Herne. Der Leiter des Herner Fachbereichs Kultur tritt in den Ruhestand. Für Peter Weber steht jetzt Claudia Stipp an der Spitze der Kulturverwaltung.
Nach über 15 Jahren an der Spitze des Fachbereichs Kultur gibt Peter Weber zum 1. April die Leitung ab an Claudia Stipp und geht in den Ruhestand. Beide arbeiten seit Beginn eng zusammen. Für Rückblick und Ausblick auf das Herner Kulturgeschehen haben sie sich ein gemeinsames Interview gewünscht. Ute Eickenbusch hat es geführt.
Herr Weber, wie haben Sie die Herner Kulturszene erlebt, als Sie den Fachbereich übernommen haben?
Weber: Ich bin in einen Bereich gekommen, der sehr gut funktioniert hat. Es gab eine lebhafte Kulturszene und ein breit aufgestelltes Angebot in allen Genres. Wir haben uns dann über ein neues Kulturentwicklungskonzept einige neue Ziele gesetzt: Eine stärkere dezentrale Ausrichtung mit neuen Kulturorten wie dem „O“, der Kulturbrauerei oder dem Alten Wartesaal und einer verbesserten auch institutionellen Förderung von Kulturanbietern und Vereinen. Wir haben Schloss Strünkede und Heimatmuseum neu ausgerichtet und modernisiert, ebenso die Musikschule. Die Instandsetzung der Städtischen Galerie, der Flottmann-Hallen und der Stadtbibliothek stehen an. Inhaltlich gab es eine erhebliche Ausweitung der kulturellen Bildungsangebote und eine Stärkung der Jugend- und Interkultur.
Früher hörte man oft: „In Herne ist nichts los“. Gilt das noch?
Stipp: Das kann ich überhaupt nicht sagen. Das wird auch heute von außen nicht mehr so wahrgenommen.
Das kulturelle Spektrum reicht ja von den Tagen Alter Musik bis zu Pottporus. Wo sehen Sie, Frau Stipp, das kulturelle Profil Hernes?
Stipp: Ich bin ziemlich stolz darauf, dass wir ein sehr breites Spektrum abdecken. Man muss ja auch die Bevölkerungsstruktur bedenken, es soll für jeden Geschmack etwas dabei sein. Das macht Herne gerade aus, dass es so kunterbunt ist.
Wenn man versucht, den Geschmack vieler zu treffen, bleibt dann noch Raum für Experimentelles und Nischenkultur?
Stipp: Wir sind sehr gut vernetzt und nehmen auch Ideen auf. Zum Beispiel das Festival „Blaues Rauschen“, von dem ich total geflasht war, obwohl ich gar kein Fan dieser Musik bin. Ich finde, man muss auf jeden Fall solche Nischen offenhalten.
Herr Weber, wie schafft man es, mit einem sehr kleinen Budget für die Kultur zurecht zu kommen?
Weber: Man muss sich konzentrieren auf die Dinge, die nicht extrem aufwendig sind. Da muss man eine gewisse Bescheidenheit, dafür um so mehr Kreativität an den Tag legen. Auf der anderen Seite haben wir den Vorteil, dass wir kein teures Theater oder Opernhaus haben, wie sie die größeren Nachbarstädte unterhalten. Und wir haben eine tolle Kulturinitiative, die uns unterstützt. Man wünscht sich natürlich mehr finanzielle Spielräume gerade jetzt, wo Künstler um ihre Existenz bangen.
Stipp: Die Kulturinitiative ist eine wichtige Säule, besonders wenn es um Sonderprojekte geht, von kulturschaffenden Vereinen oder Einzelkünstlern. Es werden ja nicht nur städtische Projekte unterstützt. Da gibt es schon Fördermöglichkeiten im sechsstelligen Bereich.
Nach dem Kulturgenuss lässt man als Besucher ja gerne den Abend mit einem Bier ausklingen. Wie ist Herne da aufgestellt?
Stipp: Die Flottmann-Hallen haben einen neuen Pächter, der auch eingebunden ist in die Veranstaltungen. Wir haben im Schlosshof Strünkede bei unseren Veranstaltungen immer eine Gastronomie, darauf legen wir auch Wert. Auch für die „Strünkeder Sommerstunden“ haben wir einen Gastronomen gefunden, so dass die Leute auch nach dem Programm noch einen Wein trinken konnten.
Wenn es mehr Geld gäbe für die Kultur in Herne, wo sollte es hinfließen?
Stipp: Wir hatten seit vielen Jahren ein gleich bleibendes Budget, trotz der Kostensteigerungen. Als ich angefangen habe, konnte ich für das Nightlight Dinner zum Beispiel eine Band buchen für 500 Euro, die wäre heute doppelt so teuer. Uns wäre ja schon damit geholfen, wenn wir diesen Ausgleich schafften. Natürlich kann jeder Bereich ein bisschen mehr Geld gebrauchen.
Weber: Ich muss der Kulturpolitik danken, die vor einem Jahr eine Anpassung und Erhöhung des Kulturbudgets vorgenommen hat. Das hat uns schon geholfen. Man kann immer nur im Rahmen des zur Verfügung stehenden, bei uns nach wie vor bescheidenen Budgets planen. Da wäre es natürlich schön, wenn man sich mal ein besonderes Highlight leisten könnte. Teil unserer Arbeit ist es auch, Kulturschaffenden Verdienstmöglichkeiten zu bieten, gerade in der heutigen Zeit. Da ist es schon wichtig, dass die Kulturpolitik diese Notwendigkeiten sieht. Wichtig ist auch, dass in der Nach-Corona-Zeit nicht bei der freiwilligen Aufgabe Kultur als erstes Mittel eingespart werden.
