Herne. . SPD-Vize Hendrik Bollmann im WAZ-Interview: Er redet Klartext über die SPD-Krise, den künftigen Kurs der Partei und die Chancen in Herne.
Was nun, SPD? WAZ-Redakteur Lars-Oliver Christoph hat mit SPD-Vize Hendrik Bollmann (36) über die Krise der Partei, die Zukunft der Sozialdemokratie und die Situation der Genossen in Herne gesprochen. Zu Beginn ging es jeoch über ein grünes Thema.
Ganz Deutschland redet über die SPD. Ich möchte mit Ihnen erst einmal über Grün sprechen. Warum sind Sie Kleingärtner geworden?
Hendrik Bollmann: Um abschalten zu können. Gerade als ehrenamtlicher Kommunalpolitiker ist es nicht immer so einfach, Beruf und Hobby zu vereinbaren. Und ich kann in der Kleingartenanlage auch schauen, wie der Stadtteil gerade tickt und was die Leute bewegt.
Wie sind Sie gerade auf den Kleingartenverein Röhlinghausen gekommen? Weil er in Ihrem Wahlkreis liegt?
Ich jogge regelmäßig durch die Anlage. Und durch die Kleingartenfeiern, die ich hin und wieder besuche, kenne ich auch die Menschen. Irgendwann haben sie mir bei einem Osterfeuer eine Parzelle gezeigt, die frei werden könnte. Dabei habe ich mich dann einfangen lassen (lacht).
Gibt es Parallelen zwischen Ihrer Partei und Ihrem Kleingarten?
Ja, die gibt es. Es muss hart gearbeitet werden, aber das Fundament ist vorhanden – sowohl in der SPD als auch im Kleingarten.
Zur Politik: Der SPD-Bundesvorstand hat die Mitglieder aufgefordert, bis zum 13. Juni Vorschläge über das Verfahren zur Wahl der neuen Parteispitze zu machen. Haben Sie schon eine Mail nach Berlin geschickt?
Nein, bisher nicht. Ich denke aber mal, dass eine Urwahl das Richtige wäre. Auch wenn bisher nicht alle Mitgliederentscheide so ausgegangen sind, wie ich mir das erhofft habe – am Ende waren das sehr gute Beiträge zur innerparteilichen Demokratie und zur Parteiendemokratie überhaupt.
In der SPD werden bisher einige Namen für die Nahles-Nachfolge gehandelt. Wer ist denn Ihre Favoritin, Ihr Favorit?
Ich hab das für mich so formuliert, dass die SPD erst einmal klären muss, für wen sie überhaupt eintritt. An diesem Punkt gibt es eine große Desorientierung. Wir haben uns jahrelang mit irgendwelchen „Mitte“-Diskussionen beschäftigt, die uns nicht gut getan haben. Wir haben so viel darüber gesprochen, dass wir gar nicht mehr wussten, wer eigentlich noch zu dieser Mitte gehört. Gehört die Krankenschwester dazu? Wie sieht’s mit dem Busfahrer aus? Oder stellt der Lehrer die Mitte dar? Diese Berufe trennen Lebenswelten! Am Ende hat man diese Mitte so groß gefasst, dass man nicht mehr wusste: Für wen ist die SPD denn nun da?
Für wen sollte sich die SPD denn Ihrer Meinung nach einsetzen?
Für die Leute, die einen verlässlichen Staat brauchen, der für sie Dinge organisiert, die sie nicht selbst organisieren können. Dazu gehören zum Beispiel eine vernünftige Bildung und ein guter Stadtteil. Der Staat muss für gute Arbeitsverhältnisse sorgen und zusammen mit Gewerkschaften dafür eintreten, dass es gute Löhne gibt. Und wir müssen uns für Menschen stark machen, die sich Aufstiegschancen und eine bessere Welt von uns versprechen. Die Arbeitsbedingungen der Lidl-Verkäuferin haben sich in den letzten 10 bis 15 Jahren nicht verbessert, vielleicht sogar verschlechtert. Wir waren jedoch ein Großteil dieser Zeit in der Regierung. So lange das der Fall ist, wird es schwierig sein, diese Menschen von uns zu überzeugen. Es ist toll, wenn der Ingenieur oder der Lehrer die SPD wählt. Das sind aber Berufsgruppen, die das nicht aus sozio-ökonomischem Eigensinn machen, sondern aus dem Bewusstsein heraus, diese Gesellschaft zusammenhalten zu wollen. Es gibt aber eine Klientel, die an uns ganz konkrete Forderungen stellt – und das völlig zurecht. Sie sitzen in Wanne-Nord, in Gelsenkirchen-Ückendorf oder in Duisburg-Marxloh, und sie sagen: Mein Umfeld muss erst einmal besser werden.
