Gladbeck/Bottrop. In Gladbeck treffen sich Reservisten der Bundeswehr. Geschichten vom Schießen, von Friedhöfen und der Möglichkeit, in die Ukraine zu müssen.

„Mit dem Schießen kriegt man die meisten.“ Klingt martialisch, ist es in dem Fall aber gar nicht. Denn da spricht ein Reservist der Bundeswehr, Mitglied in der Reservistenkameradschaft Bottrop-Gladbeck. Er sitzt beim monatlichen Treffen im Haus Kleimann-Reuer und erzählt, wie man neue Mitglieder erfolgreich lockt: durchs Schießen eben. Hinter so einer Reservistenkameradschaft steckt aber mehr als – Pardon – Ballern und Bierchen.

„Der Dachverband wurde 1960 gegründet, für alle ehemaligen Soldaten, um zu betreuen, zu beraten und zu vertreten.“ Hermann Neukirchen, Stabsfeldwebel der Reserve und Vorsitzender der Gladbecker Kameradschaft, formuliert es noch etwas lockerer: „Niemand soll alleine gelassen werden.“ Das lässt sich Deutschland auch einiges kosten, 18,1 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2020 zum Beispiel.

Gladbecker Reservisten wandern im Hürtgenwald – mit ernstem Hintergrund

Dafür geben die Reservesoldaten aber auch etwas zurück. Manchmal kriegen das die Zivilisten mit, in Gladbeck etwa bei der Kranzniederlegung am Ehrenmal zum Volkstrauertag – natürlich in Uniform, die hat jeder zu Hause, den Flecktarn-Anzug auch. Die Reservetruppe reist aber auch ins Ausland, nach Österreich oder nach Rumänien, zu deutschen Soldatenfriedhöfen, „da haben wir 2011 aus einem Acker wieder einen Friedhof gemacht“. Und auch sonst kommen die Soldaten gut rum: Im belgischen Ypern gedenken sie regelmäßig der Opfer deutscher Giftgasangriffe im Ersten Weltkrieg – und haben so Freunde in Reservetruppen anderer Länder gefunden, inklusive musikalischer Kollegen. Neukirchen zeigt ein Video: „Hier spielt eine belgische Pipes&Drums-Band ,Ich hatt’ einen Kameraden’. Das Lied haben sie für uns eingeübt.“

Ansonsten gehen die Kameraden gerne wandern. „So heißt das zumindest im Volksmund, bei uns sagen wir marschieren.“ Beim 24-Stunden-Lauf für den Kinderhospizdienst zum Beispiel, oder beim Hürtgenwaldmarsch, allerdings nicht bloß zum Spaß, zumindest auf lange Sicht nicht. „Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit“, so heißt es im besten Amtsdeutsch korrekt, und an diesem Punkt wird klar: Reservisten sind immer noch Soldaten, und im Zweifelsfall müssen Soldaten kämpfen.

Was, wenn die Bundeswehr zum Dienst zwingt? „Grenze zur Schweiz schließen“

Dabei ist es nicht unmöglich, aber zumindest unwahrscheinlich, dass die Reservisten an die Front müssen, selbst in Zeiten des Ukraine-Kriegs. Aber gefragt werden sie schon. „Kürzlich wurde ein Brief verschickt, da wurden Reservisten gesucht, die sich auf dem Schützenpanzer Marder auskennen und Russisch oder Ukrainisch sprechen.“ Der Orientierungsmarsch nur mit Karte und Kompass im Oktober kommt auch nicht ohne Hintergedanken daher, „wenn die Russen Jammer (Technik, um Navigationstechnik zu stören, Anm. d. Red.) einsetzen, muss man die Ziele ja trotzdem noch finden können.“ Und das Schießen, mit dem man die meisten kriegt? Eine militärische Übung, „damit die Fähigkeiten nicht einschlafen“.

Infos für die Truppe: Hermann Neukirchen, Stabsfeldwebel der Reserve und Vorsitzender der Reservistenkameradschaft Bottrop-Gladbeck, versorgt die Kameraden mit sicherheitspolitischen Neuigkeiten.
Infos für die Truppe: Hermann Neukirchen, Stabsfeldwebel der Reserve und Vorsitzender der Reservistenkameradschaft Bottrop-Gladbeck, versorgt die Kameraden mit sicherheitspolitischen Neuigkeiten. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Auch wenn die Bundeswehr nicht eingreift, solange es die Nato nicht tut – ist das nicht ein bedrohliches Szenario für Reservisten? „Der russische Angriff war ja seit 2008 zu erwarten“, da sind sich die Reservisten äußerst abgeklärt einig. Aber trotzdem: Wenn die Bundeswehr alle Reservisten zum Dienst zwingen würde, und das darf sie, was wäre dann? „Dann müssten wir die Grenze zur Schweiz schließen, dann hauen nämlich alle ab.“ Amüsiertes Kichern.

Reservistenkameradschaft: „Ich habe in der Fremde eine Gemeinschaft gefunden“

So weit muss es natürlich nicht kommen, damit die Reservisten der deutschen Gesellschaft helfen. Bergepanzerfahrer im Ahrtal, Unterstützung in Impfzentren, aber alles auf freiwilliger Basis, „man kann sich entscheiden, ob man als Reservist für so einen Truppenteil ,beordert’ werden kann“.

Ganz „ungefährlich“ ist es also nicht, Reservist zu sein, auch wenn ein Einsatz an der Waffe äußerst unwahrscheinlich ist. Wieso macht man dann überhaupt mit? „Das ist eine Berufung“, sagt Neukirchen, und erntet kollektives Kopfnicken. „Hier sitzen die, denen es beim Bund Spaß gemacht hat. Geflucht haben wir alle mal, aber vor allem hat es Spaß gemacht.“ Und die regelmäßigen Vorträge zu sicherheitspolitischen Themen seien auch nicht zu unterschätzen, schließlich erhalte man Informationen, „die man in den Nachrichten nicht bekommt.“

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Und: der Zusammenhalt. „Ich habe hier in der Fremde eine Gemeinschaft gefunden“, sagt ein ehemaliger Marinesoldat – und muss sich einen Spruch gefallen lassen, irgendwas mit Marine, Schiffen und nicht schwimmen können. „Das ist wie überall, man macht Witze übereinander“, sagt Neukirchen mit einem Grinsen, zum Beispiel über Panzerfahrer: „Breit rollen, schmal denken.“

>> WER DARF BEI DER RESERVE MITMACHEN?

  • Eigentlich jeder, der mindestens einen Tag bei der Bundeswehr war.
  • „Man kann hier auch ohne Dienstgrad mitmachen“, erklärt Hermann Neukirchen.
  • Mehr Informationen, auch zu den Terminen der Kameradschaft, gibt es im Internet unter reservistenverband.de.