: schöne Bilder!, dann meint er: schlechter Film“, sagt Adolf Winkelmann in seinem schönen neuen Interview-Buch „Die Bilder, der Boschmann und ich“. Und auf die Frage, was denn einer sagt, der den Film großartig fand: „Der sagt gar nichts.“

Adolf Winkelmann, der am morgigen Samstag vor 75 Jahren im sauerländischen Hallenberg zur Welt kam, ist längst der Ruhgebietsregisseur schlechthin. Aber er ist viel mehr als das, wie die Republik spätestens mit seinem kinoreifen, juristisch hart umkämpften Fernseh-Zweiteiler „Contergan“ von 2007 erfuhr. Im Gegensatz zu seinem ein Jahr älteren Kollegen Wim Wenders wusste Winkelmann schon mit 13, dass er Filmemacher werden wollte. Da hatte ihm sein Vater, ein durchsetzungsfähiger Lkw-Fahrer (der Pastor weigerte sich, seinen erstgeborenen Sohn 1946 auf Adolf zu taufen, aber diese Familie von westfälischen Dickköpfen handhabte das seit sieben Generationen so), eine Doppel-8-Kamera geschenkt.

In Kassel drehte Adolf Winkelmann noch Experimentalfilme

Als der in Dortmund aufgewachsene Adolf Winkelmann 1967 mit dem Studium begann, gab’s noch keine Filmhochschule, da nahm er Kunst in Kassel, und wenn er nach Dortmund zurückfuhr, ging er gleich an die nächstbeste Trinkhalle und kaufte was, nur um wieder Ruhrdeutsch zu hören. Der standpunktfeste, humorfreudige Winkelmann ist ein leidenschaftlicher, aber auch zutiefst kritischer, höchst reflektierter Liebhaber des Ruhrgebiets, der es versteht, an dessen Widerständen zu wachsen, ja Filmkunst aus ihnen zu machen. „Wir haben Erfahrungen,“ sagte er uns vor fünf Jahren, „die anderen noch bevorstehen; hier zu leben eröffnet den Blick in die Zukunft.“

In Kassel drehte Winkelmann seine ersten Experimentalfilme, vor allem weil er, und das blieb bis heute so, den Film in allen technischen, optischen und psychologischen Details verstehen wollte. Dieser unermüdliche Wissensdrang kam zahllosen Studierenden zugute, die Winkelmann ab 1975 über vier Jahrzehnte hinweg als Filmdesign-Professor an der Dortmunder Fachhochschule erlebten. „Wir waren doch die ‘68er!“, sagt er, wenn man ihn fragt, wie er denn fast ohne Praxiserfahrung so kühn sein konnte, eine solche Professur anzutreten. Zumal er das Regieführen nur von den Proben im Staatstheater Kassel kannte, für das er schon früh bewegte Bühnenbilder schuf.

„Es kommt der Tag, da will die Säge sägen“

Der erste Klassiker seiner Revierfilme folgte 1978, „Die Abfahrer“ schlugen aus dem Niedergang von Kohle und Stahl, aus dem ruppig-anarchischen Habitus von Revier-Jugendlichen einen (Aber-)Witz voller Skurrilität und Situationskomik, wie ihn sonst wohl nur britische Komödien erreichen. Dabei war der Film in seiner Fernweh-Grundierung auch noch zutiefst romantisch. Auch den Nachfolger „Jede Menge Kohle“ (1981) um Bergmann Katlewski mit dem legendären Satz „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen“ drehte Winkelmann als ersten Film weltweit im Originalton mit Dolby Stereo. Und mit dem Laiendarsteller Detlev „Delle“ Quandt in der Hauptrolle, der nach dem Film für immer auf den Kanaren verschwand.

Adolf Winkelmann und Oscar Brose beim Fototermin am Set des Kinofilms „Junges Licht“ im Studio 35 der MMC Studios. Köln, 2015
Adolf Winkelmann und Oscar Brose beim Fototermin am Set des Kinofilms „Junges Licht“ im Studio 35 der MMC Studios. Köln, 2015 © picture alliance / Geisler-Fotopress | Uta Konopka/Geisler-Fotopress

Für den dritten Teil seiner Revier-Trilogie adaptierte Winkelmann ein Jugendbuch des Gelsenkirchener Autors Michael Klaus, um mit „Nordkurve“ (1993) den einzig möglichen Fußballfilm zu drehen, nämlich einen, der jenseits des Platzes spielt, weil dessen Dramen sonst alles in den Schatten stellen würden. Winkelmann, der immer eine Hand für gute Schauspieler hatte, verfilmte dann viel später Ralf Rothmanns Roman „Junges Licht“ (2016) als eine Art Vorgeschichte der Ruhrgebiets-Trilogie mit Charly Hübner und Lina Beckmann. Dazwischen lagen wenige Flops (der Apokalypso-Slapstick „Super“ mit Udo Lindenberg und der jungen Renan Demirkan etwa) und gekonnte Blödeleien wie „Peng! Du bist tot!“ mit Ingolf Lück oder „Waschen, schneiden, legen“ mit Guildo Horn.

Die „Fliegenden Bilder“

Und doch ist Winkelmanns Opus Magnum ein anderes: Die „Fliegenden Bilder“, die den Dortmunder U-Turm krönen, sind so etwas wie die Summe seines filmischen Schaffens, weil schon die Konstruktion der Träger-Leuchtdioden in schwindelnder Höhe wieder ein Akt des technischen Fortschritts darstellt, wie er für Winkelmann stets prägend war. Im neuen Interview-Buch erzählt der Regisseur, wie der damalige NRW-Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff ihn bat, etwas zu entwickeln, das dem teuer sanierten Brauereiturm ein Gesicht geben könnte, um ihn zu einem Leuchtturm für die Kulturhauptstadt zu machen. Winkelmann wollte in filmischer Form Tauben auf den Turm setzen – ein Denkmal für die Tauben, die sein Vater früher im Viertel unterm Turm abgeschossen hat. Und er wollte dort etwas noch nie Dagewesenes schaffen. Genau das bildet in seinen Augen immer die Kern-Idee für einen guten Film – und auch dazu kann man ihm nur gratulieren.