Das wichtigste Thema bei der Europawahl war laut Umfragen der Klimawandel. Muss dieses Thema bei der SPD eine größere Rolle spielen?
Sicherlich ist der Klimaschutz ein entscheidendes Thema unserer Zeit. Umweltpolitik muss aber auch als Teil der sozialen Frage aufgefasst werden. Umweltpolitik darf für die Menschen keine Belastung sein, sondern sie müssen davon ganz persönlich profitieren können. Mit dem Motto „Fördern statt Fordern“ werden wir uns bei den unteren und mittleren Einkommensgruppen beim Klimaschutz profilieren können.
In Dänemark hat eine sozialdemokratische Partei durch eine Rechtsschwenk die Wahl gewonnen. Wäre das auch für die deutsche SPD ein Erfolgsmodell, wie Ihr ehemaliger Parteichef Sigmar Gabriel glaubt?
Politiker, Lehrer, Kicker
Hendrik Bollmann ist Vize der SPD Herne, Ortsvereins-Chef in Röhlinghausen sowie Ratsherr. Außerdem gehört der Sohn des früheren Bundestagsabgeordneten Gerd Bollmann dem Sprecher-Kreis der Ruhr-SPD an.
Der 36-Jährige ist Lehrer an einer Hauptschule in Dortmund-Scharnhorst. Er ist ledig, aber liiert und hat keine Kinder.
Der einst erfolgreiche Langläufer kickt heute in der Alten Herren der SpVgg Röhlinghausen - links, aber auch rechts.
Es wird ja immer wieder mal in der SPD die Forderung laut, dass wir uns innenpolitisch mehr nach rechts und sozialpolitisch mehr nach links bewegen sollten. Ich würde keinem Trend einfach einem hinterherrennen. Es sollte aber für uns ein Anlass sein, über eine Frage nachzudenken: Haben wir als SPD dafür gesorgt, dass die Menschen das Gefühl haben, dass das Zusammenleben in ihrem Stadtteil funktioniert? Hier müssen wir eine ehrliche Analyse vornehmen. Es nützt nichts, wenn ich in meinem Studentenzimmer oder in meinem harmonischen Eigenheimviertel bleibe, sondern ich muss in die problematischen Viertel gehen. Und dann stelle ich fest – das kenne ich auch aus meiner Arbeit als Lehrer -, dass es zwar großartige Erfolge gibt, aber dass es auch Entwicklungen gibt, bei denen ich sage: Das geht gar nicht. Natürlich müssen wir als Sozialdemokratie weiter an eine vielfältige, an eine offene Gesellschaft glauben. Es ist aber dann dazu zu sagen: Diese Gesellschaft muss auch in den nördlichen Problemvierteln des Ruhrgebiets funktionieren.
Stichwort Agenda 2010: Muss die SPD einen offenen Bruch mit der Schröder-Politik herbeiführen und sich distanzieren?
Die Agenda-Politik ist vor 15 Jahren initiiert worden. Das ist lange her. Wir müssen einfach neue Konzepte entwickeln, die für die Leute okay sind und die sich natürlich vor allem von den Hartz-Gesetzen unterscheiden. Bei der Agenda 2010 gibt es einen guten Teil, der für mehr Ganztagsbetreuung und Bildung steht. Und dann gibt es den verheerenden Teil, der sehr neoliberal ist und von dem wir uns ganz klar distanzieren müssen.
In Bremen läuft alles auf Rot-Rot-Grün hinaus. Könnte dies, sollte dies Schule machen?
Wenn wir als Sozialdemokraten gegen Kinderarmut kämpfen und für Alterssicherung eintreten wollen, dann können wir das am ehesten in diesem Modell. Bei Koalitionen mit CDU und FDP sind die Zugeständnisse sehr viel gravierender und schwächen das Ergebnis. Nur: Grüne und Linke müssen zur Kenntnis nehmen, wen wir vertreten. Dadurch bleibt ein kleinerer Spielraum für deren Klientel. Die Grünen etwa vertreten eher Menschen mit höherem Einkommen aus ganz anderen Stadtvierteln, die beim Thema Integration vom iranischen Arzt sprechen. Auch beim Thema Klimaschutz werden gerne mal schnelle Lösungen rausgehauen, bei denen die Menschen in den unteren bis mittleren Einkommensgruppen und weniger schönen Stadtteilen nicht mitgenommen werden.
Sie sind ein Mann der Basis. Wie nehmen Sie zurzeit die Stimmung bei den Herner Genossen wahr?
