Gladbeck. Vor 28 Jahren wurde bundesweit die erste Schwarz-Grüne Koalition in Gladbeck beschlossen. Sie ist Wegbereiter für die aktuelle Koalition in NRW.

Die schwarz-grünen Verhandlungen auf Landesebene befinden sich in Düsseldorf im Zieleinlauf. Der Koalitionsvertrag steht und soll auf dem Parteitag am Samstag beschlossen werden. Was wohl in diesen Tagen weniger bewusst ist, dass die historische Premiere in NRW in Gladbeck ihre Wegbereiter hatte. Denn 1994 wurde hier landes- wie auch bundesweit zum ersten Mal eine Schwarz-Grüne Koalition geschmiedet. Damals eine Sensation und aktuell guter Grund für einen Rückblick mit damals beteiligten Politikern.

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„Die Grünen wie wohl auch die SPD sind damals vom Ergebnis der Kommunalwahl überrascht worden“, sagt Zeitzeuge Georg Laacks, der bis heute grüne Politik in Gladbeck macht. Habe doch die SPD seit Mitte der 1970er Jahre mit Bürgermeister Wolfgang Röken und Fraktionschef Manfred Braun mit SPD-Mehrheit (Wahl 1989 Ergebnis 54,2 Prozent) die Stadt regiert. Letzterer habe sich, wie der Bürgermeister seiner Hausmacht bewusst, selbstherrlich aufgeführt, „so dass er nicht von ungefähr auch Ayatollah Braun genannt worden ist“, beschreibt Laacks das angespannte politische Klima.

Grüne Themen wurden im Gladbecker roten Stadtparlament vor 28 Jahren abgewürgt

Georg Laacks mit dem Beriocht der WAZ 1994, dass die bundesweit erste Schwarz-Grüne Koalition in Gladbeck steht.
Georg Laacks mit dem Beriocht der WAZ 1994, dass die bundesweit erste Schwarz-Grüne Koalition in Gladbeck steht. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Die Grünen, seit 1984 im Stadtparlament und dort vor 28 Jahren mit drei Sitzen vertreten, seien vom SPD-Chef nicht akzeptiert, jeglicher Versuch, politische grüne Themen in die Diskussion einzubringen, abgewürgt worden. Laacks berichtet: „Immer, wenn wir für die Tagesordnung einen Antrag gestellt haben, ist dieser zu Beginn der Sitzung von der SPD abgesetzt worden.“ Grüne Themen kamen so im politischen Diskurs des Stadtparlaments nicht vor. Zudem habe Braun oft rüde gegen die Grünen gewettert, die schlecht angezogen seien, stinken würden. Ratsherr Mathias Strehlke musste sich bei einer Sitzung gar anhören, er sei so wenig schlau „wie ein dickes Schwein hoch springen kann“.

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Gleichwohl hatten die Gladbecker Grünen 1994 eher die Absicht, mit der SPD auf lokaler Ebene zu koalieren, erzählt Laacks. Dies mit Blick auf die anstehende NRW-Landtagswahl 1995 und die Landesgrünen, die beabsichtigten, an der Seite des Seniorpartners SPD in die Landesregierung einzuziehen. In Gladbeck bestand bei Grünen und CDU zudem Hoffnung auf mildere Töne aus dem Rathaus, da Strippenzieher Röken angekündigt hatte, nicht mehr zur Bürgermeisterwahl antreten zu wollen und der designierte SPD-Kandidat, Stadtdirektor Joachim Hennecke, auch den Respekt der Grünen hatte.

Gladbecker Kuchen-Connection machte den Weg für Schwarz-Grün frei

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur, Vorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen, stellten am Donnertsagmittag den Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün in NRW vor. Der Weg dafür wurde erstmals in Gladbeck 1994 bereitet.
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur, Vorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen, stellten am Donnertsagmittag den Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün in NRW vor. Der Weg dafür wurde erstmals in Gladbeck 1994 bereitet. © dpa | David Young

Röken habe den ausgeguckten SPD-Nachfolger dann aber selbstherrlich als Kandidat verdrängt, erzählt Georg Laacks. „Eigentlich wollte sich Wolfgang Röken auf seinen Posten als Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr konzentrieren. Man munkelte aber, dass er damit überfordert gewesen sei, so dass er sich selbst kurzum als Bürgermeisterkandidat aufstellte“. Ein Verhalten, das auch innerhalb der Gladbecker SPD für Widerspruch gesorgt habe, „so dass die anderen Parteien in Gladbeck zur Wahl eine Schwächung der SPD und eigene Stärkung durch abgewanderte Protest-Stimmen erhofft hatten“.

