Gladbeck. Bei einer bundesweiten Reichsbürger-Razzia wurden Pläne für einen Staatsstreich entdeckt. In Gladbeck marschieren Anhänger wöchentlich auf.
Die erschreckenden ersten Erkenntnisse der bundesweiten Anti-Terror-Razzia vom Mittwoch, dass rechtsgerichtete Kräfte aus der Reichsbürger- und Verschwörungsideologen-Szene einen gewaltsamen Staatsstreich vorbereitet haben, kann auchin Gladbeckbeunruhigen. Denn auch hier treten seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie Staatskritiker zunehmend offen und regelmäßig in der Innenstadt auf, um bei ihren Versammlungen und jüngst auch bei ihren auf die Stadtteile ausgeweiteten Aufzügen radikale Thesen zu verbreiten. Die dabei mitgetragenen Transparente verweisen auf eine Gruppierung, die reichsbürgertypische Inhalte propagiert.
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Die ersten Querdenker hatten sich in Gladbeck 2021 im Rahmen der Corona-Pandemie als Impf- und Schutzmaskengegner stärker formiert – mit seither regelmäßigem Treff am Rathaus, auch diesen Donnerstag. Von anfangs gut 100 Teilnehmenden, die lautstark durch die City zogen, sei die Anzahl der Andersdenker „mittlerweile auf knapp zehn Personen gesunken, so dass nur noch Mahnwachen angemeldet werden“, so Polizeisprecher Andreas Wilming-Weber.
Regelmäßig erfolgen Aufzüge durch wechselnde Stadtteile in Gladbeck
Neben diesen Veranstaltungen würden seit Anfang September aber regelmäßig auch an Dienstagen Aufzüge mit rund 30 Teilnehmenden angemeldet, „die durch wechselnde Stadtteile geführt haben“. Wie auf einem Video im Internet zu sehen ist, wird mit Trillerpfeifen, Megafon, Trommeln und einem Wortführer lautstark Kritik am Staat geübt. Große mitgeführte Transparente verweisen auf die Nationalversammlung der so genannten „Verfassungsgebenden Versammlung“ (VV), die zur Reichsbürger-Szene zählt.
Diese Gruppierung ist laut Homepage der Polizei NRW durch mehrere Schreiben und E-Mails des fiktiven „Bundesstaats Deutschland“ bekannt geworden. In diesen werden reichsbürgertypische und verfassungsfeindliche Inhalte verbreitet. Die VV betrachtet sich als einzig legitimer Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches nach Ausrufung eines Bundesstaates Deutschland und Verabschiedung einer eigenen Verfassung. Die VV ist bundesweit vernetzt. Die Substrukturen untergliedern sich in „Stammtische“, unter anderem in Nordrhein-Westfalen. Laut Verfassungsschutz gehörten diesen 2021 landesweit etwa 125 Mitglieder an, die versuchen, auch jüngere Personen für ihre ideologischen Ziele zu gewinnen.
Polizei entzieht Reichsbürgern sofort ihre zugelassenen scharfen Waffen
Der Verfassungsschutz bewertet die Reichsbürger und Selbstverwalter, die oft auch eine hohe Affinität zu Waffen hätten, als „Bestrebung mit erheblichem Gefährdungspotenzial“. Polizeisprecher Wilming-Weber sagt: „Sobald wir Erkenntnisse haben, dass eine Person in unserem Zuständigkeitsbereich der Reichsbürger-Szene zuzuordnen ist, wird sofort überprüft, ob auf diese scharfe Waffen zugelassen sind“. Sollte dies der Fall sein, würden diese schnellstens entzogen.
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Reichsbürger-Straftaten haben stark zugenommen
Die Anzahl der Gesamtstraftaten im Zusammenhang mit Reichsbürgern/Selbstverwaltern hat laut Verfassungsschutz NRW 2021 im Vergleich mit dem Vorjahr von 49 auf 69 Taten um 40,8 Prozent zugenommen. Unter diesen Taten sind acht Gewaltdelikte zu verzeichnen. Sieben der Gewaltdelikte wurden 2021 aufgeklärt (87,5 Prozent).
NRW-Innenminister Herbert Reul zeigt sich im Verfassungsschutzbericht besorgt, dass die Versuche, „die bürgerliche Mitte für extremistische Gedanken zu vereinnahmen“, zugenommen haben. Er versichert, aktuelle Existenzängste ernst zu nehmen und verweist auf den bundesweit ersten aufklärenden Sonderbericht der NRW-Behörde zu Verschwörungsmythen und Corona-Leugnern.
Der Jahresbericht des Verfassungsschutzes NRW warnt vor einer wachsenden Reichsbürger-Szene im Land, nennt für das Jahr 2021 die Zahl von 3400 Mitgliedern, Anhängern und Unterstützern (Mitte 2018 waren es 2750). Inhaltlicher Konsens seien Behauptungen, dass die Bundesrepublik lediglich eine GmbH sei und die städtischen Behörden deshalb nur „Scheinbehörden“. Dies zeige sich unter anderem im Verweigern von Steuerzahlungen und dem Nichtanerkennen von Bescheiden sowie offen aggressivem auftreten gegenüber Behördenmitarbeitern.
Bislang verliefen alle Aufzüge in Gladbeck gewalt- und störungsfrei
Dies wurde auch schon im Gladbecker Rathaus offensichtlich, durch Bürger, die ihren Personalausweis abgeben und einen ,Reichsausweis’ forderten (2016 zehn Fälle). In den vergangenen beiden Jahren habe es dazu aber keinen Antrag mehr gegeben, so die Pressestelle der Stadt. Die kommunale Ordnungsbehörde habe die Entwicklung im Blick, die letztlich aber im Verantwortungsbereich der Polizei liege. Polizeisprecher Andreas Wilming-Weber unterstreicht, dass die Behörde das Recht auf Versammlungs- und Redefreiheit achte, „das auch für Anhänger der Querdenker- und Reichsbürgerideologie gilt“. Bislang seien alle dazu von Gladbecker Privatpersonen angemeldeten Aufzüge „gewalt- und störungsfrei abgelaufen“.