Gelsenkirchen.

„Literatur ist meine Leidenschaft. Nur darum bin ich so alt geworden.“ Timucin Davras sitzt in einem Café. Vor ihm auf dem Tisch steht eine Tasse Kaffee, zu der er aber nur selten greift. So sehr ist er ins Gespräch vertieft. In einer kleinen Mappe aus Papier hat er etliche seiner Texte mitgebracht. Es sind Gedichte, Kurzgeschichten, Aphorismen, allesamt unverwechselbar in ihrer Art.

Die Geschichte des heute 84-Jährigen beginnt in einer türkischen Kleinstadt. Doch da hielt es ihn nicht lange. Denn Timucin Davras wollte mehr. Zum Studieren ging er nach Istanbul. Er wurde Ingenieur. Und er begann, Erlebtes in lyrischer Form aufzuschreiben. 1958 kam der junge Mann nach Deutschland. In Hagen wollte er weiter studieren. „Aber die haben zu mir gesagt, sie können ja gar kein Deutsch.“ Da war etwas dran. Doch das änderte sich schnell. „Ich habe sechs Monate lang Deutsch gelernt. So richtig geochst.“ Der türkische Einwanderer der ersten Stunde konnte einen hier anerkannten Ausbildungsgrad erwerben und machte sich auf, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen.

Die Suche nach Arbeit brachte ihn nach Gelsenkirchen. „Als ich hier ankam, da hingen überall blau-weiße Fahnen. Und ich wusste gar nicht, warum“, erinnert sich Timucin Davras. Doch er sollte sie bald kennen lernen, die Stadt und die Liebe ihrer Einwohner zum örtlichen Fußballclub.

Beruflich lief es gut

Beruflich lief es gut für Davras. Zur Literatur fand er aber lange nicht zurück. „In mir war immer ein Stau. Aber ich wusste nicht, wie machst du das, schreiben in deutscher Sprache.“ Erst 1978 gab er sich einen Ruck. Da wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben von der Volkshochschule. „Menschen im Revier“ war der Titel. Und der Autor versuchte, ein Gedicht, eine niedergeschriebene Impression aus Istanbul, zu übersetzen. Am Ende schrieb er ein ganz neues Gedicht mit dem Titel „Der Fremde“ und reichte es ein. Kurz darauf klingelte das Telefon. „Man sagte mir, ich habe den dritten Preis gemacht und ob ich kommen könne, um das Gedicht vorzulesen. Und dass ich dafür 50 Mark bekomme.“

Das Eis war gebrochen

Das Eis war gebrochen. Timucin Davras erarbeitete sich in den folgenden Jahren einen Ruf als Dichter, war Mitglied der „Gelsenkirchener Autoren“, veröffentlichte Arbeiten in insgesamt fünfzehn Anthologien. Seinem Stil blieb er dabei immer treu. „Ich habe zwei Seelen in der Brust. Ich war im Berufsleben sehr erfolgreich und ich hatte immer Lyrik im Kopf. Mein technischer Beruf hilft mir. Ich schreibe ganz sachliche Gedichte – nicht so über Gefühle.“ Bis auf einmal. Da schrieb er über seine Katze. Die hatte er verletzt gefunden und aufgepäppelt. „Boncuk“, also Glasperle, hatte er sie getauft. „Ich habe meiner Katze Liebe gefunden“, schwärmt er.

Mutig ging Timucin Davras zu offenen Lesungen. „Ich wollte wissen, wo ich stehe, literarisch. Narzisstisch zu sein, das bringt nichts.“ Der Schriftsteller besuchte unter anderem mehrere Veranstaltungen auf der Zeche Carl. „Das war komisch. Ich war der einzige Opa.“

Eine gelungene Verbindung

Auch wenn er sich selbst lachend als „Opa“ bezeichnet, die Schriften von Timucin Davras sind eine gelungene Verbindung von Tradition und aktuellem Zeitgeist. Auch wenn sie etwas nostalgisch aussehen. Denn bis heute schreibt Davras auf seiner alten Schreibmaschine. „Die hat mal 300 Mark gekostet und funktioniert manchmal nicht richtig.“ Und dann lächelt er und greift zu seiner Kaffeetasse. „Ich bin mit meiner Schreibmaschine liiert. Das ist meine Freundin.“