Gladbeck. Im Mai hat Max seinen Kampf gegen Leukämie verloren. Eine ganze Region hatte mit ihm gebangt, sich typisieren lassen, am Ende leider vergeblich.

„Wir sind okay“ – diese Antwort hat Anna Beutler gewiss schon unzählige Male gegeben, wenn sie wieder gefragt wird, wie es ihr und den beiden Kindern geht. Im Mai ist Max gestorben, der kleine Bruder, der Sohn. Der Siebenjährige hatte Leukämie. Die ganze Stadt hat Anteil an seinem Schicksal genommen, hat gebangt, gebetet und gehofft, dass sich ein Stammzellenspender findet, Max vielleicht doch noch geheilt wird.

Kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr ging die Suche nach einem Spender los. Es war der sehnlichste Weihnachtswunsch der Familie, die große Hoffnung, einen passenden Spender zu finden. In der Schule, in der Stadthalle, an vielen anderen Stellen wurden große Typisierungsaktionen durchgeführt. Am Ende kam für Max jede Hilfe zu spät, zu aggressiv war der Krebs. Seither habe für die Familie eine neue Zeitrechnung angefangen, sagt Anna Beutler. „Vor Maxi und nach Maxi“. Trotzdem sei es seither gelungen, einen neuen Alltag aufzubauen.

Die Familie hat gute Momente, aber eben auch schlechte Momente

Doch mehr als „okay“, sei es eben noch nicht. „Würde ich sagen, uns geht’s gut, wäre es irgendwo gelogen.“ Die Familie habe gute Momente, aber eben auch schlechte Momente. Und klar, gerade in der Advents- und Weihnachtszeit, die Zeit der Liebe und der Familie, werde man sentimental. „Ich schaue aufs Jahr zurück, und natürlich kommen dann all die schlechten Zeiten wieder hoch.“

Max mit seiner geliebten Oma. Sie starb ein Jahr vor ihm. Für Anna Beutler ist es ein Trost, dass die beiden nun vereint.
Max mit seiner geliebten Oma. Sie starb ein Jahr vor ihm. Für Anna Beutler ist es ein Trost, dass die beiden nun vereint. © Anna Beutler | Anna Beutler

Max ist die ganze Zeit dabei, ist immer präsent. „Zuletzt hat Niclas (einer der Brüder, Anm. d. Red.) häufiger gesagt, er vermisse Maxi.“ Deshalb ist Anna Beutler mit ihren Kindern häufig auf dem Friedhof. Max Grab ist ein wichtiger Ort für die Familie. Dass hier ein Kind beerdigt ist, erkennt man sofort. Groß und mittig thront der Rabe Socke – Max Klassentier – auf dem Grab. Dazu ein Spielzeugtrecker, schließlich war Max begeisterter Trecker-Fan, sein Berufswunsch: Bauer.

„Wenn wir unterwegs sind, und wir sehen etwas, fragen die Kinder oft, ob wir Max was mitbringen können.“ Und so finden auch immer wieder Kerzen ihren Weg ans Grab, teilweise hinterlassen die Geschwister auch Botschaften für Max auf den Kerzen. Auch ein Regenbogen am Himmel wecke bei ihnen Erinnerungen an Max. „Sie sagen dann immer, dass er jetzt wieder über den Regenbogen rutschen kann.“

Inzwischen ist bei der Gladbecker Familie so etwas wie Alltag eingekehrt

Überhaupt die Geschwister, auch für die müsse man weiterleben, sagt Anna Beutler. „Ganz ehrlich, gebe es sie nicht, dann weiß ich nicht, ob ich heute hier schon wieder so stehen könnte.“ Eigentlich wünsche man sich für seine Kinder ja ein leichtes, unbeschwertes Leben. „Aber die beiden haben schon so viel durchgemacht.“

Kein Schmerz ist vergleichbar mit dieser Leere, dem Vermissen, wenn das eigene Kind verstirbt.
Anna Beutler - Mutter von Max

Über Monate haben sie die Krankheit von Max miterlebt, haben gesehen, wie er kämpft, haben mitbekommen, wenn Anna Beutler und ihr Sohn wieder für längere Klinikaufenthalte nicht da waren. Das habe ja auch mit ihnen was gemacht. Und so ist die Familie nach Max Tod in den Sommerferien im Urlaub gewesen. Man musste sich wieder annähern, zumal die Kinder den Verlust verarbeiten mussten. Doch inzwischen ist ein Stück Alltag eingekehrt. Max Geschwister können nun auch wieder Freunde treffen, ihr Sporttraining besuchen. Dinge, die währende Max Krankheit nicht möglich waren, zu groß war die Infektionsgefahr für Max, der aufgrund der Chemos kein Immunsystem mehr hatte.

