Gladbeck. Stadtarchivarin Katrin Bürgel und Schauspieler Marco Spohr planen eine Führung mit Lesung. Sie wollen Gladbecker Geschichte Leben einhauchen.

100 Jahre Stadt Gladbeck: eine Zeitspanne mit erfreulichen und weniger heiteren Momenten, Licht und Schatten. Das sagt jemand, der Lokalhistorie schon von Berufs wegen im Blick hat: Katrin Bürgel. Gladbecks Stadtarchivarin betont: „Man muss ja nicht nur feiern, sondern sollte sich auch die Geschichte ansehen.“ Und dazu gehören eben auch düstere Kapitel wie die Zeit des Nationalsozialismus’. Katrin Bürgel und der Hagener Schauspieler Marco Spohr lassen am Freitag, 25. Oktober, „Gladbecker Steine sprechen“ – eine Zusatzveranstaltung zum Jubiläumsprogramm der Stadt.

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Bei dieser Führung samt Lesungen erfahren die Teilnehmer an geschichtsträchtigen Orten, was sich hier unter der Hitler-Herrschaft abgespielt hat. Mutet auf den ersten Blick staubtrocken an wie all die Daten und Fakten, wie sie in Lehrbüchern stehen? Genau das wollen Bürgel und Spohr nicht. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Historie zum Leben erwecken, Persönlichkeiten aus der Vergangenheit auferstehen und von ihren Erlebnissen erzählen zu lassen.

So ist das Alte Rathaus, wo dieser außergewöhnliche Gang beginnt, nicht einfach irgendein Gemäuer. Nein, hier agierten Männer wie Dr. Bernhard Hackenberg. Als Oberbürgermeister von 1932 bis 1945 habe er bedingungslos, so Fachleute, die Politik der NSDAP durchgesetzt. Der alte Ratssaal ist eine Station, eine weitere der Jovyplatz. „An diesem Ort befand sich auch das Polizeiamt mit dem Gestapo-Gefängnis“, so Katrin Bürgel. Und hier wohnte Mathias Jakobs, den die Nationalsozialisten als Sozialdemokraten verfolgten.

Der Sozialdemokrat Mathias Jakobs und Gattin Anna in den 1920er Jahren. Er wurde von den Nationalsozialisten verfolgt. Das historische Foto befindet sich im Besitz des Stadtarchivs Gladbeck.
Der Sozialdemokrat Mathias Jakobs und Gattin Anna in den 1920er Jahren. Er wurde von den Nationalsozialisten verfolgt. Das historische Foto befindet sich im Besitz des Stadtarchivs Gladbeck. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Marco Spohr meint: „In dieser Stadt war man besonders hart.“ Er führt als ein Beispiel an: „Auf dem Marktplatz gab es Vorführungen von Menschen, die Schilder mit der Aufschrift ,Judensau’ um den Hals hängen hatten.“ Solche Szenen will der Hagener hervorheben. Die Stadtarchivarin sagt: „An den Ortszugängen standen Schilder, auf denen stand: ,Juden sind nicht erwünscht’.“

Wittringen war Schauplatz der Bücherverbrennung

Spohr verleiht an den Stationen den Quellen seine Stimme. So wird aus dem „Elf-Punkte-Programm gegen das Judentum“, das Katrin Bürgel als nüchternes Dokument heranzieht, menschliches Schicksal. Der 45-Jährige: „Die Stadtarchivarin führt in die Fakten ein, ich rezitiere und inszeniere die Quellen.“ Was bedeutete es für Betroffene, wenn da schwarz auf weiß beispielsweise geschrieben stand: „Jüdische Schulkinder dürfen nicht gemeinsam mit deutschen Kindern die Schule besuchen“?

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Am Ehrenmal in Wittringen, Endpunkt der historischen Stadtführung, möchte Marco Spohr vor den geistigen Augen der Teilnehmer wieder die Flammen lodern lassen. Jenes Feuer, das bei der Bücherverbrennung geistiges Gut in Asche verwandelte. Was er mit der Macht seiner Stimme und Gestik in den Köpfen seines Auditoriums herauf zu beschwören vermag, hat der Hagener bereits mehrfach bei szenischen Lesungen in Gladbeck, beispielsweise zum Ersten Weltkrieg, eindrucksvoll bewiesen. Wohl kaum einer im Saal konnte sich des Eindrucks erwehren, dass hier Zeitzeugen leibhaftig sprechen.

Ein Zeitzeugnis aus dem Stadtarchiv Gladbeck: Am heutigen Jovyplatz befand sich das Polizeiamt mit dem Gestapo-Gefängnis.
Ein Zeitzeugnis aus dem Stadtarchiv Gladbeck: Am heutigen Jovyplatz befand sich das Polizeiamt mit dem Gestapo-Gefängnis. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Das gemeinsame Schüler-Projekt „Gladbeck unterm Hakenkreuz – nie wieder!“ wurde mit dem Margot-Spielmann-Preis des Jüdischen Museums in Dorsten ausgezeichnet.

Der Hagener Schauspieler Marco Spohr fühlte sich „von der Muse geküsst“

„Es ist die fünfte Veranstaltung, die wir gemeinsam entwickelt haben“, sagt Katrin Bürgel über die Stadtführung mit Lesung. Und aufgrund der großen Resonanz seien die 42-Jährige und der Mime übereingekommen: „Wir dürfen diese Arbeit nicht einschlafen lassen.“ Marco Spohr erzählt mit einem schelmischen Augenzwinkern: „Ich bildete mir in den S-Bahn ein, von der Muse geknutscht worden zu sein.“ Die Idee: eben jenes Projekt am 25. Oktober. Und Katrin Bürgel war prompt von dem Vorschlag eingenommen.

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Schließlich haben beide die Erfahrung gemacht: Historie, lebendig präsentiert, kommt auch bei Geschichtsmuffeln an. Bürgel freut, dass gerade junge Leute bei dieser Art der Pädagogik Interesse zeigen. Vielleicht gehören dann Fragen von 16-Jährigen wie „Was ist ein KZ?“ irgendwann der Vergangenheit an. Daran will das Duo auf jeden Fall weiter arbeiten. Spohr: „Wir legen den Finger immer wieder in die Wunde.“

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Geschichtsinteressierte treffen sich zur gebührenfreien Führung (Kursnummer 128) um 16 Uhr am Eingang des Alten Rathauses, Willy-Brandt-Platz. Etwa zweieinhalb Stunden ist die Gruppe unterwegs. Die Teilnehmerzahl ist beschränkt auf 15 bis 20 Personen. Anmeldungen nimmt die Volkshochschule als Kooperationspartnerin ab sofort entgegen: 992415, vhs@stadt-gladbeck.de