Gladbeck. Fachleute der Caritas Gladbeck stellen fest: Die Corona-Krise hinterlässt Schäden bei Kindern. Entwicklungsdefizite gehören zu den Folgen.

Für Brigitte Kleine-Harmeyer und Bernd Nelskamp steht außer Frage: Die Corona-Pandemie hinterlässt tiefe Spuren bei jungen Menschen. Die Folgen aus der Krise graben sich in Kinderseelen ein, stürzen Jugendliche in massive Schwierigkeiten. Das sind die alarmierenden Beobachtungen der Spezialisten vom CaritasverbandGladbeck: Rückschritte in der Entwicklung, die nicht aufzuholen sind, Verhaltensstörungen und psychische Probleme, die eine ganze Familie beeinflussen.

Diplom-Heilpädagogin Kleine-Harmeyer betreut Mädchen und Jungen vom Babyalter bis zu sechs Jahren. Sie stellt fest: „Kinder, die bisher keine besonderen Auffälligkeiten zeigten, sind in Corona-Zeiten emotional sehr labil, schreien, weinen bitterlich, obwohl eigentlich nichts passiert ist.“ Gerade die Dreikäsehochs in der Frühförderstelle, ohnehin belastet, haben laut Expertin eh häufig eine schlechtere Resilienz als andere – also eine geringere Fähigkeit, schwierige Lebenslagen ohne dauerhaften Konsequenzen zu überstehen.

Gladbeck: Eltern mit Neugeborenen sind in der Corona-Krise sich selbst überlassen

Jetzt schon seien Corona-Schäden erkennbar: „Kinder, die wenig Kontakte haben, haben den Bezug zur deutschen Sprache verloren. Sie verlernen Deutsch.“ Motorisch falle zum Beispiel auf: „Die Kinder können nicht mehr selbst schaukeln wie vor der Krise.“

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Sorgen bereiten der Heilpädagogin bleibende Defizite. „Das Gesichter lesen fängt früh nach der Geburt an“, erklärt sie und ist „ziemlich sicher“, dass es um diese neurologische Funktion zukünftig schlecht aussieht. Stichwort: Maskenpflicht. Brigitte Kleine-Harmeyer befürchtet: „Es kann kann sein, dass Kinder nach der Pandemie keine Gesichter erkennen, nur noch die der Eltern.“ Mama und Papa waren den Kurzen ja ohne Mund-Nase-Schutz präsent.

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Brigitte Kleine-Harmeyer, Leiterin der Frühförder- und Beratungsstelle im Caritasverband Gladbeck, erkennt motorische Rückschritte bei Jungen und Mädchen.
Brigitte Kleine-Harmeyer, Leiterin der Frühförder- und Beratungsstelle im Caritasverband Gladbeck, erkennt motorische Rückschritte bei Jungen und Mädchen. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Bauchschmerzen bereitet der Spezialistin die Situation von Müttern und Vätern mit Babies. Kleine-Harmeyer: „Eltern sitzen jetzt mit ihren Säuglingen allein zuhause. Ich erlebe, dass es schwierig ist. Die Kommunikation mit einer Hebamme fehlt. Es gibt keine Eltern-Kind-Gruppen, in denen ein Wissenstransfer möglich ist. Es ist oft niemand da, der alles deutlich erklärt.“

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Bernd Nelskamp, in dessen Ressort Schulkinder und Jugendliche samt Eltern fallen, sieht wie seine Kollegin in der Frühförderstelle diverse Langzeitfolgen. Man denke nur an das Sozialverhalten, wenn Schulklassen wieder zusammenkommen. Beispielhaft lenkt der Familientherapeut den Blick auf eine spezielle Altersgruppe: „Als Kinder sind Schüler ins Homeschooling gegangen. Als Pubertierende kehren sie zurück ins Klassenzimmer. Sie haben den doppelten Nachteil: Die Umstände haben sich gewandelt, und sie sind selbst körperlich veränderte Menschen.“

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Apropos Unterricht zuhause: Das Thema treibt Nelskamp um. Er sagt: „Die Lehrer bemühen sich, aber sie stoßen an ihre Grenzen, allein schon aus zeitlichen Gründen. Homeschooling wirft viele Probleme auf.“ Fachleute sind sich einig: Corona spreizt die Wissensschere immer mehr, Kinder mit mehr Möglichkeiten hier, weniger privilegierte Schüler da.