Zur Person
Peter Weber (65) hat seit 2005 den städtischen Fachbereich Kultur geleitet. Vorher war etwa ebenso lange Leiter des Ratsamtes der Stadt Herne, davor im Liegenschaftsamt und anderen Ämtern tätig. Seine Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt hat er bei der Stadt Herne abgelegt. Der gebürtiger Wanne-Eickeler ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und lebt heute in Herne-Constantin.
In Wanne-Eickel ist auch Claudia Stipp aufgewachsen, ebenfalls bei der Stadt Herne ausgebildete Diplom-Verwaltungswirtin. Sie wechselte 2004 nach neun Jahren vom Sozialamt ins Kulturamt. Seit 2017 hat sie das Kulturbüro geleitet. Sie ist 56 Jahre alt, verheiratet und lebt in Wanne-Eickel.
Claudia Stipp übernimmt ab 1. April von Peter Weber neben der Leitung des Fachbereichs Kultur auch die nebenamtliche Geschäftsführung der Tagungsstätten- und Gastronomiegesellschaft Herne TGG.
Gibt es Kulturangebote, die auf dem Prüfstand stehen? Wie steht es etwa um die Abo-Reihen Theater und Konzert, die ja wegen Corona momentan ausgesetzt sind?
Stipp: Das möchten wir gerne beibehalten, weil wir damit ein ganz bestimmtes Publikum erreichen, das auch sehr treu ist. Nachdem wir viele Jahre mit der Konzertdirektion Landgraf gearbeitet haben, werden wir ab der Spielzeit 2021/22 mit dem Westfälischen Landestheater NRW aus Castrop-Rauxel kooperieren. Das Angebot wird vielfältiger werden. Wir haben da auch ein Stück zur kulturellen Integration dabei.
Apropos kulturelle Integration: Erreicht die städtische Kultur auch die Migrantinnen und Migranten?
Stipp: Wir haben in der Flüchtlingskrise eine Stelle unter anderem mit diesem Aufgabenschwerpunkt geschaffen. Hier wurde bereits ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut. Explizite Veranstaltungen für Menschen mit Migrationshintergrund gehören heute zum Alltag. Zum Beispiel auch beim neuen Open Air, das wir für die Flottmann-Hallen planen, da haben wir einige Programmbeitrage gewählt, die Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen. Für das Kulturfestival gilt das auch. Man sollte das aber nicht immer so ausdrücklich betonen, sondern als selbstverständlich ansehen.
Wie steht es um die Urbane Kunst? Kürzlich wurde das alte Karstadt-Haus in Wanne, das von Pottporus als KHaus schon einmal vor Jahren ins Gespräch gebracht wurde, vorgestellt als möglicher Standort für ein Urbanes Zentrum.
Stipp: Geplant ist, ein Urban Arts Center Ruhr in Wanne zu verankern. Der Eigentümer hat gewechselt und trägt das Projekt mit, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft gibt eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Dafür hat das Land Fördermittel bereit gestellt. Ziel ist es ein ruhrgebietsweites Zentrum für die urbane Szene zu errichten und das Haus mit kreativem Leben zu füllen.
Weber: Die Machbarkeitsstudie für das Hallenbad Wanne-Süd hat gezeigt, dass dieses Haus für eine großes Zentrum mit entsprechendem Flächenbedarf nicht gut geeignet ist. Den Standort KHaus in Wanne-Mitte ins Auge zu fassen, das ist eine gute stadtentwicklungspolitische Entscheidung. Das Quartier in Wanne soll entwickelt werden, dazu kann dieses Haus wie kein zweites beitragen. Das wäre ein wichtiger Mosaikstein.
Die Pandemie hat neue digitale Formate hervorgebracht, auch in Herne. Kann man das als Gewinn werten?
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Stipp: Auf jeden Fall. Das ist vielleicht das einzig Positive, das aus der Pandemie entstanden ist. Man war gezwungen, relativ schnell alternative Projekte aus dem Boden zu stampfen. Ich glaube, dass es in Zukunft eine gute Mischung zwischen digitalen und analogen Projekten geben wird. Im Moment hat man die Gelegenheit, viel auszuprobieren und sich weiter zu entwickeln. Wir haben auch mit Fördermitteln das notwendige technische Equipment beschaffen können und wollen das auch in Zukunft nutzen. Ein Beispiel: Wir haben beim Wartesaal.TV pro Sendung bis zu 350 Besucher, die würde man bei einer analogen Veranstaltung gar nicht erreichen. Ich glaube aber auch, dass eine Überflutung mit digitalen Projekten die Leute ermüdet.
Weber: Wenn wir junge Leute erreichen wollen, müssen wir stärker auf digitale Kanäle und Social Media setzen, da sind wir inzwischen gut aufgestellt. Wir haben zum Beispiel eine Filmreihe zu unseren Museen sozusagen als Appetitmacher gedreht, da ergänzen sich dann das Digitale und das Analoge. Aber für jeden von uns ist natürlich „real life“ das Entscheidende. Das fehlt uns allen.
Auf welche Veranstaltung aus dem echten Leben freuen Sie sich am meisten nach Corona?
Stipp: Mein Baby ist das Nightlight Dinner! Ich finde diese Mischung von Bürgerfest und Kultur super, da ist immer eine tolle und entspannte Atmosphäre, da gab es noch nie Stress. Auch miteinander ins Gespräch zu kommen gehört dazu. Die Resonanz ist immer sehr positiv. Meine absolute Lieblingsveranstaltung.
Weber: Ich finde „Tegtmeiers Erben“ ist schon eine herausragende Geschichte. Es gibt noch viele andere. Ich werde zum Beispiel auch am Samstag die Drive-through-Ausstellung in der Kuz-Tiefgarage besuchen. Mir fehlt generell das kulturelle Leben.