Essen. Der niedergestochene 23-Jährige in Oberhausen war nur eines von vielen Opfern im Rockerkrieg an Rhein und Ruhr. Duisburg, Essen oder Bochum - eine Reportage von Spiegel-TV zeigt, dass es eine Zeit dauerte, bis sich der Staat in die Fehde zwischen den Höllenengeln und den Banditen einmischte.

„Man haut sich auf die Nase“, sagt der Duisburger Kripo-Mann Stefan Hausch. „Das Motorrad ist nur ein Werbeträger“, sagt der Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität im NRW-Landeskriminalamt, Thomas Jungbluth.

Beide beunruhigt: Der Rockerkrieg an Rhein und Ruhr eskaliert. Bandidos gegen Hells Angels. Und jetzt mischen immer öfter andere mit: Wie die Satudarah, die sich im westlichen Ruhrgebiet mit den Höllenengeln gewalttätige Auseinandersetzungen liefern. Der niedergeschossene 23-jährige in Oberhausen vor sieben Tagen war das letzte Opfer. Es hat überlebt.

Die Sendung Spiegel-TV hat Sonntagabend der dramatischen Entwicklung einen eigenen Beitrag gewidmet. Kaum Zufall: Heute erscheint das Spiegel-Buch „Rockerkrieg“ (dva, gebunden 19,99 Euro). Die Autoren Jörg Diehl, Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer haben auch das Material für die Fernsehsendung geliefert. „Die Recherchen waren nicht ganz ungefährlich“.

Heiße Spur im Fall des angegriffenen Oberhausener Rockers

Gerade im Fall des angegriffenen Oberhausener Rockers nennen die Autoren jetzt eine heiße Spur: Die Indizien führten hin zum dänisch-stämmigen Kim M. Ein Sondereinsatzkommando habe in diesen Tagen seine Bleibe gestürmt. Nur: Er war ausgeflogen.

Düsseldorf. Krefeld. Mönchengladbach. Bochum. Und immer wieder Duisburg. Mögen auch die großen Drahtzieher anderswo sitzen – Hells Angels-Rockerkönig Frank Hanebuth zum Beispiel ist von Hannover nach Mallorca verzogen, wie Spiegel TV erzählt: Die Kampfplätze rücken näher.

Aber Kriegsschauplatz in der gewaltsamen Auseinandersetzung ist das Ruhrgebiet nicht erst in diesen Tagen der „neuen Dynamik“ in der Szene geworden, wie sie es beim Landeskriminalamt nennen. Mehr noch als der TV-Beitrag wirft da das Buch den Blick auf die jüngste Geschichte der Motorradbanden.

Weitere Vorfälle in Duisburg, Gelsenkirchen, Bochum und Essen

Oktober 2009. Am 8. des Monats ist Eschli Elten gestorben. Der Bandido-Heißsporn, der in seiner ungebändigten Wut schon einmal eine Frau bewusstlos getreten hatte, erliegt an diesem Abend in der Notaufnahme eines Duisburger Krankenhauses seinen Schussverletzungen, die ihm Timur A. von den Hells Angels im Rotlichtviertel der Revierstadt beigebracht hatte. Eine Kugel hat ihn in den Kopf getroffen. Zwei weitere Projektile verfehlen zwei unbeteiligte Frauen. „Was für eine Scheiße“, sagt der Schütze später.

Kurze Zeit später brennt das Vereinsheim der Hells Angels in Gelsenkirchen. In Essen fackelt irgend jemand ein Auto mit den Aufklebern der Gang ab. Dann aber ist die Polizei als Lauscher dabei, als im Bochumer Clubhaus die Bandido-Führung des Reviers zum Racheschwur zusammenkommt.

Die Fahnder bekommen mit, wie sich die Rocker auf den großen Angriff einigen: Dass zunächst Duisburg, dann das Ruhrgebiet frei von den Höllenengeln werden soll. Dass jeder überall zuschlagen darf, wo sich nur ein Hells Angels zeigt. Dass zentrale Waffenlager eingerichtet werden. „Wir sind im Krieg“.

Drei Wochen nach Tod von Eschli greift Staat erstmals ein

Als dann drei Wochen nach dem Tod von Eschli das Hells Angels-Bordell in der Duisburger Vulkanstraße 26 zum Fokus der Prügelei wird, kommt es zur Wende. Die Staatsmacht greift ein. Vielleicht wird von ihr um diese Zeit erstmals der Anspruch der Motorradgangs auf rechtsfreie Zonen ernst genommen und als Kampfansage an den Rechtsstaat betrachtet.

