Gladbeck. Ein Mann soll in Gladbeck auf drei Mitarbeiter einer Pizzeria mit dem Auto losgefahren sein. Zuvor hatte es einen Streit gegeben. Darum ging es.

Vor sechs Jahren ist R. aus Rumänien nach Deutschland gekommen. Noch im selben Jahr wurde er erstmals straffällig. Seitdem hat er etliche Gerichtssäle quer durch Deutschland von innen gesehen, sein Vorstrafenregister ist auf zehn Einträge angewachsen, fast ausnahmslos wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss und ohne Fahrerlaubnis bzw. wegen Diebstahls. Jetzt fügte das Schöffengericht am Amtsgericht Gladbeck einen elften Eintrag hinzu.

Der 36-Jährige musste sich wegen mehrerer Delikte verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf ihm gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, gefährliche Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und unter Alkoholeinfluss sowie Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz vor. Am 27. September vergangenen Jahres bestellte R. in einer Pizzeria an der Bülser Straße eine Pizza für seinen vierjährigen Neffen. Weil er keinen Mund-Nasen-Schutz trug, kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Pizzeria. „Er hat vor dem Geschäft herumgebrüllt und das von mir deshalb ausgesprochene Hausverbot ignoriert “, sagte der 38-Jährige aus. Schließlich habe er die Polizei gerufen, die R. des Platzes verwies.

Zwei der Mitarbeiter konnten sich in Sicherheit bringen

Spät am Abend kamen R. und ein Freund dennoch zurück. Er wolle mit ihm reden, sagte er dem Geschäftsführer. Als der das ablehnte, habe R. in seiner Muttersprache laut gebrüllt und gegen sein eigenes Auto getreten, so der Zeuge. „Wir hatten das Geschäft gerade abgeschlossen, ich wollte meine drei Mitarbeiter nach Hause fahren, hatte aber Angst, dass die beiden möglicherweise die Scheiben meiner Pizzeria zertrümmern. Deshalb habe ich wieder die Polizei angerufen.“

Probezeit bei einer Reinigungsfirma

Zu seinem Lebenslauf äußerte sich der Angeklagte nur kurz. Er sei in Rumänien geboren worden und dort sechs Jahre zur Schule gegangen. Der Großteil seiner Familie lebe noch dort, zwei Geschwister seien in anderen europäischen Ländern.

Seinen Lebensunterhalt verdiene er mit dem An- und Weiterverkauf von Autos. Aktuell absolviere er eine Probezeit bei einer Reinigungsfirma.

Der Angeklagte sei ins Auto gestiegen, habe plötzlich Gas gegeben und sei direkt auf die Mitarbeiter, die auf einem Gehweg standen, zugefahren. Zwei konnten sich in Sicherheit bringen, der dritte wurde vom Pkw erfasst, erlitt Verletzungen an den Beinen und eine Gehirnerschütterung, musste ins Krankenhaus gebracht werden. Der 24-Jährige leidet heute noch an den Folgen, sagte er als Zeuge aus.

Der Angeklagte schildert den Verlauf des Abends ganz anders

Nach der Schilderung des Angeklagten war er selbst das Opfer. Die Auseinandersetzung am Nachmittag habe der Geschäftsführer provoziert, weil er den Neffen angebrüllt und ihn selbst mit einem Messer bedroht habe. Spät abends sei sein Ziel nicht die Pizzeria, sondern die benachbarte Bar gewesen: „Mein Onkel war kurz zuvor an Covid 19 gestorben, und bei uns ist es üblich, für einen Verstorbenen eine kleine Feier zu veranstalten“, erklärte R. den Prozessbeteiligten.

Richter Markus Bley sprach in der Urteilsbegründung am Amtsgericht Gladbeck von einer „abenteuerlichen Geschichte“.
Richter Markus Bley sprach in der Urteilsbegründung am Amtsgericht Gladbeck von einer „abenteuerlichen Geschichte“. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Zunächst habe er mit Gästen zu Hause Alkohol getrunken, „Wein, Bier und Schnaps“. Dann seien er und sein Freund zur Bar gefahren. Sein Freund habe am Steuer gesessen. „Als wir ausgestiegen sind, standen sechs oder sieben Leute aus der Pizzeria da. Einer wollte mit einem Baseballschläger auf meinen Freund losgehen. Alle hatten etwas in der Hand, auch Messer. Mein Freund ist weggelaufen, ich bin ins Auto gestiegen, und die haben mit Baseballschlägern die Frontscheibe zertrümmert. Da bin ich weggefahren. Als mein Freund ein Stück entfernt wieder einsteigen wollte, waren die wieder da und wollten uns verprügeln.“ Zum Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung äußerte sich der Angeklagte erst auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters: „Ich habe niemanden gesehen, weil ich aus Angst vor den Angreifern versucht habe, mich beim Fahren zu verstecken. Ich schwöre, das ist die Wahrheit.“

Staatsanwalt und Gericht glaubten dem 36-Jährigen nicht

Das sahen Staatsanwalt und Gericht anders. „Diese Einlassung gehört in die Welt der Märchen“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer, Vorsitzender Richter Markus Bley sprach in der Urteilsbegründung von einer „abenteuerlichen Geschichte“. Übereinstimmend auch ihre Einschätzung der Zeugenausaussagen: detailreich, schlüssig und nachvollziehbar. Der Staatsanwalt forderte, auch wegen der zahlreichen Vorstrafen, der hohen Rückfallgeschwindigkeit und der erheblichen Verletzungen des Angefahrenen eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie ein dreijähriges Fahrverbot.

Der während der Verhandlung äußerst schweigsame Verteidiger fasste sich auch in seinem Plädoyer kurz. Es gebe nichts zu beschönigen, aber sein Mandat sei zum Tatzeitpunkt betrunken gewesen. (Die Blutprobe wenige Stunden später ergab mehr als zwei Promille. Auch Cannabis-Konsum konnte nachgewiesen werden.) Deshalb seien der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr und die gefährliche Körperverletzung nicht vorsätzlich gewesen, sondern fahrlässig. Er plädierte auf eine Haftstrafe, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Das Gericht aber schloss sich der Meinung und der Forderung der Staatsanwaltschaft an. Der Angeklagte sei möglicherweise durch den Alkoholkonsum enthemmt gewesen, am Vorsatz aber bestehe kein Zweifel, so der Vorsitzende Richter. Nun muss der 36-Jährige für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.