Gladbeck. Wer heute Lehrer werden will, braucht ein dickes Fell – oder? Warum junge Lehrkräfte aus Gladbeck ein positives Fazit ziehen.
Unzufriedenheit, Stress, Überforderung, Kündigungswellen, Personalmangel: Der Lehrberuf machte in jüngster Vergangenheit vor allem negative Schlagzeilen. Neue Lehrkräfte werden händeringend gesucht, auch in Gladbeck. Warum entscheiden sich junge Menschen heute noch für den Lehrberuf? Und welche Erfahrungen machen die Referendare an Gladbecker Schulen?
- Pflege. Neue Pflege begleitet Menschen bis in den Tod
- Unter Denkmalschutz. So lebt es sich in einem Gladbecker Denkmal
- Jubiläum. 125 Jahre Emschergenossenschaft haben Gladbeck verändert
- Erster Beigeordneter. Aufstieg: Volker Kreuzer vertritt Gladbecks Bürgermeisterin
- Handel. Mehr Leben in der Innenstadt: Einige Leerstände verschwinden
- Markt in Gladbeck. Entdeckungen am Marktstand: Kräuter, Gewürze und vieles mehr
- Mit Fotostrecke.EM-Rausch: So fiebern deutsche Fans in Gladbeck mit
- Zugewucherter Gehweg.Kein Durchkommen an der Wielandstraße: Stadt schafft Abhilfe
- Mit Fotostrecke.Party, Musik und Action: Die schönsten Bilder des Kidzivals
„Ich habe schon immer gerne mit Kindern gearbeitet. Der Lehrberuf lag deshalb nahe“, erzählt Fabienne Bevers. Die 32-Jährige ist seit einem Jahr Lehramtsanwärterin an der Erich-Kästner-Realschule, gemeinsam mit Sinem Arabaci. Bei der 26-jährigen Gladbeckerin fiel die Entscheidung erst nach Angeboten zur Berufswahl. „Als ich mich in die Richtung Lehrberuf orientierte, habe ich gutes Feedback bekommen“, so Arabaci. Unterschiedlicher Beginn, gemeinsames Ziel: Beide wollen Lehrerinnen werden, hier an der Realschule in Gladbeck.
Gladbecker Erich-Kästner-Realschule punktet mit guter Arbeitsatmosphäre
Beide haben bisher gute Erfahrungen im Beruf gemacht, was in erster Linie an der Schule liege. „Wir sind froh, hier zu sein. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr gut und wir wurden schnell integriert. Teilweise können die älteren Kollegen schon von unseren Erfahrungen profitieren“, sagt Bevers und blickt zu ihrer Kollegin, die ihrerseits erzählt: „Wir bekommen hier viel Unterstützung. Sowieso helfen sich alle untereinander, sodass die Belastung auf vielen verschiedenen Schultern im Kollegium verteilt wird.“
Arbeitsbelastung – ein wichtiger Punkt im Lehrberuf. Waren die ersten Wochen nach Antritt des Referendariats ein Schock für die Anwärterinnen? „Wir wussten, dass der Job belastend sein kann und einen sehr fordert. Insofern konnte man damit rechnen“, sagt Bevers. Es sei wichtig, einen privaten Ausgleich zum Beruf zu finden, etwa Zeit mit der Familie. Mittlerweile hätten sich beide an das Pensum gewöhnt und könnten sich ganz auf ihre Ausbildung konzentrieren. „Das Referendariat ist schließlich auch eine Phase der Inspiration und des Ausprobierens“, so Bevers.
Schulleiter kritisiert Aufbau des Lehramtsstudiums
Ulrich Elsen, Schulleiter der Erich-Kästner-Realschule, freut sich über die gute Rückmeldung der Anwärterinnen. „Wir sind im ständigen Austausch untereinander“, so Elsen. Gerne möchte er Bevers und Arabaci nach Ende des Referendariats einstellen, denn gute Lehrkräfte sind wichtig. „Am Ende kommt es vor allem auf die persönliche Haltung und Einstellung an, die Fächerkombi ist da meist nebensächlich“, sagt der Schulleiter.
Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt. „Ich würde mir eine etwas andere Lehramtsausbildung wünschen, die einphasig ist oder in der Praxisphasen zumindest eine wichtigere Rolle einnehmen.“ Die beiden Lehramtsanwärterinnen sehen das ähnlich. „Ein Praxissemester im Bachelor wäre gut“, sagt Arabaci dazu. Dadurch würden angehende Lehrkräfte besser auf den Beruf vorbereitet.
IDG-Ausbildungsbeauftragter: Abbrüche sind die Ausnahme
Diese Meinung vertritt auch Klaus Michalik. Er ist Ausbildungsbeauftragter der Ingebord-Drewitz-Gesamtschule in Gladbeck und wünscht sich eine engere Verzahnung zwischen Studium und Schule. „Viele studieren Lehramt nur aufgrund der Fächer und scheitern am Ende an falschen Erwartungen über den Alltag als Lehrer.“ Es komme daher auch vor, dass Anwärter das Referendariat abbrechen. „Das ist an unserer Schule aber zum Glück die Ausnahme, denn die anfängliche Überforderung verschwindet schnell“, versichert Michalik, der insgesamt aber feststellen muss: „Die Qualität der Lehramtsausbildung, und damit auch der Nachwuchskräfte, hat leider abgenommen.“
Mit Start der neuen Referendariatsphase im Mai sind an der IDG insgesamt fünf Lehramtsanwärter beschäftigt. „Wir machen bei uns generell sehr gute Erfahrungen mit den Referendaren, das gilt auch für die aktuelle Generation“, sagt Michalik. Die Solidarität untereinander sei hoch, ob bei gegenseitigen Hospitationen oder beim Austauschen von Unterrichtsmaterialien. Wie an der Erich-Kästner-Realschule werden auch hier die Referendare in der Regel übernommen. „Ein großer Teil des aktuellen Kollegiums hat als Anwärter an der IDG begonnen“, erzählt Michalik. Ihn freut das sehr: „Als einzige Gesamtschule in Gladbeck ist unsere Schülerschaft vergleichsweise schwierig.“ Die jungen Lehrkräfte würden daher mit viel sozialer Arbeit konfrontiert. „Trotzdem wollen viele Lehrer nach der Ausbildung bei uns bleiben, denn unsere Schule steht zu jeder Zeit voll hinter ihren Lehrkräften und unterstützt sie so stark wie möglich.“ Das sei nicht überall so und werde daher im Kollegium sehr geschätzt.
Gewalt an Lehrkräften sollte stärker thematisiert werden
Für Michalik außerdem ein wichtiges Thema: In der universitären Ausbildung werde selten zwischen Gymnasium und Gesamtschule differenziert, dabei unterscheiden sich beide Schulen vom Fachangebot und der Schülerschaft enorm. „Das führt natürlich zu Problemen und falschen Erwartungen bei jungen Lehrkräften. Wir unterstützen daher Referendare, die stärker gymnasial geprägt wurden, sehr intensiv“, sagt Michalik, der sich ein Lehramtsstudium wünscht, das gleichermaßen auf alle Schulformen vorbereitet.
Der Ausbildungsbeauftragte, der als solcher die Lehramtsanwärter intensiv begleitet, wünscht sich für angehende Lehrkräfte zudem eine stärkere Schulung sozialer und operativer Kenntnisse. „Beispielsweise nimmt die Gewalt von Schülern gegen Lehrkräfte zu. Im Studium werden die Anwärter aber kaum auf dieses Problem vorbereitet.“ Die Realschul-Anwärterin Sinem Arabaci hat ähnliches erlebt: „Im Studium haben wir zwar Tipps für den sozialen Umgang mit Schülern erhalten, so richtig mit diesem Thema konfrontiert wurde ich aber erst im Referendariat.“
Angehende Lehrkräfte bereuen Entscheidung nicht
Sowohl Arabaci als auch Fabienne Bevers bereuen ihre Berufswahl bisher keineswegs. „Ich würde mich definitiv wieder so entscheiden. Ich habe nie den Spaß an der Sache verloren“, sagt Bevers. Angehenden Lehrkräften raten beide, sich bereits im Studium klar zu strukturieren. „Gute Planung ist im Lehrberuf sehr wichtig, und gerade während des Referendariats sollte man bereit sein, Kritik anzunehmen und umzusetzen“, meint Arabaci. So könnten auch schwierigere Phasen erfolgreich gemeistert werden.
+++ Folgen Sie der WAZ Gladbeck auch auf Facebook! +++