Gladbeck. Blinde und Menschen mit Sehbehinderung stehen täglich vor großen Hürden. Mit welchen Gadgets und Tricks sie ganz alltägliche Dinge meistern.

„Der Wunsch, vernünftig auszusehen, endet nicht damit, dass man es selbst nicht mehr sieht.“ Johannes Willenberg grinst. „Grün“, sagt die Fernbedienung in seiner Hand, und hat recht: Das Blatt Papier ist wirklich grün. Die Fernbedienung ist natürlich keine, es ist ein Farberkennungsgerät für sehbehinderte und blinde Menschen. „Da gehen Sie morgens mit zum Kleiderschrank und stellen sich ihr Outfit zusammen. Und wenn Sie einen hässlichen, matschgrünen Pulli von der Mutter geschenkt bekommen haben, den Sie tragen müssen, wenn sie zu Besuch kommt: Dann können Sie persönlich noch einen Zusatz in das Gerät sprechen.“

Was nach einer Technikspielerei klingt, bedeutet für Menschen mit Sehbehinderung ein Stück Lebensqualität. Und Betroffenen diese Hilfsmittel nahezubringen, das ist Johannes Willenbergs Job. Er ist mobiler Berater des Angebots „Blickpunkt Auge“ des Blinden- und Sehbehindertenvereins Westfalen, und heute steht er mit dem knallgrünen Bus auf dem Gladbecker Marktplatz. Sein Auftrag: Beratung für Blinde und Sehbehinderte, auch für Menschen, die noch nicht im klassischen Sinne sehbehindert sind, deren Sehkraft aber abnimmt.

Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte: Farberkenner, Lupen, Brillen

Beratung zum Beispiel eben dazu, welche Hilfsmittel es gibt. Das Farberkennungsgerät zum einen, zum anderen ist da die elektronische Lupe. Die kann viel mehr als ihre gläserne Schwester, nicht nur, weil sie winzige Buchstaben sehr lesbar sehr groß auf ihrem Bildschirm zeigt, sondern weil sie auch „einfrieren“ kann – etwa, um eine kleingedruckte Telefonnummer anzuzeigen.

Mehr als nur eine Lupe: Eine elektronische Lupe hat Zusatzfunktionen, neben einem Zoom kann sie eine Textstelle, etwa eine Telefonnummer, auch „einfrieren“.
Mehr als nur eine Lupe: Eine elektronische Lupe hat Zusatzfunktionen, neben einem Zoom kann sie eine Textstelle, etwa eine Telefonnummer, auch „einfrieren“. © Funke Foto Services | Christoph Wojtyczka

Der Kantenfilter kommt nicht so hochtechnologisiert daher – er ist bloß eine Brille. Allerdings eine, die blaue Lichtfrequenzen herausfiltert, im Spektrum bildet sich eine Kante, daher der Name. „Blaue Lichtfrequenzen blenden besonders stark“, sagt Willenberg, „so stark, dass sie bei Menschen mit abnehmender Sehkraft das restliche Sehen überlagern.“ Die Brille schafft Abhilfe, und das sogar ziemlich günstig, bei einem bekannten Autoteilehändler etwa kostet sie als Nachtfahrbrille 12,90 Euro.

Blind oder sehbehindert: Kleine Tricks für mehr Lebensqualität

Viele der anderen Hilfsmittel gibt es mit Rezept des Augenarztes bei Fachhändlern oder bei Optikern – aber nicht bei der mobilen Beratung, „wir wollen unabhängig bleiben“. Dafür erhalten Interessierte dort alle Infos, etwa über den Einkaufsfuchs. Der hat 2,5 Millionen Produkte eingespeichert und verrät mit einem Scan des Barcodes, welche Leckerei man da gerade in der Hand hält. Oder den Penfriend: ein großer Block Barcodes und ein Stift. Die Barcodes kann man selbst besprechen, kommt der Stift in die Nähe, liest er laut vor. „Schwarzer Pfeffer“, „Milch“ und so weiter. „Wenn man mehrere Freundinnen hat, hilft er dabei, sie auseinanderzuhalten, einfach einen Strichcode auf den Rücken kleben.“ Johannes Willenberg grinst wieder.

Dazu kommen kleine Hausmittelchen, die bei Problemen helfen, über die sich wohl die wenigsten Sehenden jemals Gedanken gemacht haben. „Behinderungsbewältigung“ nennt Johannes Willenberg das. Ein Silikonklebepunkt an die 180-Grad-Einstellung des Backofens etwa – kein verbranntes Mittagessen mehr. Ein Pfeifenreiniger um den Hals der Shampooflasche – und man reibt sich nicht mehr mit der Bodylotion die Haare ein.

Seelsorge ist Teil des Jobs: „Blindwerden ist stark angstbelastet“

Ein bisschen Seelsorge gehört auch zum Job von Willenberg und seinen Kollegen. „Wer blind wird und sagt, er hat keine Angst, der lügt“, so der Fachmann; er muss es wissen, er ist selbst blind. So wie alle Berater blind oder sehbehindert sind, es helfe, als positives Beispiel voranzugehen: „Ich habe es auch geschafft.“ 500 Beratungen am Bus hat es schon gegeben, seit April ist er unterwegs, es zeigt sich – der Bedarf ist da.

„In Lippstadt kam eine Frau zu uns, 50 Jahre alt, zwei Teenager-Töchter, alleinerziehend. Sie hatte die Diagnose Usher-Syndrom bekommen.“ Johannes Willenberg schaudert. Usher-Syndrom, das heißt, verkürzt: blind und taub gleichzeitig. „Es ist unglaublich, was dann in einem Menschen vorgeht. Auch dafür sind wir da. An welche Spezialisten kann ich mich wenden? Wie beantrage ich Blindengeld? Und so weiter. Da helfen wir.“

Nicht alle Geschichten sind so tragisch. Willenberg erinnert sich an eine alte Dame, mit der er am Bus über ihre Sehbehinderung plauderte. „Auf einmal sagt sie: ,Ich muss jetzt los, Kuchen backen. Ich werde morgen 92.’ Setzt sich aufs Fahrrad und fährt weg.“ Johannes Willenberg grinst wieder.

>> KONTAKT ZU BERATUNGSSTELLE „BLICKPUNKT AUGE“

  • Johannes Willenberg ist telefonisch unter 0231 55 75 90 90 und per E-Mail an mobileberatung@bsvw.de zu erreichen.
  • Die Bezirksgruppe Gladbeck-Dorsten des Blinden- und Sehbehindertenvereins Westfalen ist telefonisch unter 01578 58 78 83 81 oder per E-Mail an gladbeck-dorsten@bsvw.de zu erreichen.
  • Die Bezirksgruppe trifft sich an jedem zweiten Dienstag im Monat in Dorsten, der Bus der mobilen Beratung steht ungefähr alle acht Wochen in Gladbeck.