Das Wahlergebnis hätte dann aber alle deutlich überrascht: Die SPD sackte von 54 auf 44 Prozent und die Tatsache, dass die von SPD-Protestlern gegründete Bürgerliste BiG letztlich doch die Fünfprozenthürde übersprang und damit zwei Sitze erringen konnte, kehrte die Mehrheit im Gladbecker Rat um. Denn CDU (19 Sitze), Grüne (5 Sitze) und BIG kamen zusammen auf 26 Sitze, einen mehr als die SPD. Mit dieser völlig neuen Perspektive seien dann auch Gespräche zwischen CDU und Grünen angelaufen. Eine Art Gladbecker Kuchen-Connection, „da bei gedecktem Apfelkuchen daheim bei CDU-Chefin Maria Seifert (gest. 2020) zuerst verhandelt wurde“, so Laacks mit Blick auf die legendäre Pizza-Connection. Jungpolitiker, die 1995 in einem Restaurant in Bonn auf Bundeseben den Grundstein für Schwarz-Grüne-Annäherung legten.

Ein sachorientiertes Bündnis, um den roten Filz in Gladbeck aufzubrechen

Der damals Grüne Verhandlungsführer Mario Hermann nutzte mit Maria Seifert (CDU) 1994 die Gunst der Gladbecker Wähler, um die erste Schwarz-Grüne Koalition in Deutschland zu schmieden (Archivbild aus 2015).
Der damals Grüne Verhandlungsführer Mario Hermann nutzte mit Maria Seifert (CDU) 1994 die Gunst der Gladbecker Wähler, um die erste Schwarz-Grüne Koalition in Deutschland zu schmieden (Archivbild aus 2015). © Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Die Chemie zwischen Seifert und dem damaligen Verhandlungsführer Mario Hermann (gest. 2017), einem Grünen-Realo, stimmten. Da zudem der in allen Lagern respektierte Leiter des Sozialdezernats und Beigeordnete Eckhard Schwerhoff als CDU-Bürgermeisterkandidat ins Spiel gebracht wurde, begünstigte dies die Gespräche, so dass schließlich die Koalition am 29. Oktober 1994 stand. „Ein sachorientiertes Bündnis, um den roten Filz in Gladbeck aufzubrechen, die SPD in die Opposition zu schicken und endlich auch unsere Themen platzieren zu können“, so Laacks.

Er habe das auch als Win-Win-Situation gesehen, sagt Alt-Bürgermeister Eckhard Schwerhof (78) im Telefonat mit der WAZ. Der Beigeordnete wurde (nach kurzer Interimsbürgermeisterin Maria Seifert) mit der Einstimmen-Mehrheit von CDU, Grünen und BiG gewählt. Er erzählt, dass sich entgegen etwaiger Befürchtung aus den Lagern gezeigt habe, „dass die Koalitionsabsprachen zwischen CDU und Grünen verlässlich eingehalten wurden“.

SPD versuchte den neuen CDU-Bürgermeister durch Angriffe amtsmüde zu machen

Eckhard Schwerhoff (CDU) wurde von der Schwarz-Grünen Koalition mit der Bürgerliste BIG 1994 zum Bürgermeister gewählt.
Eckhard Schwerhoff (CDU) wurde von der Schwarz-Grünen Koalition mit der Bürgerliste BIG 1994 zum Bürgermeister gewählt. © WAZ | Ulla Michels

Für ihn als Bürgermeister sei es gleichwohl „außerordentlich schwierig gewesen“, mit der SPD und einer bislang rotdominierten Verwaltung im Rathaus zu arbeiten. „Die SPD hat besonders zum Anfang meiner Amtszeit jede Sitzung genutzt, um mich als Bürgermeister anzugreifen und amtsmüde zu machen.“ Er habe klar gemacht, dass das nicht gelingen werde und innerhalb seiner zehnjährigen Amtsführung letztlich einiges mitbewegen können, zum Beispiel eine Schulausbauoffensive mit Aus- und Anbauten wie sie jetzt auch wieder nötig sei. Auch den Bau der Moschee an der Wielandstraße sei er offen angegangen. Schwerhof nennt zudem die Wiederherstellung des Marktplatzes oder eine bürgernahe und bürgerfreundliche Stadtverwaltung durch Ausdehnung der Öffnungszeiten und den Bau von Kreisverkehren (Schützen-/Wilhelmstraße, Postallee/Humboldtstraße, Horster-/Rossheidestraße, Zweckel) unter seiner Ägide.

Die landes- wie bundesweit erste Schwarz-Grüne Koalition in Gladbeck zerbrach indes nach zwei Jahren. Ein Ratsmitglied der Bürgerliste BiG scherte aus dem Dreierbündnis aus, um künftig mit der SPD abzustimmen, die so mit einer Stimme fortan die Mehrheit hatte.

Koalition in Gladbeck kann Vorbild für Schwarz-Grün in NRW sein

Laacks wie Schwerhof bewerten abschließend, dass Schwarz-Grün in Gladbeck durchaus Vorbild für die Koalition auf Landesebene sein könne. Wichtig sei, dass die handelnden Personen fair und verlässlich miteinander umgehen, pragmatisch und praxisbezogen zusammen gearbeitet werde. „CDU und Grüne haben viel mehr miteinander zu tun, als die politische Gegensätzlichkeit vermuten lässt“, sagt Gregor Laacks. Beider Politik fuße zum Beispiel auf der wichtigen Basis, „die Schöpfung bewahren zu wollen“.