Gladbeck/Recklinghausen. Karl-Heinz Kalow hat die Rettungsgasse auf der Autobahn erfunden. Wie der Autobahnpolizist 1963 auf die lebensrettende Idee kam.

Zu Beginn der 1960er-Jahre wurde Polizeihauptwachmeister Karl-Heinz Kalow Zeuge, wie ein Lkw-Fahrer an einem Stauende auf der Autobahn nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Der Mann versuchte, seinen Lastzug zwischen den Fahrstreifen auslaufen zulassen, um einen schweren Auffahrunfall zu vermeiden. Zumindest das gelang ihm, allerdings streifte er dabei 14 Fahrzeuge.

Dass im Straßenverkehr heute das Gebot gilt, eine Rettungsgasse zu bilden, hat viel mit diesem Erlebnis zu tun. Aber auch mit der Erfahrung Kalows, dass nach schweren Unfällen Krankenwagen und Feuerwehr gar nicht oder zu spät zu den Verkehrsopfern durchkamen. 1963, also vor genau 60 Jahren, reichte Kalow schließlich beim NRW-Innenministerium einen Vorschlag ein: Bei einem Stau auf der Autobahn (damals gab es noch nicht mehr als zwei Richtungsfahrstreifen) sollten die Fahrzeuge an den jeweiligen Rand ihres Fahrstreifens rücken, um Rettungsfahrzeugen die Bahn frei zu machen. Es dauerte noch bis 1970, bis die Idee der Rettungsgasse tatsächlich in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen wurde

1963 hatten die Autobahnen noch keine Mittelleitplanke

Karl-Heinz Kalow gilt damit als Erfinder der Rettungsgasse. Der zum damaligen Zeitpunkt 26 Jahre junge Mann war Polizeihauptwachmeister bei der Verkehrsüberwachungsbereitschaft des Regierungspräsidenten Münster. Jeden Tag fuhr er Streife. Auch die A2, die zu jener Zeit einzige Autobahn im Ruhrgebiet, gehörte zu seinem Zuständigkeitsbereich. Stützpunkt war eine Autobahn-Polizeiwache in der A2-Abfahrt Recklinghausen-Süd.

Bescheidener Verkehrsrevoluzzer: Karl-Heinz Kalow (86), der Erfinder der Rettungsgasse, lebt heute in Münster.
Bescheidener Verkehrsrevoluzzer: Karl-Heinz Kalow (86), der Erfinder der Rettungsgasse, lebt heute in Münster. © Privat | Privat

Untergebracht waren Kalow und sein aus 30 Beamten bestehender Zug zeitweise in der Polizeiunterkunft am Beisinger Weg in Recklinghausen. „Auch damals gab es schon schwere Unfälle und lange Staus“, erinnert sich der heute 86-jährige Münsteraner, der 1996 in Pension ging. Weil noch keine Mittelplanken auf der Autobahn installiert waren, passierte es, dass Lastzüge auf die Gegenfahrbahn schleuderten.

Unfälle auf der A2: „Menschen flogen bei einem Unfall durch die Scheibe“

Auch die Gurtpflicht wurde erst viel später eingeführt. „Erwachsene Menschen flogen bei einem Unfall durch die Scheibe und wurden von nachfolgenden Fahrzeugen überrollt“, berichtet Kalow von schrecklichen Unfällen. In Abgrenzung zur „normalen“ Verkehrspolizei trugen die Autobahnpolizisten weiße Mützen und weißes Koppelzeug. Die mit weißen Porsche-Fahrzeugen ausgestatteten Verkehrsüberwachungsstreifen hießen im Volksmund schnell „Weiße Mäuse“, oder auf Platt: „Witte Müse“.

Nicht immer so vorbildlich: Auch 60 Jahre nach ihrer Erfindung stellt die Rettungsgasse einige Autofahrer vor echte Probleme. Doch wenn Karl-Heinz Kalows Erfindung funktioniert – wie hier, 2018 an der Nahtstelle A52 / B224 – kann sie Leben retten.
Nicht immer so vorbildlich: Auch 60 Jahre nach ihrer Erfindung stellt die Rettungsgasse einige Autofahrer vor echte Probleme. Doch wenn Karl-Heinz Kalows Erfindung funktioniert – wie hier, 2018 an der Nahtstelle A52 / B224 – kann sie Leben retten. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

2007 wurden auch in NRW die bis dahin den Bezirksregierungen unterstellten Autobahnpolizeien den Polizeipräsidien angegliedert. „Ich kann nicht verstehen, warum es manchem Verkehrsteilnehmer heute so schwer fällt, eine Rettungsgasse zu bilden“, sagt Karl-Heinz Kalow. „Jeder sollte sich im Klaren sein,dass er selbst betroffen sein könnte.“ Aber auch die Strafen sind empfindlich: Wer die Vorschrift, bei Stau und stockendem Verkehr eine Gasse frei zu machen, missachtet, muss mit einem Bußgeld von 200 Euro und zwei Punkten rechnen.

100 D-Mark für die Jahrhundertidee „Rettungsgasse“

Wenn Rettungskräfte dadurch behindert werden oder es zu Sachbeschädigungen kommt, kann es bis zu 320 Euro kosten. Zusätzlich droht ein Monat Fahrverbot. Grundsätzlich gilt die Formel: Die äußerste linke Spur fährt weiter nach links, alle anderen nach rechts.

Als Anerkennung für seine gute Idee bekam Karl-Heinz Kalow vom Land Nordrhein-Westfalen übrigens eine Prämie: 100 D-Mark. Bei späteren Erfindungen der Autobahnpolizei Münster war das Land weniger knauserig. 1996 erhielt Autobahnpolizeikommissar Kay-Jürgen Schröder von NRW-Innenminister Franz-Josef Kniola einen mit mehr als 10.000 D-Mark dotierten Preis für den Vorschlag, Fahrbahnverengungen an Autobahnbaustellen nicht erst an der Baustelle, sondern schon 200 Meter früher einzuleiten. Dadurch wurde sowohl die Zahl der Unfälle wie auch der Getöteten in den Baustellenbereichen um mehr als 50 Prozent reduziert, berichtet die Bezirksregierung Münster