Gladbeck. Vor dem Krieg in seiner Heimat hat Oleksandr Akatov Mode fotografiert, sogar für Vogue. Nun lebt er in Gladbeck – und zeigt ganz andere Bilder.

Fünf junge Mädchen lächeln glücklich in die Kamera. Alle tragen Mützen, Schals und dicke Mäntel gegen die Kälte in dieser Silvesternacht 2022 in Sumy, einer Stadt in der Ukraine, gerade mal 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Ganz bestimmt haben sie Pläne geschmiedet, sich um Mitternacht zugeprostet und auf ein schönes neues Jahr angestoßen. Das schöne neue Jahr, es endete knapp zwei Monate später – am 24. Februar 2022. Da begann der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.

Bilder vom schönen Leben in Sumy vor dem Krieg

Oleksandr Akatov hat den Schnappschuss von den Mädchen in besagter Silvesternacht gemacht. Ihn und viele weitere Bilder, die zeigen, wie schön, wie normal das Leben in Sumy vor dem Krieg gewesen ist. Der damals 66-Jährige hat aber auch den Krieg mit seiner Kamera eingefangen. Traurige Bilder von erschöpften Soldaten kurz nach einem Gefecht, von Menschen auf der Flucht, von Zerstörung und Verzweifelung. Als Oleksandr Akatov Mitte März schweren Herzens aus seiner Heimatstadt geflohen ist, da hat er all‘ seine Fotos auf einem Stick mitgenommen in seinem Gepräck.

Die Bilder von Oleksandr Akatov sind ab dem 24. Februar im großen Saal vom K4 an der Kirchstraße in Gladbeck zu sehen. Einfach mal zu den Öffnungszeiten vorbeischauen.
Die Bilder von Oleksandr Akatov sind ab dem 24. Februar im großen Saal vom K4 an der Kirchstraße in Gladbeck zu sehen. Einfach mal zu den Öffnungszeiten vorbeischauen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Nun sind die Aufnahmen von „Krieg & Frieden“ im K4, dem sozial-pastoralen Zentrum an der Kirchstraße, zu sehen, und das Team der Flüchtlingsarbeit der evangelischen Kirche Gladbeck lädt für den 24. Februar um 17 Uhr zur Eröffnung der Foto-Ausstellung ein. Oleksandr Akatov hat seine Flucht nämlich von Sumy nach Gladbeck geführt. Hier lebt er seitdem in einer kleinen Wohnung. Und seine Kamera-Ausrüstung ist nach wie vor seine stetige Begleiterin.

Ganz bewusst wird die Ausstellung im Gladbecker K4 am 24. Februar eröffnet

Ganz bewusst ist das Eröffnungsdatum der Ausstellung gewählt: Am 24. Februar vor zwei Jahren begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine.

Die Zigarette nach dem Gefecht. Dieses Foto von Oleksandr Akatov entstand 2015 am Donbass.
Die Zigarette nach dem Gefecht. Dieses Foto von Oleksandr Akatov entstand 2015 am Donbass. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Vor dem Krieg, da hat Oleksandr Akatov zuerst als Ingenier gearbeitet. Atomkraftwerke hat er mitgebaut. Bis zur Tschernobyl-Katatstrophe. Danach gab es keine Arbeit mehr für ihn auf diesem Gebiet. Akatov sattelte um, wurde Fotograf. Ein sehr erfolgreicher Fotograf sogar, dessen Bilder unter anderem auch in der Vogue zu sehen waren. Doch der Krieg in seiner Heimat beendete die Zeit der schönen Bilder. Es war ein schleichender Prozess, der 2014 mit dem bewaffneten Konflikt im Donbass begann, der Anfangsphase des Russisch-Ukrainischen Krieges. Die schwarz-weißen Bilder des Krieges, die nun in Gladbeck zu sehen sind, stammen aus dieser Zeit im Donezbecken. Die farbigen Fotografien des Friedens sind in einer kurzen Zeitspanne vor Beginn der russischen Invasion in die Ukraine entstanden.

