Gelsenkirchen. Wolfgang Kuhn arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Sozialarbeiter in Gelsenkirchen. Hunderten Männern hat er aus der Obdachlosigkeit wieder auf die Beine geholfen und ihnen eine Wohnung besorgt.
Unscheinbarer geht es kaum. Im Büro von Wolfgang Kuhn steht nicht mehr als ein Schreibtisch mit einem Computer, zwei Regale und ein paar ziemlich alte Stühle. Aber mehr braucht der 64-Jährige auch nicht. Er arbeitet mit seinem Kopf, vor allem aber auch mit seiner Menschlichkeit, denn als Sozialarbeiter im Männerübernachtungsheim an der Caubstraße 28 in Schalke hilft er denen, die ganz unten angekommen sind und oft nicht mehr weiter wissen.
„Es gibt keine hilflosen Menschen. Man muss nur in denen, die es von sich nicht wissen, die schlummernden Kräfte mobilisieren“, sagt Kuhn. Jedes seiner Worte wirkt überlegt und selbst wenn sie großspurig klingen – man glaubt es ihm. Denn er kann sie mit Beispielen belegen. So viel hat er erlebt, seit er 1977 mit der Obdachlosenhilfe in Gelsenkirchen anfing.
Schon in den 1960er Jahren war für Kuhn klar, dass er Sozialarbeit leisten wollte. Im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Hassel arbeitete er mit Jugendlichen, später auch in Essen und in der Gesamtschule Berger Feld. Dann wechselte er von der Jugendarbeit in die Obdachlosenhilfe.
Unter 100 Obdachlose
„Das war damals eine wirklich schlimme Zeit in Gelsenkirchen. Mitte der 1970er Jahre gab es 5000 Obdachlose und wir mussten in fünf sozialen Brennpunkten der Stadt helfen“, erinnert sich Kuhn. Er legt dabei die Stirn in Falten, um dann aber gleich wieder mit einem Lächeln aufzublicken, und anzufügen: „Heute sind es unter 100 Obdachlose“. Er sagt es nicht ohne Stolz, denn Kuhn hat lange und hart mit daran gearbeitet, die Situation zu verbessern. Wie vielen Menschen er wieder auf die Beine geholfen hat, er weiß es nicht.
Aber genau das ist seine Hauptaufgabe. Jeder, der eine Nacht im Männerübernachtungsheim an der Caubstraße verbringen möchte, muss am nächsten Morgen mit Wolfgang Kuhn ein Gespräch führen. „Natürlich ist das für viele keine angenehme Situation, aber ich will auch nicht den Oberlehrer spielen, sondern will versuchen zu helfen.“
Dafür arbeitet er – meist deutlich länger als es seine Arbeitszeit vorsieht. An den Wänden hängen Zeitungsannoncen, preisen günstige Second-Hand-Möbel an. „Wir sprechen über ihre Lebensplanung. Das ist auf fachlicher, aber natürlich auch menschlicher Ebene. Man muss den Männern zeigen, dass es immer einen Weg aus dem menschlichen Chaos heraus gibt. Es kann immer weitergehen.“ Er sagt es ruhig und ohne es besonders zu betonen und doch wirkt es wie ein eisernes Versprechen. „Wer sich helfen lassen will, dem können wir auch helfen.“
Nicht länger als ein Jahr Aufenthalt
Beim Rundgang durch den alten Bunker wird klar, dass es an der Caubstraße klare Regeln gibt. „Ab 16.30 Uhr haben wir geöffnet, am nächsten Morgen um 10 Uhr müssen die Übernachtungsgäste das Haus wieder verlassen. Die Hygiene der Männer wird kontrolliert, alle Neuankömmlinge müssen zu unserer Ärztin vom Arztmobil und untersucht werden“, sagt Kuhn. Die Gemeinschaftsräume sind sauber zu halten, wer die kleine Küche nutzen will, muss Kochgeschirr und Lebensmittel selbst mitbringen. „Die Eigenverantwortung bei den Männern muss bleiben. Wir sind nur das Geländer im Lebensplan, an dem sie sich festhalten können“, erklärt der 64-Jährige.
Keine 20 Männer nutzen derzeit das Angebot an der Caubstraße. „Das gibt uns den Luxus, die Zimmer nur einzeln zu belegen.“ Die kleinen Kammern wirken karg, mit Schrank und Bett – die Bettwäsche wird mindestens alle 14 Tage gewechselt – sind sie nur spärlich ausgestattet. „Für manchen reicht das aber schon, um zufrieden zu sein“, sagt Kuhn. Dabei soll genau das nicht passieren. Nicht länger als ein halbes Jahr soll die Aufenthaltsdauer im Übernachtungsheim sein. Die drei Euro Gebühr pro Nacht übernimmt das Amt.
Noch bis zum 31. März ist Wolfgang Kuhn der Ansprechpartner für die Hilfe-Suchenden Männer in Gelsenkirchen. Dann geht er in den wohlverdienten Ruhestand. Sozialarbeit aber, sagt er, sei eine Lebensaufgabe. Bei der Telefonseelsorge wird er weiterhin arbeiten. Er schließt die Tür zu einem weiteren der kleinen Zimmer. An der Wand ein chinesischer Kalender: „Viel Glück, viel Erfolg in 2012“ steht darauf. . .