„Ziemlich böse Freunde“ – was die Bandidos-Bosse über den Rockerkrieg schreiben
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Gelsenkirchen/Bochum. Die Rocker Peter Maczollek und Leslav Hause sind für den Motorradclub Bandidos so wichtig wie Uli Hoeneß für den FC Bayern, hat der Spiegel mal geschrieben. Nun schreiben die Chefrocker in „Ziemlich böse Freunde“ zurück: zum Beispiel über ihre Jugend in Gelsenkirchen und Schalke, den ermordeten „Eschli“ und abtrünnige Bandidos aus Oberhausen. Und über verdammt viele Schlägereien.
Mit regelmäßigen Arbeitszeiten können viele Rocker der Hells Angels und Bandidos so viel anfangen wie mit Krawatten. Diese Abneigung schließt Geschäftssinn aber nicht aus. Als besonders tüchtig gilt das Gelsenkirchener Führungsduo der deutschen Bandidos: Peter Maczollek ist stellvertretender Europachef der Gang, der die Polizei immer wieder organisierte Kriminalität vorwirft. Sein Kumpel Leslav Hause gilt als zweitwichtigster deutscher Bandit. Als die Kripo 2008 ihr Bandidos-Heim abhörte, erfuhr sie laut Spiegel zum Beispiel, dass die beiden Kredite vergeben und Arbeiterkolonnen in Schlachthöfe kutschieren.
Seit dieser Woche sind die Geschäftsleute in Lederkutten auch als Geschichtenhändler aktiv: „Ziemlich böse Freunde“ heißt das Buch der Hobbyschriftsteller vom Bochumer Bandidos-Chapter. Darin geht’s über weite Strecken zu wie in einem Bud-Spencer-Film – nur weniger witzig und zuweilen tödlich. Zwischen Vorhersehbarem über Rockehre und Respekt können auch Schalke-Fans, Gelsenkirchener und Milieuforscher Interessantes erfahren. Einen Erklärungsversuch der Rockergewalt zum Beispiel. Eine Hauptrolle spielt der 2009 in Duisburg erschossene Bandido „Eschli“.
Sicher: Die Tantiemen mögen ein Anreiz für die autobiografische Trivialliteratur mit dem Untertitel „Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten“ gewesen sein. Mit ihrer akribisch in Straßensprache verfassten Anekdotensammlung verfolgen Maczollek und Hause aber, das wird schnell klar, so viele Ziele wie sie Aufnäher auf ihren Kutten tragen: Es ist eine verharmlosende Werbeschrift für das alte „Rockertum“, die Bandidos und für die beiden Berühmtberüchtigten selbst. Ihre Sicht ihrer Dinge eben.
Das veröffentlichte Selbstbild: Wir sind hart, aber ehrlich – und längst nicht so gefährlich, wie es euch „Bullen“ und Medien vorgaukeln. Toto & Harry für Rebellen quasi. So schreiben die beiden Männerfreunde zu ihrer Verteidigung und um abzurechnen: mit übertreibenden und pauschalisierenden Journalisten, arroganten „Anglern“ (Hells Angels, d. Red.), Intriganten und Verrätern aus den eigenen Reihen und – viel Feind, viel Ehr – mit Politikern und Führungskräften der Exekutive.
Razzien, Polizeispott und der Rockerfrieden von Hannover
Schließlich wollte etwa die Ermittlungskommission „Hombre“ Maczollek den Auftrag zur Ermordung des Hells Angels Robert K. in Ibbenbüren 2007 und Drogenhandel nachweisen. Und nach der Massenschlägerei zwischen Bandidos und Höllengeln in Mönchengladbach Anfang 2012 erhielten der Bandidos-Boss und seine rechte Hand Hause einen Strafbefehl wegen Anstiftung zur versuchten Tötung. Dass die Beamten das Clubheim in Bochum 2007/08 ein Jahr lang ohne Erfolg abhörten und dort bei der Razzia im April 2012 nur geringe Mengen Kokain fanden, ist für die Autoren freilich ein Elfmeter. Sie verhöhnen die Polizeichefs und deren amerikanisches Einsatzfahrzeug zum Sturm von Gebäuden: „Wenn – wie in deutschen Städten nun einmal üblich – Autos vor den Häusern stehen, kommt dieses Spezialfahrzeug nicht nah genug an die Fassade ran. Ein kleiner Schönheitsfehler, der den Behördenleitern bitter aufgestoßen sein muss, als man bei unserem Clubheim, wie in den Jahren zuvor auch, wieder die bewährte Baumarktleiter anstellen musste.“
Wendler, „Miami Gianni“ und „Hüpper“ Wagner
„Ziemlich böse Freunde“ (300 Seiten, 19,95 Euro) ist im Riva-Verlag erschienen. Dort veröffentlichten schon Bushido, Michael Wendler und Bettina Wulff ihre Sicht ihrer Dinge. Das Bandidos-Buch ist das zweite aus dem Rockermilieu binnen kurzer Zeit: Im März veröffentlichte der im Duisburger Satudarah-Chapter aktive Jan „Miami Gianni“ Sander bei Riva sein mit einem Bild-Reporter geschriebenes Buch „Rotlichtkrieg: Auf Leben und Tod gegen die Hells Angels“. Im Rowohlt-Verlag hatte vor zwei Jahren ein anderer Motorradveteran aus Gelsenkirchen seine Autobiografie geschrieben: Klaus „Hüpper“ Wagner (im Bild). Der gehörte Mitte der 70er zu den ersten Freeway Riders, Maczollek und Hause schlossen sich in der Stadt dem Ghostrider’s MC an. Wie sie mit diesem 1999 zum „Weltclub“ Bandidos wechselten, ist in „Ziemlich böse Freunde“ in vier Kapiteln beschrieben.