Noch scheint es in der Nacht des 31. Oktober zu wirken, als ein Rocker einem jungen Kommissar sagt: Haltet Euch raus! Tatsächlich hält sich die Polizei zurück. Die Krawalle greifen also auf Essen über, wo in der Wüstenhöferstraße das Vereinsheim der Bandidos liegt. Es gibt Verletzte, und eine Stadt weiter am Ruhrschnellweg wird das Vereinsheim der Gang abgesichert, als „läge es in Bagdad, nicht in Bochum“, schreiben die Autoren. „Fenster werden mit Stahlplatten verrammelt, massive Eisentüren montiert, Nato-Draht verbaut, Bewegungsmelder installiert“.

Doch nach den Duisburger Krawallen kündigt das Düsseldorfer Innenministerium an, man werde „keine rechtsfreien Räume dulden“. Weiter: „Wir werden massiv gegen diese Leute vorgehen“. Die schärfere Gangart hat sich bis heute gehalten. Jetzt ist klar, die Rocker haben es endgültig übertrieben, heißt es in dem Spiegel-Buch. Es kommt die Zeit der ersten Vereinsverbote in Köln und Aachen. Eine politische Kehrtwende, wenn auch eine rechtspolitische Gratwanderung. Das Verbot trifft die Rocker tief. Dürfen sie sich nicht mehr in ihren Kutten zeigen, ist ihre Ehre in Frage gestellt. Sie existieren, sozusagen, nicht mehr.

Duisburg bleibt eine der am härtesten umkämpften Rockerhochburgen 

Duisburg aber bleibt die Frontstadt, die „nach Berlin wahrscheinlich am härtesten umkämpfte Rockerhochburg“, wie die Autoren glauben. Es gibt Überfälle und eingeschlagene Autoscheiben und auch Molotowcocktails, die geworfen werden. Es ist letztlich die heute noch aktuelle und im Film beschriebene Lage: Die Hells Angels wollen sich nicht mehr aus der westlichen Ecke des Bandido-beherrschten Reviers zurückziehen - und - wieder ruhrgebietstypisch: Es mischen neue Gruppen mit.

Nicht nur Banditen und Höllenengel wechseln, wie LKA-Mann Jungbluth sagt, anders als früher ständig die Lager. Die Satudarah aus Holland, von Molukkern gegründet und hochkriminell, sind jetzt da. Araber und Türken. Türsteher aus Baden-Württemberg ohne Harleys, „die nur ihre Geschäfte machen wollen“, wie Pressesprecher der alteingesessenen Banden freiweg erzählen, als seien die bisher dominierenden Clubs nicht tief ins Drogen- und Rotlichtmilieu verstrickt. Vor allem tritt eine Ethnogruppe auf, die sich teils über Asylmissbrauch ins Land geschlichen hatte: Die Mhallamyie-Kurden. Um nicht abgeschoben zu werden, haben sie vorher vermeintliche libanesische Pässe vernichtet.

Seit 2010 ist die unübersichtliche Mischung aktiv. Die Neuen merken, wie die Alten langsam an Einfluss verlieren. Sie schlagen ein anderes Kapitel auf. Es sind die jungen Wilden, die Bandidos und Hells Angels zu ersetzen scheinen. Einerseits.

Hells Angels halten sich seit strikterer Fahndung erstmal zurück

Andererseits verstehen auch Hells Angels unter dem Druck der strikteren Fahndung, dass sie aufpassen müssen. Die Autoren von „Rockerkrieg“ weisen auf ein Papier hin, das Großkopfete der Höllenengel entworfen haben.

In dem heißt es unter anderem: „Es sollen keine neuen Geschäftsleute“ – gemeint: wohl Rotlicht-Kriminelle – „in den Chartern zugelassen werden. Viele dieser Unternehmer scheren sich nicht um unsere Kultur…Sie nutzen unseren Lebensstil aus und verschwinden, wenn die Kacke am Dampfen ist. Dann müssen wir uns mit dem Mist herumschlagen, den sie als Mitglieder unseres Clubs verzapft haben“.

Nur Show wie der angebliche Rockerfrieden von Hannover vor zwei Jahren? Oder eine Art Zeitenwende? Ob mit oder ohne Bikes, ob mit oder ohne Gewalt – das alles wird sich noch herausstellen.