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Weitere Auskünfte und Kontakt

Brigitte Kleine-Harmeyer ist Leiterin der Interdisziplinären Frühförderung beim Caritasverband Gladbeck. Sie hat ihren Sitz an der Wiesenstraße 28. Kontakt in Corona-Zeiten: per Telefon unter 02043/294930 oder Email an brigitte.kleine-harmeyer@caritas-gladbeck.de, fruehfoerderstelle@caritas-gladbeck.de. Im Internet gibt es Informationen unter „www.caritas-gladbeck.de“.

Das Konzept dieser Beratungsstelle umfasst unter anderem Früherkennung, Prävention, individuelle Förderung und Begleitung von Kindern mit Behinderungen, drohenden Behinderungen oder mit Entwicklungsrisiken sowie Beratung von Eltern.

Bernd Nelskamp leitet die Caritas-Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche. Sie bietet Ratsuchenden Unterstützung durch ganzheitliche Beratung und Diagnostik – bei Beziehungs- und Erziehungsfragen, bei Konflikten und Problemen in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule.

Die Beratungsstelle befindet sich an der Kirchstraße 5. Bernd Nelskamp ist telefonisch erreichbar unter 02043/279185 und über bernd.nelskamp@caritas-gladbeck.de. Der Caritasverband hat telefonische Sprechstunden in den Randzeiten eingerichtet, damit auch Berufstätige sich Unterstützung holen können: dienstags zwischen 19.30 Uhr und 21.30 Uhr sowie donnerstags von 6 bis 8 Uhr.

Der Unterricht in Corona-Zeiten verursacht vielen Kopfschmerzen – und löst psychische Reaktionen aus. Was sagen Mutter und Vater ihrem Kind, das vollkommen erschöpft und entmutigt die Bücher in die Ecke schmeißen will? Die Skala der negativen Emotionen, die auf junge Menschen hereinbrechen, reicht von Wutausbrüchen über Frust bis hin zu Depressionen.

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Der Gladbecker Caritas-Familientherapeut Bernd Nelskamp sieht im Distanz-Unterricht ein großes Problem für Kinder und Jugendliche.
Der Gladbecker Caritas-Familientherapeut Bernd Nelskamp sieht im Distanz-Unterricht ein großes Problem für Kinder und Jugendliche. © FUNKE Foto Services | Dominik Brendel

Die Nerven liegen bei vielen Müttern und Vätern blank: Die Betreuung des Nachwuchses daheim, Homeoffice, vielleicht berufliche und finanzielle Nöte aufgrund der Lockdowns – das kostet Kraft. Nelskamp betont: Der Nachwuchs teilt die Ängste der Eltern, das ist für den Familientherapeuten unübersehbar.

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Er rät, sich sehr bewusst Auszeiten zu schaffen: „Kein Handy, kein Homeschooling, kein Computer. Vielleicht einfach mal bei schönem Wetter rausgehen.“ Pandemieregelkonform, versteht sich.

Tipp eines Experten: Auszeiten nehmen!

Händeringend, bildlich gesprochen, wenden sich Eltern, die nicht mehr ein noch aus wissen, an die Caritas-Fachleute: „Was sage ich meinem Kind? Wie soll ich reagieren, wenn es ausflippt?“ Nelskamp kann kein Patentrezept aus der Tasche ziehen, aber er empfiehlt zunächst: „Eltern sollten ihr Kind bei emotionalen Zusammenbrüchen begleiten. Begleiten heißt auch, die Situation aushalten, akzeptieren und trösten.“

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Brigitte Kleine-Harmeyer erzählt: „Wir haben in der Frühförderung einen festen Kundenstamm. Aber es erreichen uns zurzeit viele, viele Anfragen. Man könnte vermuten, dass wegen Corona der Bedarf steigt.“ Nelskamp meint: „Kinder spiegeln die Belastungen wider. Und je mehr Eltern belastet werden, desto deutlicher wird das. Es wäre dann schon gut, bei uns anzurufen.“

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