Gelsenkirchen. Der Berliner Kabinettsbeschluss, die Eingliederungshilfe womöglich in die nächste Legislaturperiode zu schieben, provozierte bissige Kommentare in Reihen der Gelsenkirchener SPD- und CDU-Fraktionen. Sie reichen von „blankem Zynismus“ bis zur „Vergewaltigung des Textes des Koalitionsvertrages“.

Die Enttäuschung in der Gelsenkirchener Politik ist riesig. Die Kabinettsentscheidung der Großen Koalition in Berlin, die Eingliederungshilfe (5 Mrd. € pro Jahr) in die nächste Legislaturperiode schieben und mit der vorgelagerten Entlastung (1 Mrd. € pro Jahr) frühestens erst 2015 starten zu wollen, trifft auf völliges Unverständnis und sorgt für Entsetzen. Die Folge: pointierte Aussagen aus den Gelsenkirchener Fraktionen von SPD und CDU in Richtung einer ihrer Meinung nach wortbrüchigen Bundesregierung.

Blanker Zynismus

Günter Pruin, Fraktionsgeschäftsführer der SPD, sagt: „Es ist blanker Zynismus, das Leistungsgesetz erst für die nächste Wahlperiode des Bundestages vorzusehen, wenn es ja eine ganz andere Regierung geben kann. Die Eingliederung von Behinderten ist keine rein kommunale Aufgabe. Die Stadt Gelsenkirchen ist auf diese Entlastung angewiesen, um mittelfristig ihren Haushalt ausgleichen zu können.“ Da habe sich die Parteibasis auf den Koalitionsvertrag verlassen. Auch den Hinweis des Finanzministers auf eine Milliarde Euro Unterstützung des Bundes für die Grundsicherung im Alter hält Pruin für eine bodenlose Frechheit. „Das ist seit Jahren vereinbart und hat mit dem Koalitionsvertrag rein gar nichts zu tun.“ Die SPD-Ratsfraktion hat für die Ratssitzung am 3. April den Punkt „Entlastung der Kommunen durch den Bund“ beantragt und will eine Resolution einbringen.

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Eine Milliarde Euro Entlastung bundesweit bei der Eingliederungshilfe würden Gelsenkirchen um 4 bis 5 Millionen Euro entlasten, bestätigte Kämmerer Georg Lunemann (CDU) der Redaktion auf Nachfrage. „Gehen wir vom Gesamtbetrag in Höhe von fünf Milliarden aus, wären das gut 19 bis 20 Millionen Euro weniger pro Jahr, die Gelsenkirchen bezahlen müsste.“ Die Ankündigung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), sagt Lunemann, würde nicht seinem Verständnis des Koalitionsvertrages entsprechen.

Nicht das letzte Wort

Wesentlich drastischere Worte findet Werner Wöll, der Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion und Oberbürgermeister-Kandidat seiner Partei: „Der Beschluss des Bundeskabinetts ist eine Vergewaltigung des Textes des Koalitionsvertrages. Wir hätten uns einen derartigen Kabinettsbeschluss – auch unter Beteiligung maßgeblicher SPD-Minister wie Sigmar Gabriel – nicht vorstellen können.“ Die bekannte Regelung habe maßgeblich zur Zustimmung der SPD zum Koalitionsvertrag geführt. Wöll: „Dieser Kabinettsbeschluss darf nicht das letzte Wort sein!“

Irritiert zeigt sich Gelsenkirchens SPD-Vorsitzende Heike Gebhard von der Nachricht: „Schäuble muss offenbar noch einmal an die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags erinnert werden. Wir erwarten, dass die Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten dies unmissverständlich in Berlin klarstellen.“