Recklinghausen/Gladbeck. Die Kreisstädte mit Gladbeck arbeiten gemeinsam an der Digitalisierung. Tipps kommen von einem Konzern-Manager. Er spart auch nicht an Kritik.

Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der zehn kreisangehörigen Städte und der Landrat des Kreises Recklinghausen haben sich eine interkommunale Zusammenarbeit bei der Digitalisierung auf die Fahnen geschrieben. Der Manager eines großen Energiekonzerns ist davon überzeugt, dass die Kommunalverwaltungen dabei auch von der Industrie lernen können. Welche Parallelen es da gibt, erläutert er hier.

Der Praxisrat berät den Kreis und seine Städte auf dem Weg zum „Smart District“

Harald Heß ist im Eon-Konzern Senior Vice President Technology & Innovation. Zudem gehört er auf Kreisebene einem „Praxisbeirat“ an, dessen Mitglieder aus Wirtschaft und Gesellschaft sich bereiterklärt haben, den Kreis Recklinghausen und seine Städte auf dem Weg zum „Smart District“ zu beraten und zu unterstützen.

Für den Energiekonzern ist die digitale Transformation eines der zentralen Zukunftsthemen und Voraussetzung dafür, die Energiewende erfolgreich zu meistern. Den Kreis Recklinghausen als bevölkerungsreichsten Kreis Deutschlands sieht Hess in der Pflicht, bei der Digitalisierung voranzugehen. Den Kommunen rät er aus unternehmerischer Erfahrung, die Prozesse und Softwarelösungen zu standardisieren und durch gemeinsamen Einkauf Kostenvorteile zu erzielen.

Man sollte sich in die Position der Bürgerinnen und Bürger versetzen

Bei allen Überlegungen zur Digitalisierung müsse der Kunde im Mittelpunkt stehen, sagt der Eon-Manager im Gespräch mit der Redaktion. Gerade für Kommunen sei es extrem wichtig, sich in die Position der Bürgerinnen und Bürger zu versetzen. Effektiv sei es dabei, wenn jede Stadt sich eines Aspektes, einer digitalen Serviceleistung annähme und die Ergebnisse später auf alle Kommunen übertragen würden.

Kreis und Städte im Vest haben bereits beschlossen, die digitale Verwaltung auszubauen. Am Ende soll das Angebot alle kommunalen Services und Angebote umfassen – von der Beantragung eines Personalausweises über die Verlängerung eines Anwohner-Parkausweises, oder die Anmeldung eines Hundes bis zum Stellen eines Bauantrags. Auch über digitale Lösungen bei der Verkehrslenkung oder über gemeinsame Plattformen für regionale Einzelhändler wird im Vest nachgedacht. Wie die Digitalisierung für eine alters-, familien- und behindertengerechte Quartiersentwicklung genutzt werden kann, ist eine Frage, mit der sich die Experten vom Kreis Recklinghausen aktuell beschäftigen.

Gladbeck ist Mitglied im Zweckverband „Gemeinsame Kommunale Datenzentrale Recklinghausen“

Klimagerechtigkeit funktioniert nicht ohne Digitalisierung

Ein weiterer kompetenter Mitstreiter und Berater auf dem Weg des Kreises hin zum „smart district“ ist Burkhard Drescher, Geschäftsführer der Innovation City Management GmbH (ICM), Bottrop. Ihm und seinem Team ist es in diesem Modellprojekt gelungen, innerhalb von zehn Jahren einen ganzen Stadtteil energetisch zu sanieren und die CO2-Emissionen zu halbieren.

„Eine Stadt klimagerecht umzubauen, geht nicht ohne Digitalisierung“, sagt Drescher aus Erfahrung. Er berichtet von Mikro-KWK-Anlagen – kleinen Kraftwerken in den Kellern der Häuser –, die dezentral Strom und Wärme erzeugen und miteinander kommunizieren. Digital vernetzt sind auch Fotovoltaikanlagen. Das Ziel sei, die Energie dort zu nutzen, wo sie gerade benötigt werde, und ganze Wohnquartiere in der Versorgung autark zu machen.

Weitere Aspekte der Zusammenarbeit zur Digitalisierung erläutert Gladbecks Stadtsprecher David Hennig. So ist die Stadt Gladbeck Mitglied im Zweckverband „Gemeinsame Kommunale Datenzentrale Recklinghausen“ (GKD). „Hier werden zahlreiche IT- und Digitalisierungsthemen kreisweit gemeinsam umgesetzt.“ Die GKD übernehme dabei den kreisweiten Betrieb „großer“ Datenverarbeitungsanwendungen (DV) zum Beispiel im Bereich Ausländer- und Einwohnerwesen sowie die gemeinsame kreisweite Umsetzung diverser Entwicklungsplanprojekte.

Begleitend gebe es außerdem eine Vielzahl von Arbeitskreisen und Projektgruppen, die jeweils entsprechend der individuellen Erfordernissen zusammengesetzt seien, so Hennig weiter. Ein nächstes Treffen der Digitalisierungsbeauftragten der Städte im Kreis zur Umsetzung der „Smart-District“-Pläne sei darüber hinaus für November geplant.

Die Energiewende wird ohne Digitalisierung nicht funktionieren

Ein Projekt, das ebenfalls maßgeblich von der Digitalisierung abhängt, nennt Eon-Manager Heß: die Energiewende. Die Versorgung einer zunehmenden Zahl von E-Autos und Wärmepumpen zum Beispiel setze eine intelligente und flexible Steuerung der Netze voraus, wenn man nicht im großen Stil weitere Gräben für Stromkabel ausheben wolle. In diesem Zusammenhang zeigte sich der Eon-Manager besorgt darüber, dass die intelligenten Stromzähler („Smart Meter“) noch nicht Standard in privaten Haushalten sind. Heß macht dafür „Regulatorik und extrem komplexe Prozesse“ verantwortlich. „Wir suchen nicht den Weg, wie etwas klappt, sondern versuchen so zu diskutieren, dass nichts passiert“, lautet seine Kritik an die Adresse von Behörden und Datenschützern.

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