Gladbeck. Der Gladbecker Sebastian Steinzen tritt als Kandidat im Wahlkreis 125 Bottrop, Gladbeck und Dorsten an. Im Interview offenbart er Überraschendes.

Sein politisches Ziel sei eigentlich immer die Bundespolitik gewesen, „ich würde gerne nach Berlin gehen“, sagt Sebastian Steinzen, der bei der Bundestagswahl für die FDP als Direktkandidat im Wahlkreis Recklinghausen III (Bottrop, Gladbeck, Dorsten) antritt. Realistische Chancen dafür hat es gegeben. Steinzen hat aber selbst sein Ziel kleiner gesetzt. Eine Entscheidung, die viel über seine Persönlichkeit verrät. Nämlich, dass dem 44-Jährigen Loyalität und Freundschaft auch in der Politik offenbar wichtiger sind, als ichbezogenes Machtstreben.

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Denn auf der Kreisdelegiertenkonferenz der FDP ist Sebastian Steinzen nicht gegen Robert Heinze (66, Fraktionsvorsitzender in Marl) im Wettstreit um einen guten Listenplatz angetreten. Er hätte die Kampfkandidatur wohl gewonnen, sagt Steinzen, habe aus Loyalität und Respekt vor dem großen Wunsch seines Parteifreundes mit deutlich höherem Lebensalter aber zurückgezogen. Heinze sei ein guter Kandidat, trage das Herz auf dem rechten Fleck und er sage was ist, „redet nichts schön“. Dessen Lebenstraum, ins Parlament einzuziehen, ist jetzt mit Platz 23 in greifbarer Nähe, wenn die FDP mindestens etwa acht Prozent der Stimmen holt (2017 waren es 10,7 %). Steinzen selbst hat mit FDP-Listenplatz 54 realistisch keine Chance. „Ich selbst bin jetzt 44 Jahre alt, vielleicht kommt meine Chance ja noch“, sagt Steinzen, der sich jetzt in die Sache der FDP stellt, „mit unserer Politik im Wahlkampf zu überzeugen und möglichst viele Stimmen für eine Regierungsbeteiligung der Liberalen zu holen“.

Ansporn: Besser abzuschneiden als bei der Wahl 2013

Direktkandidat Sebastian Steinzen (FDP) verteidigt auch leidenschaftlich Standpunkte, die ihm besonders wichtig sind.
Direktkandidat Sebastian Steinzen (FDP) verteidigt auch leidenschaftlich Standpunkte, die ihm besonders wichtig sind. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Dazu auf die Zahl 781 angesprochen zu werden, sorgt zunächst für einen fragenden Blick. Dies ist die Anzahl der Stimmen aus seiner Geburtsstadt Gladbeck zur Bundestagswahl 2013, wo Steinzen schon mal als Direktkandidat angetreten ist - letztlich nur magere 1,6 Prozent (2372) der Erststimmen im Wahlkreis holte. „Das ist ja dann ein Ansporn, jetzt besser abzuschneiden“, sagt der Kandidat, wohlwissend, das wohl nicht „mein Kopf auf den Wahlplakaten“, sondern der von Spitzenkandidat Christian Lindner die Wähler zieht.

Dessen Eigenschaft, zu allen wichtigen Themen „Klartext und nicht um den heißen Brei herum zu reden“, sei auch seine Linie, sagt Lokalpolitiker Steinzen. Seine Meinungsäußerungen, etwa im Schulausschuss in Gladbeck, fallen in diesem Sinne als stets knapp und sachbezogen auf, wobei er selbst wenig leutselig und eher ernst sowie angespannt wirkt. Eine Beobachtung, die ihn überrascht und sofort nachdenklich beschäftigt. „Eigentlich bin ich gar nicht so.“ Vielleicht liege es daran, „dass Politik für mich eine wichtige und ernste Sache ist“ und FDP-Positionen aus seiner Sicht oft auch im Ausschuss unsachlich angegriffen würden, was ihn ärgere und „dann wohl zu einer Verteidigungshaltung führt“. Denn der Liberalismus (wie er ihn in der FDP verankert sieht) mit seinem Postulat, die individuelle Freiheit des Bürgers und Selbstverantwortung in einer Demokratie zu schützen; Meinungs- , Glaubens- und Gewissensfreiheit zu ermöglichen, als Voraussetzung der Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung, ist Steinzens erklärte politische Heimat und Grundfeste. „Die persönliche Freiheit ist das Wichtigste für mich.“

Mit vier Generationen in einem Haus an der Lindenstraße aufgewachsen

Wahlkampfterimn bei der Kolpingfamilie Bottrop-Kirchellen mit Sven Volmering (CDU), Michael Gerdes (SPD), Lisa Ellermann (DIE LINKE), Kim Wiesweg (Die Grünen) und Sebastian Steinzen (FDP, v.l.).
Wahlkampfterimn bei der Kolpingfamilie Bottrop-Kirchellen mit Sven Volmering (CDU), Michael Gerdes (SPD), Lisa Ellermann (DIE LINKE), Kim Wiesweg (Die Grünen) und Sebastian Steinzen (FDP, v.l.). © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Natürlich fehlt so auch nicht die Schrift des berühmten britischen Philosophen, Politikers und Ökonoms John Stuart Mill „Über die Freiheit“ in der großen Bibliothek des Gymnasiallehrers (Fächer Geschichte, Philosophie, Politik) im großzügigen Wohnzimmer im 270 Quadratmeter-Wohnhaus im Gladbecker Osten, das er mit seiner Partnerin Kristine (43) umgeben von Pop-Art an den Wänden bewohnt. Familiäre Details will der Lokalpolitiker privat halten, der freilich einräumt, das seine Familie im Ort nicht unbekannt sei, betreibt der Vater doch eine Versicherungsagentur. Er selbst sei auch ein Familienmensch, unterstreicht Steinzen aber, mit vier Generationen in einem Haus an der Lindenstraße aufgewachsen. Der wohl die Familie als Basis so schätzt, weil er trotz schwieriger miterlebter finanzieller Lage gleichwohl eine glückliche Jugend im engen Familienzusammenhalt empfunden habe. Der Vater brachte es durch eigenen Antrieb und Fleiß zu Wohlstand, der auch ihm vieles ermöglichte. Nach dem Familienleitspruch „nie gab es mehr zu tun“, der auch ihn entschieden geprägt habe.