Weil er zu alt ist, konnte Oleksandr Akatov nicht Soldaten werden

„Ich war ja nie Kriegsfotograf, und so hat man mich dann nach 2022 keine Bilder von der Front mehr machen lassen“, erzählt Oleksandr Akatov. Weil man ihn wegen seines Alters aber auch nicht als Soldat haben wollte, entschloss sich der damals 66-Jährige sehr schnell dazu, Sumy und auch die Ukraine zu verlassen. Zu schlimm war die Zerstörung in seiner Stadt, war die Zeit, die die Menschen aus Angst vor Bomben und ohne Strom in Kellern verbringen mussten.

Irgendwann möchte ich noch einmal schöne Frauen fotografieren
Oleksandr Akatov

Als dann der erste Fluchtkorridor sich auftat, sagt Akatov, habe er die Gelegenheit ergriffen. Sein kleines Fluchtgepäck habe da schon einige Zeit fertig gepackt im Hausflur gestanden. „Ich weiß noch“, erinnert sich der Fotograf, „nach einem besonders schlimmen Angriff war es auf einmal totenstill in der Stadt, fast wie in einem Endzeit-Horror-Film.“ Er selbst habe diesen Tag der Stille genutzt, um sich im Zentrum der Stadt umzuschauen. Ein gefährliches Unterfangen, wie er im Nachhinein zugibt. Und das, was er in der kurzen Zeit von Sumy gesehen habe, sei auschlaggebend für die Entscheidung zum baldigen Verlassen seiner Heimat gewesen.

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Flucht in alten, ausrangierten Schulbussen

Die Möglichkeit dazu gab es schon kurze Zeit später. Akatov erreichte die Info, dass vor dem Rathaus etliche Busse bereitstehen würden, um die Menschen aus der Stadt zu bringen. Sofort schnappte er sich sein Gepäck und ging los. Vor dem Rathaus, sagt er, habe tatsächlich ein Konvoi gestanden – bestehend aus alten, ausrangierten Schulbussen. Begleitet von zwei DRK-Fahrzeugen hätten die Busse dann Sumy verlassen. „Gut zwölf Stunden mussten wir alle auf den viel zu kleinen Sitzen ausharren, es gab keine Stopps, man konnte nicht zur Toilette“, erinnert sich Akatov. Aber immerhin habe der Konvoi sicher eine große Stadt erreicht. Von dort aus sei es dann mit Zügen weiter Richtung polnische Grenze gegangen.

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Die Züge seien auch in keinem besseren Zustand als die Busse gewesen. Aber sie schafften es bis zur polnischen Grenze, nach gut 17 Stunden Fahrt. Auf seiner Flucht hat Oleksandr Akatov natürlich auch zur Kamera gegriffen, hat die Menschen um ihn herum fotografiert. Die Momentaufnahmen spiegeln die Verzweifelung der Leutre, die fast alles verloren haben, vor allem wohl ihre Heimat.

Kurze Verschnaufpause nach einem Gefecht. Das Foto zeigt einen schlafenden ukrainischen Soldaten in seinem Wagen.
Kurze Verschnaufpause nach einem Gefecht. Das Foto zeigt einen schlafenden ukrainischen Soldaten in seinem Wagen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Nach Gladbeck hat es Oleksandr Akatov verschlagen, weil Freunde der Familie hier wohnen. Also wurde die Stadt im Ruhrgebiet zum Ziel seiner Reise. Wann er wohl zurückkehren kann in die Ukraine? Akatov schüttelt den Kopf. An ein schnelles Kriegsende glaubt er nicht mehr. „Putin ist gierig“, sagt er. Trotzdem hofft der mittlerweile 69-Jährige, irgendwann einmal nach Sumy zurückkehren zu können. Und noch einen Wunsch hegt Oleksandr Akatov: Schöne Frauen möchte er noch einmal fotografieren, glückliche Menschen. So wie in der Zeit vor dem Krieg, als noch die Modefotografie seine Berufung war.

>> Fotoausstellung Krieg & Frieden mit Bildern von Olkesandr Akatov, Eröffnung am 24. Februar, 17 Uhr, im K4 an der Kirchstraße 6. Musikalisch umrahmt wird die Eröffnung von Olesia Markelova und der One World Band. Veranstalter: Flüchtlingsarbeit der ev. Kirchengemeinde.