Gladbeck. Vor 35 Jahren geschah das Reaktorunglück in Tschernobyl. Hans-Peter Kock erinnert sich und erzählt, wie die Ereignisse sein Leben beeinflussen.
Dieser 26. April im Jahr 1986 hat sich ins Gedächtnis von Hans-Peter Kock aus Gladbeck gegraben. Wen wundert’s, ging dieses Datum weltweit mit dem Stichwort „Nuklearkatastrophe Tschernobyl“ in die Geschichtsbücher ein. Kock erinnert sich, welche Auswirkungen das Unglück auf Menschen in Deutschland hatte – und wie es ihn bis heute beschäftigt.
Auch interessant
Denn der 68-Jährige engagiert sich seit 24 Jahren im Gladbecker Verein „Herz und Hände für Tschernobyl“. Hans-Peter Kock entsinnt sich: „Ich war damals bei der Feuerwehr und hatte an dem Unglückstag Dienst. Wir haben sofort Messungen durchgeführt und Milch weggeschüttet.“ In ersten Meldungen wurde gewarnt, dass Gemüse, Pilze, Obst und Molkereiprodukte wegen der radioaktiven Strahlen, die der havarierte Reaktorblock in der fernen Ukraine freisetzte, nicht genießbar seien.
Pfarrer Dietmar Chudaska: „Gerade die Ernährung nach dem Tschernobyl-Unglück war ein Thema in meiner Familie war, weil die Kontaminierung über ganz Europa zog.“
Das hat auch der evangelische Pfarrer Dietmar Chudaska nicht vergessen. Er erzählt: „Ich war seinerzeit mitten im Studium und im Examen. Ich erinnere mich, dass gerade die Ernährung nach dem Tschernobyl-Unglück ein Thema in meiner Familie war, weil die Kontaminierung über ganz Europa zog. Mein Vater war engagierter Kleingärtner und hatte ein Gespür für Gefahren. Meine Eltern erkannten die Zusammenhänge.“ In der Diskussion stand seinerzeit nicht nur die Frage, was unbedenklich auf den Teller oder ins Glas gelangen kann. Die Strahlenbelastung von Natur und Umwelt besorgte Gladbecker ebenso. Kock: „Auf dem Spielplätzen ist der Sand ausgetauscht worden.“
Auch interessant
Auch wenn diese beunruhigenden Zeiten allmählich verblassen mögen: Tage, an denen der Katastrophe und Opfer gedacht wird, spülen die Bilder von damals wieder hoch – zumal die Folgen auch 35 Jahre danach immer noch sichtbar sind, wenn man die Augen nicht davor verschließt. Jemand wie der Gladbecker Kock und die knapp 50 Mitglieder von „Herz und Hände für Tschernobyl“ haben das Elend nach dem Ereignis im Blick.
Auch interessant
Der Verein kann im Juni seit 25-jähriges Bestehen feiern. Seitdem organisiert er Spendentransporte für die Menschen in der betroffenen Gegend. Der 68-Jährige berichtet: „Ich war selber oft mit in Mosyr, das liegt in Weißrussland in der Grenznähe. Wir haben Kontakt zu einem ehemaligen Molkereifahrer, der wie ein Lotse für uns ist.“ Mosyr sei in etwa so groß wie Gladbeck, dort in der Stadt sei vielleicht die Not nicht mehr so groß: „Da ist es eine Frage des Geldes, ob man etwas bekommt oder nicht.“ Aber: „Auf den Dörfern sieht es ganz anders aus. Da sind die Menschen auf Hilfsgüter angewiesen.“ Das Wasser müsse aus Brunnen geschöpft werden, Straßen seien nicht asphaltiert, vieles fehle an allen Ecken.
Auch interessant
Das Unglück und die Folgen
Tschernobyl liegt im Norden der Ukraine. Zur weißrussischen Grenze sind es gerade einmal ungefähr sieben Kilometer.
Die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl geschah im April 1986. Auslöser war eine Simulation eines vollständigen Stromausfalls mit schwerwiegenden Verstößen gegen die Sicherheitsvorschriften. Ein unkontrollierter Leistungsanstieg führte zu einer Reaktor-Explosion.
Radioaktive Stoffe gelangten in die Atmosphäre und kontaminierten die Region. Doch viele weitere europäische Länder waren wegen des radioaktiven Niederschlags betroffen, der durch Wind weitergetragen wurde.
Die weltweiten gesundheitlichen Langzeitfolgen sind unklar. Fachkreise diskutieren unter anderem eine erhöhte Rate von Krebserkrankungen. Unmittelbar nach der Katastrophe wurde eine Strahlenkrankheit festgestellt, denen Menschen erlagen, sowie genetische Schäden. Unter den gesundheitlichen Folgen leiden nach offiziellen Angaben Millionen Menschen, insgesamt 43 Todesfälle seien direkt auf den Reaktorunfall zurückzuführen.
Der betroffene Reaktorblock wurde zunächst durch einen provisorischen Sarkophag umschlossen. Diesen umgab später eine weitere Schutzhülle.
Bittere Armut sahen die Helfer aus Gladbeck rund um Tschernobyl – auch Kinder, die in Folge der hohen Strahlenbelastung entstellt sind. Dort zu helfen, wo nach wie vor Not den Alltag bestimmt, das liegt Kock und den anderen Ehrenamtlichen am Herzen. Der Gladbecker schildert eine Situation kurz nach der Katastrophe: „In der Nähe des Unglücksortes wurden Dorfbewohner evakuiert. Manche kehrten jedoch zurück. So wohnten in einem Ort zuvor etwa 800 Menschen, von denen 89 zurückgingen. Davon lebt nur noch einer.“ Absolute Stille erlebte Kock in der betroffenen Region: „Kein einziger Vogelpieps.“
Die Gladbecker spenden unter anderem Kleidung, aber auch Hilfsmittel wie Rollatoren. Die Annahmestelle in der Maschinenhalle Zweckel ist allerdings dicht, seit sich das gefährliche Coronavirus weltweit verbreitet. Die Transporte in die Region von Mosyr sind wegen der Pandemie ebenfalls gestoppt. Kock meint hoffnungsvoll: „Wir könnten ad hoc einen 40-Tonner mit mehr als 1300 Kartons bestücken.“ Die derzeitige Lage indes sei wohl weniger positiv einzuschätzen. Der Gladbecker meint: „Wir haben gehofft, wieder im Mai fahren zu können, aber ob das klappt, ist noch offen.“