Im Mai 2010 hatte Peter Maczollek beim Handschlag mit Hells-Angels-Boss Frank Hanebuth seinen wohl größten öffentlichen Auftritt. Im Buch liefert Les Hause seine Version zum „Friedengipfel von Hannover“. Nichts zu erfahren ist im Buch dagegen über die jüngsten Scharmützel gewaltbereiter Rocker an Rhein und Ruhr, die im Februar in 13 Schüssen auf einen Duisburger „81er“ gipfelten. Ein Mann aus dem Führungskreis des Kölner Chapters sitzt seither in Untersuchungshaft. Sicherheitshalber erklärt „Vice-Presidente Europe“ Maczollek, dass er bei 70 Chaptern mit 700 Mitgliedern nicht ständig über alles informiert sein könne. Da gehe es ihm angeblich trotz all der Hierarchien im Club wie jedem Firmenchef: „Auch der weiß nicht, wer gerade bei der Steuer trickst, wer gerade seine Spesenabrechnung frisiert oder welcher Außendienstler gerade auf einer Autobahn rechts überholt hat. Und weder Polizist noch Richter würden jemals auf die Idee kommen, für solche Vergehen den Firmenboss verantwortlich zu machen.“
Wie dem auch sei. Den Generationenkonflikt zwischen Altrockern und Migranten ohne Bikertradition, der auch viele Bandidos-Chapter beschäftigt, deuten deren Führungskräfte höchstens in ihren Früher-war-alles-besser-Abschnitten an. Ihr Lobgesang auf die gute alte Zeit hat viele Strophen und die Sprache einer älteren Generation. „Wenn einer was aufs Maul bekommen hat, blieb die Sache im Kreise der Vertrauten. Da ist keiner zur Polizei gerannt und hat Anzeige erstattet. Da gab es keine Handys und demzufolge auch keine Handyfotos. Links, rechts, bis einer lag; und wenn demjenigen diese Liegeposition nicht passte, kam er später eben mit ein paar Kumpels zurück und hat die Sache geradegerückt.“
Lustig war das Rockerleben. Über die Gewalttaten der „Brüder“ erfährt der Leser so ungleich mehr als über das Motorradfahren und das Vereinsleben eines Motorcycle Clubs. „Keilereien“, Messerstechereien, Kneipen-, Disco- und Massenschlägereien sind stilbildend; blutroter Farbtupfer der Gewaltverherrlichung sind die Prügel auf einem SPD-Fest Ende der 80er. Es „knallt“, „scheppert“ und „klingelt“ gewaltig. „Clowns“, Neonazis, Schutzgeldeintreiber und Gelsenkirchener Straßengrößen werden „weggepölt“, „umgeschwartet“, „geklatscht“, die Gegner bekommen altbacken „Maulschellen“, „die Fresse poliert“, die „Birnen eingeschlagen“ oder einen „Barhocker über die Fontanelle“ gezogen. „Hey, was glotzt du so blöde? Was? Klatsch!“ Fast vergisst man als Leser, dass diese prahlerisch vorgetragenen Exzesse nicht Komik sein sollen, sondern Erlebnisberichte.
Diese Brutalität erklärt Maczollek mit seiner Herkunft:
Hells Angels "sind der FC Bayern unter den Motorradclubs"
Auf der Gelsenkirchener Röhrenstraße sei es in den 60ern und 70ern nun mal „völlig legitim und das Normalste auf der Welt“ gewesen, „dass man Diskussionen oder kleinere Auseinandersetzungen ab dem frühesten Kindesalter mit der Faust regelt“. In diesem Umfeld wurden Schiedsrichtern bei Jugend-Fußballspielen demnach schon vor 40 Jahren die Schneidezähne von Zuschauern ausgeschlagen. „So wurden wir konditioniert, und das muss man wissen, wenn man von seinem Elfenbeinturm auf andere herunterschaut.“
Bandidos und Hells Angels - „merkwürdige Form der Sippenhaft“
Zwar fehlt den ziemlich bösen Freunden die Distanz zu den „Outlaw Motorcycle Gangs“ (OMCG) und zu eigenen (Straf-)Taten. Unreflektiert aber sind ihre Beobachtungen nicht, vereinzelt stimmen die beiden sogar Selbst- und Szenekritik an, etwa bei der Erklärung des sogenannten „Rockerkrieges“. Dass Bandidos und Hells Angels sich in aller Welt die Köpfe einschlagen sei „im Grunde wie in einem Krieg: Der John in der amerikanischen Uniform kennt sein Gegenüber Ahmed mit der irakischen Uniform nicht persönlich. Die beiden haben nie gestritten, sie haben sich nicht gegenseitig die Frauen ausgespannt. Und dennoch würde der eine den anderen sofort erschießen, wenn er seinen Kopf aus dem Graben steckt.“ Im deutschen Straßenkampf gelte: „Wenn der Junge auf der Straße verliert, verliert auch sein Club“. So dumm und einfach sei das. Leslav Hause nennt es eine „merkwürdige Form der Sippenhaft“ nennt.
