Gelsenkirchen. Nach dem Tod eines geliebten Menschen ist Weihnachten plötzlich ganz anders. Wie man mit der Einsamkeit, der Trauer und den Festritualen umgehen kann, erklärt Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper.
Für viele ist Weihnachten die schönste Zeit im Jahr – für andere hingegen die schlimmste. Denn es ist nicht einfach, Weihnachten zu feiern, wenn jemand fehlt. Und dabei ist es ganz egal, ob ein geliebter Mensch erst kürzlich verstorben ist oder schon vor langer Zeit. WAZ-Redakteurin Anne Bolsmann sprach mit Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper über Einsamkeit, Trauer und traurige Momente an den Festtagen.
Frau Rupieper, warum kommt zur Weihnachtszeit die Trauer besonders hoch?
Mechthild Schroeter-Rupieper: Rund um Weihnachten gibt es in Familien viele Rituale und Traditionen, die lange gewachsen sind. Kein anderes Fest ist hierzulande so mit Ritualen besetzt wie Weihnachten. Jeder hat ein ideales Bild vor Augen von diesem Familienfest: Wie alle gemütlich zusammensitzen und feiern. Die Reihenfolge der Ereignisse ist dabei ganz genau festgelegt. Erst geht man in die Kirche, dann gibt es Essen, dann die Bescherung (oder umgekehrt). Und jeder in der Familie (oder Partnerschaft) hat ganz bestimmte Aufgaben, die ihm zugeordnet sind. Deshalb fällt es besonders auf, wenn plötzlich jemand fehlt. Dann funktioniert das eingespielte Ritual nicht mehr.
Wie geht man denn am besten mit dieser neuen Situation um? Feiert man Weihnachten dann lieber mal ganz anders? Oder versucht man, alles genau wie früher zu machen?
Mechthild Schroeter-Rupieper: Das ist sicherlich eine Typ-Frage. Wichtig ist nur, dass das Weihnachtsritual ganz bewusst entweder verändert oder neu beschlossen werden muss. Die Rollen müssen neu verteilt werden. Man muss darüber sprechen und darf nicht einfach so tun, als sei alles wie immer. Es gibt in meinen Gesprächskreisen Familien, die ganz bewusst erstmals weg fahren in den Urlaub über Weihnachten. Das ist okay, so lange das nicht einfach ein Weglaufen ist. Die Meisten feiern dann aber im Jahr darauf wieder zu Hause.
Und wie verhält man sich dann? Spricht man Weihnachten über den Verstorbenen und die Lücke, die er hinterlassen hat? Oder schweigt man lieber?
Mechthild Schroeter-Rupieper: Man sollte die Lücke, die jemand hinterlassen hat, ruhig ansprechen und sich an die schönen gemeinsamen Momente erinnern – aber auch darauf achten, dass das Thema nicht zu viel Raum einnimmt. Weil ja vielleicht auch Leute dabei sind, die nicht so traurig sind wie man selbst. Es gibt da sicher keinen Königsweg, aber man muss auch nicht immer gleich Angst vor Extremen haben – also etwa davor, dass nur noch geweint wird.
Vielen fällt es in den ersten Jahren schwer, die Wohnung und den Baum weihnachtlich zu schmücken. . .
Mechthild Schroeter-Rupieper: Es gibt ein sehr schönes Ritual, das von der Familie von Dietrich Bonhoeffer überliefert ist: Dabei wird der Baum geschmückt mit Allem, was dazu gehört. Und dann schneidet man einen Zweig heraus, mitten aus dem Baum, bis zum Stamm. Den bringt man dann geschmückt zum Grab des Verstorbenen, damit der auch einen Teil vom Tannenbaum abbekommt. Der Baum hat dann zwar eine Lücke, aber der Verstorbene fehlt ja auch.
Und was macht man, wenn man Weihnachten ganz alleine ist?
Mechthild Schroeter-Rupieper: Ich kann nur allen Leuten, die alleinstehend sind (egal, ob nach einem Tod oder aus anderen Gründen) raten, sich einen richtig traurigen Heiligen Abend zu machen. Und diese Traurigkeit zu zelebrieren, mit Musik und Fotos, die Erinnerungen hervorrufen. Irgendwann ist man dann satt von Traurigkeit und kann diese auch besser hinter sich lassen. Es bringt nichts, sie zu verdrängen an Tagen wie Weihnachten.
Auch für die Silvesterfeier hat Mechthild Schroeter-Rupieper ein paar Tricks parat: „Es gibt immer Dinge, die nicht so sind, wie man sie sich wünscht. Streit, schlechte Zensuren, Krankheit, Sterben. . . All’ das sind Dinge, die man nicht mit ins neue Jahr nehmen möchte.
Diese „miesen Dinge“ sollte man auf einen dicken Böller schreiben. Und diesen dann in der Silvesternacht lautstark in die Luft sprengen. Zeitgleich sollte man jedoch auch überlegen, welche guten Momente es im vergangenen Jahr gab. Die schreibt man am besten auf zwei Seiten eines Raketenstabs. Auf die dann noch verbleibenden zwei Seiten notiert man die Wünsche, die man für 2012 hat. Wenn man die Rakete steigen lässt, kann man sich an die schönen Momente erinnern. Und vielleicht lassen die „Zaubersterne“ des Feuerwerks ja auch den ein oder anderen Wunsch wahr werden.“