Gladbeck. In Gladbeck steigen die Zahlen der Kindeswohlgefährdung. Gleichzeitig werden die Unterbringungsplätze knapp. Was das fürs Jugendamt heißt.

Der Erzieherin in der Kita fallen bei einem Jungen häufig blaue Flecken auf, Nachbarn hören das kleine Mädchen nebenan oft laut weinen, die Klassenlehrerin bemerkt bei einer Schülerin Anzeichen von Vernachlässigung: Beim Amt für Jugend und Familie der Stadt Gladbeck nehmen die Meldungen über mögliche Kindeswohlgefährdungen deutlich zu. 573 waren es im vergangenen Jahr, davon kamen 162 von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht.

Glücklicherweise bestätigt sich nicht jeder Verdacht, oder die Eltern zeigen sich kooperativ, erstellen mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus dem Team der Abteilung „Erzieherische Hilfen“ gemeinsam einen Schutzplan, halten sich daran, und die Fachkräfte sehen eine positive Entwicklung. Aber immerhin 22 Kinder und Jugendliche mussten 2022 wegen akuter Gefährdung sofort aus ihren Familien genommen werden. Auch diese Zahlen steigen. 2020 waren es acht, ein Jahr später 16 Fälle.

Suche nach Pflegeplätzen in Gladbeck wird immer schwieriger

„Bei körperlicher Misshandlung, sexuellem Missbrauch oder wenn Eltern ganz offensichtlich überfordert sind, müssen wir die Kinder und Jugendlichen selbstverständlich sofort in Obhut nehmen“, erklärt Abteilungsleiterin Lisa Tymann. Hinzu kamen 37 unbegleitete jugendliche Flüchtlinge, die seit Anfang 2022 in Einrichtungen untergebracht werden mussten. Alarmstimmung möchte Lisa Tymann nicht verbreiten, sagt sie, aber: „Bei den steigenden Zahlen wird es immer schwieriger, Pflegefamilien oder Plätze in stationären Einrichtungen zu finden.“

Lisa Tymann, Abteilungsleiterin “Erzieherische Hilfen
Lisa Tymann, Abteilungsleiterin “Erzieherische Hilfen" in Gladbeck, kennt die aktuelle Problematik: „Bei den steigenden Zahlen wird es immer schwieriger, Pflegefamilien oder Plätze in stationären Einrichtungen zu finden.“ © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

154 Dauer- und Bereitschaftspflegefamilien gibt es in Gladbeck und Umgebung. „Dort versuchen wir, vor allem Kinder vom Säuglingsalter bis zu sechs Jahren unterzubringen“, sagt Lisa Tymann. Doch das gelinge nicht in allen Fällen: „Mit hochbelasteten oder traumatisierten Kindern sind Pflegefamilien häufig überfordert. Dann müssen wir auch für die Kleinen einen Platz in einer Einrichtung suchen.“ Nicht nur bei den Jüngsten, in allen Fällen bereitet die Unterbringung angesichts der steigenden Zahlen zunehmend Probleme.

Gladbeck muss sich in Nachbarstädten nach Pflegeplätzen umschauen

„Die Träger haben einfach nicht genügend Plätze, und auch Fachkräfte fehlen“, weiß die Abteilungsleiterin. „Mehrere Leute aus meinem Team sind nicht selten gleichzeitig über Stunden damit beschäftigt, einen geeigneten Platz zu finden. Wir fragen zuerst bei unseren örtlichen Kooperationspartnern an, es sei denn, es gibt Gründe, das Kind oder den Jugendlichen in größerer Entfernung vom Elternhaus unterzubringen, damit es keinen Kontakt gibt.“

In der relativ kleinen Kommune Gladbeck bieten immerhin vier Träger insgesamt sieben Wohngruppen mit zusammen 80 Plätzen an: die Junikum GmbH, die gemeinnützige Jugendhilfe, das Kinder-, Jugend- und Familienzentrum Netzwerk sowie die Kinder- und Jugendhilfe Flow. Doch das Angebot reicht nicht mehr. Lisa Tymann: „Immer häufiger müssen wir unsere Anfragen auf Nachbarstädte und darüber hinaus ausweiten. Und wenn es bei Jugendlichen zum Beispiel auch um Suchterkrankungen wie Mager- oder Spielsucht geht, suchen wir Spezialeinrichtungen bundesweit. Wir haben einen Betroffenen schon am Freitagnachmittag nach Niedersachsen gebracht.“

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Ja, ihr Beruf sei herausfordernd, sagt Lisa Tymann auf Nachfrage: „Wir sehen Kinder, die unvorstellbare Dinge erlebt haben. Das schüttelt man nicht einfach ab. Wir dürfen die Gedanken an die schlimmen Schicksale aber nicht mit nach Hause nehmen. Damit uns das gelingt, führen wir viele kollegiale Gespräche, nehmen Supervision in Anspruch und lenken uns im Privatleben ab.“ Ein Gedanke bleibe trotzdem im Hinterkopf: „Bei allem Einsatz und aller Professionalität können wir nie ausschließen, dass etwas passiert.“

>> DIE ERZIEHERISCHEN HILFEN IN GLADBECK

  • 35 Beschäftige (auch Teilzeitkräfte) arbeiten in der Abteilung Erzieherische Hilfen.
  • Dazu gehören der Allgemeine Soziale Dienst, der Adoptions- und Pflegedienst sowie die Jugendhilfe bei Strafverfahren. Zusätzliche Kräfte werden gesucht.
  • Stellen sind auf der Internetseite der Stadt Gladbeck ausgeschrieben.
  • Auch neue Pflegefamilien werden gebraucht. Interessierte können mit Anja Spikowius, 02043 99 25 84, einen Termin für ein Gespräch über Voraussetzungen, Schulungen, Bezahlung usw. vereinbaren.