Gladbeck. Der Gladbecker Arzt Carsten Rothert spricht über Folgen der Krise wegen des Coronavirus’ für junge Menschen. Auswirkungen auf Körper und Seele.
Die Corona-Pandemie hat alles über den Haufen geworfen – und wird es auch weiter tun. Nicht nur wirtschaftliche Folgen treiben wohl das Gros der Bevölkerung um, sondern auch Schwierigkeiten, die nicht in Euro messbar sind. Was macht die Krise beispielsweise mit unseren Kindern? Stürzt sie die wochenlange Beschränkung der Kontakte in psychische Probleme? Antworten auf diese Fragen gibt Carsten Rothert aus seiner ärztlichen Praxis.
Gladbeck: „Die Sprechstunden wurden vollkommen neu sortiert“
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Der Mediziner berichtet: „In der Anfangszeit der Pandemie wollten die Patienten keine Ärzte sehen, und die Ärzte wollten keine Patienten sehen.“ Zu groß war die Angst, sich anzustecken und das gefährliche Virus zu verbreiten. Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen waren ausgesetzt in der Praxis Grube & Partner. „Wir haben Termine abgesagt. Aber jetzt haben wir die Patienten angerufen und ihnen Termine vorgeschlagen“, berichtet Rothert. Die frühen Vorsorgeuntersuchungen bis U7 wurden als erstes wieder aufgenommen.
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Die Angst vor Corona sitzt immer noch etlichen Eltern in den Knochen. Rothert: „Ein Drittel mussten wir überzeugen zu kommen.“ Doch das Rezept der Fachärzte zum Schutz vor einer Ansteckung mit COVID-19 beruhigte: zeitlich versetzte Akutsprechstunden und Vorsorge, Besuche ausschließlich nach Terminvergabe. Rothert erklärt: „Wir haben die Sprechstunden vollkommen neu sortiert nach den Vorgaben der Ärztekammer und des Verbandes Deutscher Kinder- und Jugendärzte.“ Neben Hygienemaßnahmen ein Baustein im Konzept. Der Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde ergänzt: „Wir haben kein Wartezimmer, keinen Legotisch, keine Bücher.“
Bei den ersten Begegnungen mit den Patienten nach der Zwangspause fragen der 60-Jährige und seine Kollegen bewusst nach: „Wie fühlt Ihr Euch? Was hat Corona für Dich verändert?“ Und die Mediziner erhalten bisweilen verblüffende Antworten, Vor- und Nachteile kamen auf den Tisch. Eine zentrale Erkenntnis bringt Rothert auf die Formel: „Kinder vermissen Kinder!“ Nicht zuerst die Großeltern oder die Erzieherin, sondern Gleichaltrige, etwa in der Nachbarschaft. „Gefühlt fehlt weniger die Schule als Institution“, stellt der Experte fest. Denn eigentlich sei diese Pause vom Lernen ja ganz schön, bekam er auch zu hören.
corona- „für die stadt gladbeck ist es ganz gut gelaufen“Wenn da nicht der Unterricht daheim Kopfzerbrechen bereitete, und das nicht wegen komplizierter Mathearbeiten. So berichtete eine Mutter sogar von Türen, die ihr Nachwuchs eingetreten habe. Stress für Groß und Klein. Doch Rothert stellt klar: „Solche Ausbrüche geschehen bei Kindern, die auch schon vor der Krise beispielsweise hyperaktiv waren.“ Je nach Naturell gebe es andererseits Jugendliche, „die sich depressiv zurückziehen“. Aber: „Es brechen bei den Menschen keine neuen Krankheitsbilder auf!“
Tics wie Augenzwinkern und psychosomatische Beschwerden
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Hingegen könnten Veränderungen auftreten, die bislang kein Thema waren. Dazu gehören Tics wie Augenzwinkern, Zu- und Abnahme des Körpergewichts, Fressverhalten, psychosomatische Beschwerden, darunter Rückenschmerzen. Dass ein Schüler, der vor seinem Abschluss steht, Bauchschmerzen wegen seiner Zukunft hat, ist verständlich.
Weitere Informationen und Kontakt
Die Praxis Grube & Partner, die Kinder und Jugendliche von null bis 18 Jahren versorgt, befindet sich an der Schillerstraße 4 in der Stadtmitte. Noch, denn ein Umzug steht an. Dort, so Carsten Rothert, gebe es mehr Platz, denn am jetzigen Standort seien die räumlichen Kapazitäten erschöpft.
Das dürfte kaum verwundern, betreut das Team mit Dr. Hardy Grube, Dr. Andrea Werner, Dr. Susanne Petzel und Carsten Rothert plus Verstärkung (angestellte Ärzte) pro Quartal tausende junge Menschen.
Grube & Partner wollen in den geplanten Erweiterungsbau des Ärztezentrums Butendorf an der Horster Straße, neben der Heilig-Kreuz-Kirche, ziehen. Das Projekt soll im Herbst 2021 unter Dach und Fach sein.
Rothert und seine Kollegen stellen ebenfalls Schlafprobleme fest: „Besonders bei Jugendlichen, die bis mittags im Bett liegen.“ Das dürfte allerdings kaum verwunderlich sein, wenn gerade junge Leute bis in die Puppen am Computer oder vor der Flimmerkiste hocken. Das Praxis-Team weiß von Kindern zu berichten, die durchschnittlich vier Stunden täglich Fernsehen gucken. Empfohlen werde eine halbe Stunde: „Der Medienkonsum ist generell gestiegen.“
Auch positive Gesichtspunkt des Shutdowns
Bei all den nachteiligen Konsequenzen des Shutdowns kommen den Medizinern durchaus auch positive Gesichtspunkte zu Ohren: „Es gibt Eltern, die berichten von Leistungen ihrer Kinder. So wurden Dreijährige zuhause sauber. Andere Kinder lernten Schreiben, Lernen, Rechnen, Radeln.“ Überhaupt lobt Rothert Mütter und Väter, die „mehr Verantwortung in Erziehungsfragen und Gesundheitsverhalten übernommen haben.“ Bagatelle-Erkrankungen wie Schnupfen kurierten Eltern eigenständig, ohne die Praxis zu besuchen.
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Den Medizinern sei „sehr willkommen, dass die Spielplätze wieder geöffnet wurden“. Das Austoben wirke wie ein Ventil, soziale Kontakte leben wieder auf. Denn ohne solche Verbindungen „kann ein Kind verkümmern“. Rothert: „Wie traumatisch sich die Pandemie langfristig auswirkt, ist zurzeit nicht abzusehen. Aber wir haben gute Perspektiven.“