Max hat seine Oma geliebt, jetzt ist er wieder mit ihr vereint

Jetzt steht Weihnachten bevor. Sicherlich das schwierigste Weihnachtsfest für die Familie. Im vergangenen Jahr, da habe man funktioniert, berichtet Anna Beutler. In diesem Jahr sei man mit dem Kopf wieder vor Ort – und bei Max. Einige Sachen habe sie deshalb aufgrund des Anratens des psychosozialen Dienstes anders gemacht. „Es ist ja dieses Jahr auch anders.“ Kleinigkeiten, die helfen und ein Zeichen setzen. So hängt diesmal anderer, neuer Schmuck am Christbaum. Andere Traditionen werden beibehalten, so geht es Heiligabend wie immer zum Opa.

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Andere Sachen aber haben in diesem Jahr noch nicht funktioniert. Das gemeinsame Plätzchenbacken etwa musste Anna Beutler ausfallen lassen. Zu stark die Erinnerung an die letzte Auflage. Vor zwei Jahren war nicht nur Max noch dabei, sondern auch ihre Mutter. Die war ein Jahr vor Max gestorben, ein Schlag, der Anna Beutler auch schwer zugesetzt hat, in dem sie aber versucht, heute so eine Art Sinn zu sehen. „Ich habe lange gehadert und mich gefragt, warum meine Mutter sterben musste.“

Mit Max Krankheit und dem Wissen, dass auch er sterben wird, habe sie sich trösten können, dass die Oma auf Max warte, sich um ihn kümmern werde. „Max hat seine Oma geliebt, ihm habe ich auch sagen können, dass er nun zu ihr geht. Zu ihr und zu Gott.“ Auf ihrem Telefon hat sie ein älteres Schwarz-Weiß-Foto gespeichert. Es zeigt Max mit seiner Oma in inniger Umarmung. Es löst Wehmut aus, ist aber gleichzeitig auch ein Trostspender.

Familie hat die Erfahrung gemacht, dass Trauer in Wellen kommt

So wie das Foto von Max zu Hause. Wenn die Sehnsucht auch bei den Geschwistern groß werde und man es nicht zum Friedhof schaffe, zünde die Familie dort Kerzen an. Und es ist auch dieses Bild, das zeige, dass Max nicht nur in der Familie vermisst werde. Anna Beutler erinnert sich an den Kindergeburtstag von Max Bruder. Eine ganze Horde Kinder sei zu Gast gewesen. Dann habe einer das Foto gesehen und gesagt, dass Max fehle. „Die Kinder wurden ganz ruhig, haben einen Moment von Max erzählt und dann ging die Feier weiter“, erinnert sich Anna Beutler.

Für sie ein Beleg, dass die Trauer in Wellen komme. „Mal sind sie sacht und manchmal könnten sie alles mitreißen. Dann wird abgewartet, bis der Sturm vorüberzieht.“ Und die Hoffnung ist groß, dass die Familie irgendwann auf die Frage, wie es ihnen geht, mit „gut“ antworten kann. Auch wenn gilt: „Kein Schmerz ist vergleichbar mit dieser Leere, dem Vermissen, wenn das eigene Kind verstirbt.“

Dankbar für die große Solidarität

Bei der Suche nach einem Stammzellenspender hat Max, hat die Familie viel Solidarität erfahren. Auch später, als klar war, dass auch eine Stammzellenspende nicht mehr werde helfen können, ging diese Anteilnahme weiter, als es darum ging, Geld zu sammeln, um Max‘ letzten Wunsch zu erfüllen, einen Besuch im Disneyland in Paris. Anna Beutler spricht davon, man habe „im leidvollsten Unglück die größte Solidarität erfahren“. Auch das werde sie nie vergessen und dafür sei sie jedem einzelnen dankbar.

„Und auch wenn nichts und niemand Maxi mehr heilen konnte, so konnte ihm zumindest jeder materielle Wunsch erfüllt werden. Das war ein Trost, einem sterbenden Kind nicht mehr nein sagen zu müssen.“ Dazu kam das Wissen, sich nicht mehr Sorgen zu müssen, wie man womöglich die Beisetzung bezahlen soll. Das habe geholfen, sich an den letzten Tagen ausschließlich Max und seinen Brüdern zu widmen.