Herne. Warum Michelle Müntefering bei den Wahlen in der Herner SPD knapp einer Blamage entging und sich eine Ausschusssitzung zum Tribunal entwickelte.
Gleich zwei Déjà-vus hat es in dieser Woche bei der Wahl des Herner SPD-Vorstands gegeben. Zum einen: Genau wie 2018 versagte jeder dritte Delegierte der Bundestagsabgeordneten und Staatsministerin Michelle Müntefering bei der Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden Unterstützung und Stimme. Unterm Strich nur 67 Prozent standen folglich für die 40-Jährige zu Buche.
Das zweite Mal wiederholte sich Geschichte bei der Wahl von zwei Delegierten für SPD-Bundesparteitage. Wer könnte besser für dieses Amt geeignet sein als eine Bundestagsabgeordnete? Parteichef Alexander Vogt und Vize Hendrik Bollmann, entschied die Mehrheit der Genossen und gab diesem Duo den Vorzug gegenüber Müntefering - so wie beim Wahlparteitag 2016. Wegen der Quotierung erhielt die Abgeordnete eine zweite Chance und nutzte diese wie schon vor fünf Jahren: In der Stichwahl setzte sie sich am Freitag allerdings nur knapp mit 61 zu 54 Stimmen gegen Ratsfrau Theres Boneberger (36) durch und darf somit die Herner SPD bei Bundesparteitagen vertreten.
Was lehrt uns das? Müntefering bleibt in ihrem Unterbezirk trotz (wegen?) ihrer rasanten Karriere im Bund umstritten. Zugespitzt könnte man es aus Sicht von Kritikern an der Basis so formulieren: Was haben Herne und die örtliche SPD davon, wenn sich Michelle Müntefering in Berlin fürs Auswärtige Amt mit der Rückgabe kolonialer Raubkunst befasst? Dass sie erst jüngst noch mit knapp 90 Prozent erneut für den Bundestag nominiert worden ist, spricht vielleicht weniger für sie als für die Disziplin einiger Genossen. Eine Lesart: Sie wollten die einzige Kandidatin nicht mit einem schwachen Ergebnis gegen die politische Konkurrenz ins Rennen schicken.
Landes-Chef der SPD-Unternehmer fällt durch
Nicht nur das Abschneiden Münteferings ließ aufhorchen. In der ersten Runde der Beisitzerwahl fielen überraschend die bisherigen Vorstandsmitglieder Benny Grabowski und Carsten Bielefeld durch. Grabowski ist Juso-Chef und steht somit auch für den Parteinachwuchs. Und Bielefeld führt in NRW als Vorsitzender die SPD-Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen (AGS). Immerhin: In Runde zwei der Wahl gelang Grabowski noch der Sprung in den Vorstand; Bielefeld scheiterte dagegen klar.
Scholz und die Wahrheit
„Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz“ lautete am Mittwoch Tagesordnungspunkt 9 im Umweltausschuss, in dem es um die Pläne des Chemiewerks Ineos zur Ausweitung der Produktion von Desinfektionsmitteln am Standort Herne-Mitte ging. Angesichts des Diskussionsverlaufs wäre zusätzlich der Untertitel „Tribunal gegen Klaudia Scholz“ passend gewesen. Denn: SPD, CDU und Verwaltung schossen sich auf die Linke-Stadtverordnete ein.
Auslöser war die Kritik der 66-jährigen an der Errichtung dieser Anlage „im Herzen einer der dicht besiedeltsten Städte Deutschlands“. Ineos und andere „gefährliche Chemie-Riesen“ in Herne würden so lange erweitert und aufgepumpt, bis eines Tages „der Ballon platzt“, so Scholz. Im Ausschuss platzte zwar kein Ballon, aber es gab einen Riss - und zwar den des Geduldsfadens von Rot-Schwarz und Vertretern der Stadt. „Falschaussagen“, „abenteuerlich“, „Unwahrheiten“ und „hysterisch“ - mit solchen Vorwürfen, aber auch einigen stichhaltigen Argumenten gegen konkrete Vorwürfe sah sich die Linke-Ratsfrau konfrontiert. Zum pauschalen Vorwurf, Scholz hetze die Bevölkerung auf, bleibt allerdings festzuhalten, dass die Gründungen der mittlerweile in breiten Kreisen der Herner Politik anerkannten Bürgerinitiativen Uns stinkt’s (Zentraldeponie) und Dicke Luft (Suez) nicht zuletzt auf den Anstoß durch Klaudia Scholz zurückzuführen sind.
Holzgabeln und Honig
Die Leerstellen der Woche, erstens: Fußball. Die türkische Partnergemeinde Besiktas feierte am Dienstag in Istanbul nach dem Gewinn der Meisterschaft auch noch den Sieg im Pokal, die Anhänger waren außer Rand und Band. An Herne ging das offenbar fast spurlos vorbei. Auf der Facebook-Seite von OB Frank Dudda fand sich am Tag des Besiktas-Triumphs ein Post mit einem Foto von Holzgabeln und dazu ein Bericht über Nachhaltigkeit in der Stadt. Mehr muss man über den aktuellen Stand der offiziellen Partnerschaftsbeziehungen eigentlich nicht wissen.
Zweitens: FDP. Der Herner Landtagsabgeordnete und Medienexperte Thomas Nückel hat ein großes Sendungsbewusstsein. So finden sich aktuell auf seinen Facebook- und Instagram-Kanälen unter anderem Beiträge zu Bienen & Honig, einem Hafenfrühstück in Duisburg oder zur Diskussionsveranstaltung „Wer hat die Redaktion geschrumpft?“. Kein Wort verliert der medienpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion - er ist auch Mitglied des WDR-Rundfunkrats - auf diesen Kanälen dagegen über eine umstrittene Entscheidung des FDP-Bundesparteitags am vergangenen Wochenende. Die Mehrheit hatte dort einen Beschluss für einen „schlankeren“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefasst und damit unter anderem Jan Böhmermann (ZDF) mit Kritik auf den Plan gerufen, der bei dieser Thematik sogar Parallelen zwischen FDP und AfD sieht.