Natürlich gibt es eine große Verunsicherung. Die aktuelle Lage mit ihrer Zuspitzung im Europawahlergebnis wird als ungerecht wahrgenommen - nach dem Motto: Wir machen uns vor Ort den Buckel krumm, und da oben wird alles umgerissen.
Die Herner SPD-Mitglieder, mit denen ich zuletzt gesprochen habe, fordern fast durchweg: Wir müssen im Bund aus raus der GroKo! Schließen Sie sich an?
Ich würde solche Entscheidungen nur ungern aus der Wut und aus der Emotionalität heraus treffen. Wir müssen uns nun aber sehr ernsthafte Gedanken darüber machen. Ich habe gegen diese GroKo gestimmt, und ich sehe bisher keine meiner damaligen Thesen widerlegt. Wenn sich nichts Gravierendes ändert – und daran glaube ich aktuell nicht -, werden wir einen geordneten Rückzug vornehmen müssen.
Haben Sie Angst davor, dass sich der Niedergang der SPD fortsetzt und sie zu einer 5-Prozent-Partei wird?
Natürlich macht man sich Sorgen. Aber die Idee, die hinter der SPD steckt, ist einfach zu groß. Wir haben nach wie vor eine große Zielgruppe. Die Tatsache, dass der Industriebereich geschrumpft ist, heißt doch nicht, dass es keine prekären Arbeitsplätze mehr gibt. Im Dienstleistungsbereich haben wir riesige Baustellen. Wenn wir hier die richtigen Rezepte haben, dann gibt es genug Menschen, die uns wählen und die uns auch brauchen. Es geht bei der Debatte um eine schlagkräftige SPD, nicht um Strategie oder politische Schicksale. Es geht darum, dass wir für die Leute da sind, die uns brauchen. Dafür benötigen wir eine auch eine gewisse Radikalität und Kämpfernatur. Ich unterstütze nicht alle seine Thesen, aber hier bin ich ganz bei Juso-Chef Kevin Kühnert.
Die SPD ist in Herne bei der Europawahl von 43,1 auf 26,8 Prozent abgestürzt. Glauben Sie, dass Ihre Partei bei der Kommunalwahl im September 2020 ähnlich schlecht abschneiden wird?
Die Ausgangslage ist einer der schwierigsten, die wir jemals hatten. Ich glaube aber, dass es in Herne durch die Arbeit von Partei, Fraktion und unseres sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Frank Dudda ein anderes Ergebnis geben wird.
Auf Ihrer Facebook-Seite sind Sie jüngst in einer Diskussion über die Folgen der Europawahl gelobt und aufgefordert worden: Du musst in die Bundespolitik! Ist das ein Ziel des Kommunalpolitikers Hendrik Bollmann?
Nein. Ich mache jetzt erst einmal in Herne vernünftig Politik – und das sehr gerne. Und ich kann an meiner Hauptschule in Dortmund als Lehrer viel bewirken. Deshalb ist das für mich kein Thema.
Bollmann über Nahles, Bildung und den VfL
Den Umgang mit Andrea Nahles fand ich …
Andrea Nahles konnte selbst immer sehr gut austeilen und hat den Laden auch mit harten Methoden unter Kontrolle bringen wollen. Trotzdem ist die Art und Weise, wie brutal Öffentlichkeit mittlerweile mit Menschen umgeht, nicht in Ordnung. Das erzeugte Bild, dass die SPD eine Vorsitzende mordende Partei ist, stimmt einfach nicht, wenn man genau hinschaut.
Wird Ihr Lieblingsclub VfL Bochum in der nächsten Saison in der 2. Liga im Abstiegskampf oder im Aufstiegsrennen sein?
Ganz klar: Aufstiegsrennen. Ich vertraue Trainer Robin Dutt.
Als NRW-Bildungsminister würde ich als erstes anordnen, …
… dass in Schulen in besonders benachteiligten Stadtteilen keine Klasse mehr als 15 Schüler hat, dass diese Schulen sich nicht mehr um Sozialpädagogen kloppen müssen und dass es noch umfangreichere Hilfen vom Jobcenter gibt, damit man Kindern und Jugendlichen eine berufliche Perspektive geben kann.
Richtig oder falsch: Der Höhenflug der Grünen ist nur eine Momentaufnahme.
Würde ich mich nicht drauf verlassen!
Die SPD wird in 20 Jahren …
… wieder deutlich stärker dastehen als heute, wenn Sie die richtigen inhaltlichen Linien vorgibt und genau weiß, für wen sie sich einsetzen muss.