Die wichtigsten Themen aus dem bundesweiten FDP-Wahlprogramm werden auch von Direktkandidat Sebastian Steinzen bei seinen Wahlkampfterminen in den Fußgängerzonen von Gladbeck, Dorsten und Bottrop vertreten. Trotz der wichtigen benannten Aufgabe, „die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen“, lehnt Steinzen eine Steuererhöhung ab. In Sachen Klimawandel halte er auch eine Erhöhung der Spritpreise für nicht sinnvoll. „Wir müssen weltweit denken. Ich glaube nicht, dass wir das globale Klima mit Fahrverboten in Bottrop, oder Tempolimits in Gladbeck retten können.“ Bei einer Abkehr von den fossilen Brennstoffen gelte es neue Wege in Sachen synthetische Kraftstoffe zu fördern und einen Ausbau der europäischen Klimapolitik voran zu treiben.

Die FDP werde falsch eingeschätzt, sei auch „eine Sozialpartei für die kleinen Leute“

Beliebter Vertrauens-Lehrer: Sebastian Steinzen mit Teilnehmerinnen des Gambia-Projektes am Dinslaker Otto-Hahn-Gymnasium.
Beliebter Vertrauens-Lehrer: Sebastian Steinzen mit Teilnehmerinnen des Gambia-Projektes am Dinslaker Otto-Hahn-Gymnasium. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Die FDP werde fälschlicherweise auch oft als Partei nur der Gutbürgerlichen und Reichen eingeordnet, sei aber auch „eine Sozialpartei für die kleinen Leute“. Das belege die von der FDP angestrebte große Sozialreform. Die für eine stabile Rente neue Wege gehen wolle, in Form der Förderung einer Aktienrente, „wie uns das schon einige skandinavische Länder mit ihren Staatsfonds vormachen“. Auch bei der Bildung dürfe der Geldbeutel der Eltern nicht über die Zukunftschancen eines Kindes bestimmen. Um den Kindern die beste Schulbildung zu ermöglichen, brauche es eine Reform des Föderalismus’, wobei Bildung nicht mehr reine Ländersache sein könne, sondern künftig auch in Verantwortung des Bundes stehen müsse, wobei die FDP vorschlage, ein Prozent der Mehrwertsteuer für die besser Finanzierung der Bildungslandschaft auszugeben. Alle Themen des Wahlprogramms der FDP sind über deren Homepage einzusehen.

Er sei ihm aber selbst auch ein Anliegen, nicht nur an sich zu denken, sondern sich auch zu engagieren, „damit es anderen Menschen besser geht“. Deshalb ist Steinzen wohl auch Lehrer geworden, der aktuell an einem Gymnasium in Dinslaken unterrichtet. Denn seine eigene Schulkarriere sei zunächst auf dem Ratsgymnasium und dortiger alter Lehrergarde mit Bauchschmerzen verlaufen. Mit Abgang nach der achten Klasse, dann Abschluss an der Anne-Frank-Realschule und der Höheren Handelsschule sei er dann endlich beim Abi am Heisenberg-Gymnasium auf Pädagogen getroffen, die auf die Kinder eingegangen seien. Wohl auch ein befreiender Augenblick für den Heranwachsenden, der da sein Haar lang bis zu den Hüftknochen trägt, sein bis heute gepflegtes Faible für Kunst, Musik und Schlagzeug (Bandmitglied „Felix Kiepe und die Funkzentrale“) Philosophie und Literatur entdeckt. Er sei ein netter Kerl, nur im scheinbaren Gewand eines Eigenbrötlers, sagt Steinzen. Das sehen wohl auch seine Schüler so, die ihn erneut zum Vertrauenslehrer gewählt haben. Der auch ein Stück Kind in sich bewahrt habe, wovon sein ‘Spielzimmer’ im Keller kündet, in dem Spielautomaten, eine Spielekonsole, aber auch ein Pokertisch stehen.

Der Direktkandidat aus Gladbeck wollte „eigentlich immer Schriftsteller werden“

„Aber eigentlich“, verrät Steinzen, „wollte ich immer Schriftsteller werden“. Textmanuskripte hat er schon einige in der Schublade, bislang aber noch nichts bei einem Verlag eingereicht. Das noch zu tun, gebe ihm ein Satz aus Rogers Willemsens „Der Knacks“ Anregung, der ihn wirklich geprägt habe: „Wann wurde man nicht, was man hätt sein können“. Steinzen sagt abschließend, „ich bin wirklich ein offener Mensch, wenn Leute ehrliches Interesse haben, bekommen sie mich zu 100 Prozent wie ich bin.“

Gelegenheit zum Gespräch mit Sebastian Steinzen besteht beim nächsten Wahlkampfauftritt in der Gladbecker Fußgängerzone an der Hochstraße vor Tchibo. Samstag, 25. September, von 10 bis 13 Uhr.