Über sich selbst lachen können die Chefrocker anscheinend sogar auch. Das suggerieren etwa die Schilderungen ihrer „Justiztour 1990“: Im typischen Bagatellisierungsstil beschreibt Maczollek etwa ihren dilettantischen Versuch, die „Road Gang“ in Mietingen mit Axtstielen und Pumpguns zu überfallen. Die Schüsse dort brachten ihn und Hause in Untersuchungshaft, verurteilt wurden sie aber nicht. Wirklich lustig wird’s, als Hause versichert, Ursache für Rockergewalt seien nicht etwa Gebietsansprüche oder irgendwelche Geschäfte, „wie man es in den Medien immer wieder vorgekaut bekommt: Die Bandidos waren nie ein Businessclub und werden es auch nie sein. Wer sich mit dem Businessclub beschäftigen möchte, sollte mit den Anglern (Hells Angels, d. Red.) reden, denn die wissen darüber garantiert einiges zu erzählen. Die 81er sind der FC Bayern unter den Motorradclubs und die Bandidos noch am ehesten der FC Schalke 04 oder Borussia Dortmund. Der Arbeiterclub mit anständigen, aufrechten Rockern, die in dem Club sind, weil sie die Bruderschaft schätzen und gern Harley fahren.“
Maczollek und Hause "für Bandidos so wichtig wie Uli Hoeneß für FC Bayern"
Dennoch lassen die Rockerstars es zu, dass auf dem Buchdeckel ausgerechnet einer der ihnen so unliebsamen Spiegel-Autoren zitiert wird: „Die Rocker Maczollek und Leslav ‚Les’ Hause sind für den Motorradclub Bandidos so wichtig wie Uli Hoeneß für Bayern München:“ Maczollek und Hause sind aber, na klar, Schalke-Fans. Hause, Jahrgang 1962, spielte als Nachwuchskicker mit Wolfram Wuttke und gegen Michael Zorc, wurde 1978 sogar Deutscher B-Jugend-Meister mit den Knappen. Kontakte pflegten sie später eher zu den Schalker Hooligans.
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inem Mitglied der Gelsen-Szene, das bei den Bandidos Karriere machte, widmen die Bandidos-Bosse nicht nur ein ganzes Kapital, sondern sogar ihr Buch: „Bruder Bandido Eschli 1%er“:
Spätere Hells Angels sollen an "Eschlis" Grab Rache geschworen haben
Der Hooligan, Zuhälter und Geldeintreiber Eschli Elten wurde am 8. Oktober 2009 vor dem „Fat Mexikan“ im Duisburger Rotlichtviertel von seinem Erzrivalen, dem Hells-Angels-Anwärter Timur A. erschossen. „Er fehlt uns noch immer“, schreibt Hause im Kapitel „Der kleine Bruder“ über den vielfach vorbestraften „Jungen, der für Peter und mich wie ein Sohn war“.
Nach dem Tod des 32-Jährigen musste die Polizei bei Massenschlägereien im Duisburger Rotlichtviertel teilweise zuschauen, wie Hells Angels und Bandidos aufeinander eindroschen. Zu Eltens Beerdigung kamen hunderte Rocker aus ganz Europa und laut Hause sogar Dortmunder Hooligans. Eschlis Vereinskameraden vom Bandidos-Chapter Oberhausen, behauptet Hause, hätten an seinem Grab „offen Rache und Vergeltung geschworen“. Dass genau diese Bandidos Ende 2012 zu den Hells Angels wechselten, sei eine Enttäuschung, „die sich auf alle Ewigkeit in unser aller Erinnerung eingebrannt hat“.
Unterhaltsamer als der Wendler und Lothar Matthäus
Mit den ziemlich bösen Freunden möchte man nicht verfeindet sein. Befreundet aber auch nicht. An ihrem Buch werden wohl vor allem Biker und Bandidos Freude haben. Allen anderen liefern Maczollek und Hause immerhin nicht nur die Bestätigung etlicher Klischees („Bikerbräute“ aber fehlen!), sondern auch authentische Einblicke in die Ruhrgebietsrealität des romantisch verklärten Easy-Ridertums. Dabei wirken sie wie Überlebende aus einer andere Zeit.
Ihre Anekdoten und Ansichten sind selbstverständlich mit Vorsicht zu genießen, zumindest aber unterhaltsamer als das, was der Wendler, Matthäus und Co. zu berichten haben.
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