Gelsenkirchen.
Kniebundhosen und Schiefertafeln, Rohrstock und hölzerne Schulbänke versetzen dieses „Frühlings Erwachen“ in eine graue Vorzeit. Die museale Ästhetik bei der Inszenierung von „Spring Awakening“ am Musiktheater im Revier verweist Frank Wedekinds einst skandalöses Schauspiel um pubertierende Jugendliche optisch in die Mottenkiste, setzt in der Musical-Revivalversion aber durchaus frische, zeitlose Akzente.
Für die Premiere im Kleinen Haus erntete das Ensemble aus Studenten und Absolventen der Folkwang Universität Essen und Profis des Musiktheaters langanhaltenden, einhelligen Beifall. Kurzweiligkeit im ambitionierten Spiel und professioneller Gesang gelang diesem vor allem von jungen Darstellern und Musikern der Folkwang Universität Essen getragenen Abend durchaus.
Die Inszenierung von Wolfgang Türks dagegen bricht das Wedekind-Drama rund um pubertierende Jugendliche und ihre Nöte in einer muffigen, sexuell verklemmten Gesellschaft nur in wenigen Ansätzen überzeugend auf. Und nur in diesen wird greifbar, was Wedekind den Menschen von Heute auch als rockig-poppiges Musical (von Duncan Sheik und Steven Sater) noch zu erzählen vermag.
Weichgespülte Musicalmelodien
Die schräge, multifunktionale Bühne (Ausstattung Beata Kornatowska) funktioniert als Klassenzimmer und Waldeinsamkeit, als Friedhof und als Wohnzimmer. Hier bettelt die junge Wendla (ausgezeichnet unschuldig Sandra Pangl) ihre Mutter (Christa Platzer in Mehrfachbesetzung mit überzeugenden darstellerischen Qualitäten) um Aufklärung an. Vergebens, Ende 19. Jahrhundert eben. Wendla wird schwanger vom draufgängerischen Melchior (Julian Culemann), stirbt bei einem Engelmacher. Der schwärmerische Schulversager Moritz (Angelo Canonico) begeht Selbstmord, dazwischen als herrliche Karikaturen wie aus dem Kinderkino, aber jenseits aller Wedekindschen Tragik, die Lehrkörper Frau Knüppeldick und Herr Knochenbruch (Daniel Berger).
Energiegeladene Choreographien, mit denen die Schüler aus der verklemmten Spießerwelt der Erwachsenen ausbrechen und diese kommentieren, und soft rockende Musik dokumentieren, dass Themen wie sexuelle Verklemmtheit, Homosexualität oder Gewalt im Elternhaus auch noch heutige sind. Jugendlich frisch und innovativ klingen die weichgespülten Kompositionen ohne Ohrwurmqualität nicht, auch wenn sie in Gelsenkirchen von einem jungen Ensemble gelungen interpretiert werden. Ob hier die Liebe der Jugend zum Theater erwacht, bleibt abzuwarten.