Gladbeck. Mitglieder des Gladbecker Vereins „Herz und Hände für Tschernobyl“ packten wieder einen Hilfstransport nach Mosyr. Mit auf die Reise geht Wehmut.
Ein Hauch von Wehmut liegt an diesem Samstagmorgen über der Szenerie vor der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck. Denn zum vermutlich letzten Mal tun die 15 Männer und Frauen des Vereins „Herz und Hände für Tschernobyl“ das, wozu die meisten von ihnen seit vielen Jahren immer wieder zusammengekommen sind: Sie verladen unzählige, zuvor gepackte Bananenkartons in einen Lkw. Er wird bald auf dem Weg in Richtung Mosyr im weißrussischen Grenzgebiet sein.
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Der Verein „Herz und Hände für Tschernobyl“, gegründet 1996, macht nach 25 Jahren mit mehr als 1500 Bananenkartons die letzte Spendenlieferung reisefertig. „Durch die Havarie des Atomreaktors von Tschernobyl ist noch bis heute ein Fünftel der weißrussischen Landesfläche kontaminiert“, sagt Knut Busse (75), der für die immer aufwendiger werdenden Zollformalitäten zuständig ist. Neben ihm steht Ingrid Kühne mit trauriger Miene und sagt: „Die Leute warten da auf uns und freuen sich immer riesig, wenn wir kommen.“ Inzwischen seien rund um Mosyr Freundschaften entstanden.
Problem: Jüngere lassen sich kaum für dieses aufwendige Ehrenamt gewinnen
Dass dies alles nun vorbei sein soll, treibt Ingrid Kühn die Tränen in die Augen. „Wir können das alles nicht mehr alleine schaffen“, erklärt sie, die mit ihren 71 Jahren unter den rund 50 Mitgliedern noch zu den Jüngsten gehört. An Spenden fehlt es nicht, auch die Logistik funktioniert. Aber es sei schwierig, Jüngere für dieses Ehrenamt, das mit viel Aufwand verbunden ist, zu gewinnen, so der allgemeine Tenor.
Der Gladbecker Verein wurde vor 25 Jahren gegründet
Derweil rollt Sackkarre um Sackkarre aus der Lagerhalle, be- und entladen von freiwilligen Helfern, die sich für diese Aktion gemeldet haben – gilt es doch, auch die 25 Jahre Vereinsgeschichte gebührend zu würdigen. Deshalb ist auch Ex-Bürgermeister Ulrich Roland mit von der Partie und packt kräftig mit an. Er verliest eine Grußbotschaft von Michael Hübner (MdL), der ebenfalls sein Kommen zugesagt hatte und nun auf der Insel Föhr festsitzt, weil nach dem jüngsten Sturm die Fähre noch nicht wieder in Betrieb ist.
Die verbliebenen Aktivisten von „Herz und Hände für Tschernobyl“ erhalten eine Urkunde, in der ihr „großartiges Zeichen der Solidarität“ lobend anerkannt wird. Hans-Peter Kock, der die Aufgaben vom Anfang des Jahres verstorbenen Mitbegründer des Vereins, Pfarrer Rolf Ehring, übernommen hat, ist nach eigenem Bekunden „sehr traurig“. Aber es scheint, als habe er die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass sich vielleicht doch noch neue Kräfte finden ließen. Dann wäre er sofort dabei, bekräftigt er.
Rückblickend dominiert aber die Wehmut, wenn er an die vielen engen Beziehungen zu den Menschen in der Grenzregion denkt. „Wenn wir dort sind, wohnen wir immer bei derselben Familie.“ Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Menschen dort vergessen worden seien. Nach wie vor, so Kock, würden Kinder mit Schädigungen geboren. Auch Wilhelm Heß (75) ist von Anfang an dabei und bei allen Supermärkten in der Umgebung bekannt und geschätzt. Seit Jahrzehnten sorgt er für die Bananenkartons, die mit den Hilfsgütern gefüllt werden. „Bei den einschlägigen Discountern und Supermärkten werden die Kartons extra für mich aufgehoben“, berichtet Heß.
Letzte Sammlung
„Herz und Hände für Tschernobyl“ hat sich 25 Jahre lang einmal wöchentlich an der Maschinenhalle Zweckel getroffen, um Sachspenden anzunehmen, zu sichten und zu sortieren. Der Verein bittet darum, keine Spenden mehr abzuliefern, da diese nicht mehr angenommen werden können.
Die letzten Hilfsgüter werden wohl am Donnerstag, 28. Oktober, die Zollstation Gelsenkirchen erreichen. Von dort aus geht es weiter in Richtung Weißrussland.
In seinen Kombi passen genau 27 Kartons, hat er ausgerechnet. Dreimal in der Woche war er dafür unterwegs. Heß meint: „Ich schätze mal, dass ich pro Jahr etwa 1000 Kartons eingesammelt habe.“
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Im Frühjahr will der „harte Kern“ des Vereins, noch einmal die Reise nach Weißrussland auf sich nehmen. Dann, um sich von den Menschen dort persönlich zu verabschieden.