Gladbeck. 1993 hat sich die Frühförderinitiative Gladbeck gegründet. Seither macht sie Kinder mit Entwicklungsverzögerung stark. Eine Mutter berichtet.
„Ole kommt unglaublich gerne hierhin“, sagt Eva Wemhoff, wenn sie über ihren fünfjährigen Sohn spricht. Hierhin, damit ist die Frühförderinitiative an der Grabenstraße gemeint. Ole ist nonverbal, heißt er spricht nicht, und hat zudem Förderbedarf im motorischen und im kognitiven Bereich. Bei der Frühförderung erhält er die Hilfe, die er benötigt. Was Eva Wemhoff besonders wichtig ist. Alles orientiere sich an Oles Bedürfnissen. Hier könne er sich in Bewegungs- oder musikalischen Einheiten so ausleben und werde so gefördert, dass er immer wieder Erfolge erlebe.
Seit 30 Jahren gibt es die Frühförderinitiative in Gladbeck schon
Seit 30 Jahren existiert der Verein in Gladbeck inzwischen. Angefangen habe man mit anderthalb Stellen, erinnert sich der Vorsitzender der Frühförderinitiative, Siegfried Schmitz. Er gehört zu den Mitbegründern des Vereins, kann sich noch genau erinnern, wie alles anfing. Als Vater eines mehrfach behinderten Kindes hatte er den Wunsch, dass die Eltern als Experten für ihre Kinder stärker mit eingebunden werden. Das sei zu der Zeit vielleicht noch nicht so üblich gewesen, wie es das heute ist, sagt Schmitz. Aus diesem Wunsch heraus entstand dann der Verein Frühförderinitiative Gladbeck.
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Das Einbeziehen der Familien, das ist es auch, was Eva Wemhoff so wichtig ist. Denn: „Auch mir als Mutter eröffnen sich neue Perspektiven auf mein Kind, ich bekomme hier vieles an die Hand, das mir hilft, mein Kind auch zu Hause fast nebenbei zu fördern.“ Die Mutter spricht in dem Zusammenhang von „sinnvoll spielen“. Sprich: Für die Kinder ist es ein Spiel, dahinter steckt eine Form der Förderung.
Das Wissensspektrum der Kinder erweitern
Annette Hrosny, Leiterin der Frühförderinitiative, erläutert den Hintergrund. Der Ansatz sei, bei allen Kindern zu schauen, was sie können und was sie mögen, und dass dann zu nutzen. So gehe es etwa darum, bei den Kindern das Wissensspektrum zu erweitern – etwa dadurch, Dinge in Beziehungen zu setzen. Als Beispiel berichtet Annette Hrosny von Bildkarten, die die Kinder ordnen müssen und entscheiden, ob sie etwa ein Tier oder Essen sehen.
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Heute kümmern sich bei der Gladbecker Frühförderinitiative 21 Mitarbeiter – 15 davon als Therapeuten – um rund 120 Kinder. Theoretisch kann mit der Frühförderung direkt mit der Geburt begonnen werden. Denn auch hier gilt der Grundsatz: je früher, desto besser! Bei Kindern, die mit einer Behinderung auf die Welt kommen, ist das noch vergleichsweise einfach umzusetzen. In der Praxis jedoch kämen die meisten Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren zur Frühförderinitiative, berichtet Annette Hrosny. Dann falle etwa auf, wenn es mit dem Sprechen nicht so richtig klappe.
Erstes Beratungsgespräch bei der Frühförderinitiative
Oft werde auch im Kindergarten eine Entwicklungsverzögerung bemerkt, Erzieherinnen sprechen Eltern an, und auf diesem Wege kommt ein erster Kontakt zur Frühförderinitiative zustande. „Wir bieten ein erstes Beratungsgespräch an, Eltern können hier ihre Sorgen oder Beobachtungen vortragen, das Kind auch mitbringen und wir können vielleicht Hinweise geben“, Hrosny. Was die Frühförderinitiative nicht darf: entsprechende Diagnosen stellen. Ein Anrecht auf Förderung bei den Logopäden, Heilpädagogen oder Physiotherapeuten der Frühförderung hat nur, wer eine entsprechende ärztliche Verordnung hat.
Der Bedarf ist groß. Auf der Gladbecker Warteliste stehen rund 40 Kinder. Was die Experten der Frühförderung auch beobachtet haben: Derzeit kommen viele Jungen und Mädchen vergleichsweise spät. Annette Hrosny: „Da erleben wir hier dann Kinder, die nächstes Jahr in die Schule gehen sollen, mit denen müssen wir aber Dinge machen, die wir sonst üblicherweise mit Zweieinhalbjährigen machen.“
Problematisch: die Corona-Nachwirkungen und fehlende Kita-Plätze
Woran das liegt? Zum einen liege das sicher auch noch an den Nachwirkungen von Corona, sagt die Leiterin der Frühförderinitiative. In Zeiten von Kita-Schließungen seien solche Bedarfe womöglich nicht aufgefallen. Problematisch in Gladbeck sei auch die Menge der fehlenden Kita-Plätze. Fast 1000 Kinder haben keinen Platz bekommen, fast 60 kommen im nächsten Jahr in die Schule und haben bisher noch keine Kita besucht. Wobei: Nicht alles ist ein Fall für die Frühförderung. Hapert es vielleicht lediglich bei der deutschen Sprache, ist ein Sprachschule womöglich der richtige Anlaufpunkt.
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Seit Anfang 2022 hat die Frühförderinitiative nun schon ihr neues Domizil an der Grabenstraße 13 bezogen. Endgültig abgeschlossen waren die Arbeiten erst im Frühjahr diesen Jahres, sagt Siegfried Schmitz. Am Freitag findet die offizielle Eröffnung mit geladenen Gästen statt, geplant ist auch ein Fest für Familien der Frühförderung – aktuelle wie ehemalige.
Eltern sollten Angebote auf jeden Fall wahrnehmen
Seit 2009 sei der Verein auf der Suche gewesen nach einem Grundstück oder einer passenden Immobilie, weil man am alten Standort an der Luisenstraße aus allen Nähten geplatzt sei. Ein Vorstandsmitglied – von Beruf Architekt – habe dann den nötigen Umbau an der Grabenstraße in die Wege geleitet. „Wir mussten das Haus komplett barrierefrei umbauen“, sagt Schmitz. Dafür wurde im Treppenhaus sogar ein Aufzug installiert, damit auch die Therapieräume in den oberen Etagen erreicht werden können. Kurz nach dem Umzug habe man sogar noch weitere Räume, die ursprünglich vermietet waren, übernommen, sagt Annette Hrosny. Es war einfach schon wieder zu eng geworden.
Eve Wemhoff jedenfalls rät allen Eltern, Angebote wie die Frühförderung wahrzunehmen. „Die Scheu, eine Behinderung oder eine verzögerte Entwicklung feststellen zu lassen, ist am Ende für das Kind viel schlechter.“