Gelsenkirchen. . Lena Marie Sombetzki ist Ende Dezember als Extremfrühchen auf die Welt gekommen. 570 Gramm wog sie damals und war nur 28 Zentimeter klein. Nun, am Osterwochenende, darf sie zu ihren Eltern nach Hause.

Lena Marie hat in der Nacht auf Karfreitag zum ersten Mal in ihrem Leben zu Hause in Buer geschlafen. Das Mädchen ist Ende Dezember als Extremfrühchen auf die Welt gekommen. So wird ein Baby bezeichnet, dessen Geburtsgewicht unter tausend Gramm liegt. Winzig ist sie da und so zerbrechlich. Nicht mehr als eine Handvoll Leben. Selbst die kleinste Strickmütze verschluckt fast den ganzen Körper. Lena Marie wiegt bei ihrer Geburt 570 Gramm und ist 28 Zentimeter ... klein.

Alles fängt gut an, wie so oft. Die Nachricht von der Schwangerschaft löst Freude aus. Es sind glückliche Monate für Sabine (42) und Holger (44) Sombetzki. Keine Probleme, gute Gefühle – bis sich bei Mutter Sabine Anfang Dezember alarmierende Blutungen einstellen: in der 21. Woche.

Ein Kampf um jeden Tag

Ab da stehen dem Paar die Ärzte des Marienhospitals dauerhaft zur Seite. Es gilt vor allem ein Ziel zu realisieren: die Schwangerschaft so lange wie möglich hinauszuzögern. Das sagt rückblickend Dr. Wilfried Göbe, Oberarzt der Klinik für Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin. Er selbst, sein Chefarzt Dr. Marcus Lutz und Dr. Hans-Jürgen Venn, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, begleiten die Sombetzkis im perinatalen Zentrum durch ganz schwierige Zeiten.

Es ist ein Kampf um jeden Tag, den das Baby im Mutterleib für seine Entwicklung nutzen muss. Es ist die Zeit, in der sich die werdenden Eltern mit allen Möglichkeiten beschäftigen müssen. Wird das Kind (über)leben? Was geschieht, wenn es zur Welt gekommen ist? Wird es gesund sein oder behindert?

„Vor der 22. Woche ist ein Kind nicht lebensfähig“, sagt Venn. Jede weitere Woche sei enorm wichtig. „In den Wochen 22 und 23 hat es nur geringe Chancen, da muss zudem mit schwersten Behinderungen gerechnet werden“, sagt Göbe. Realistisch sei ein Überleben erst ab der 24., 25. Woche. Um all das transparent zu gestalten, so der Arzt, müsse man die Eltern ins Boot holen. So etwas könne man nur gemeinsam stemmen. „Es waren keine schönen Gespräche bis dahin“, erinnert sich Sabine Sombetzki. Die emotionale Belastung für das Ehepaar war enorm. Venn aber bringt es auf den Punkt: „Wir haben da einfach die Pflicht zur Wahrhaftigkeit.“

Nach 23 Wochen und fünf Tagen ist es soweit. Trotz aller Bemühungen. Die Fruchtblase platzt. Es gibt kein zurück, die Wehen sind nicht mehr zu stoppen. Lena Marie kommt mit Macht, ein Füßchen ist schon im Geburtskanal zu sehen, als die schnelle Entscheidung fällt: Kaiserschnitt, nachts um 1.58 Uhr wird sie auf die Welt geholt.

Ein Hauch Leben

Die Zeit, die folgt, ist für die Eltern nicht leichter als die zuvor. Aber es gibt Zeichen, die stimmen hoffnungsvoll. „Lena war von Anfang an krabätzig“, sagt Sabine Sombetzki. Dabei huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Mutterstolz. Wie man das selbst durchhalten kann? Die resolute Antwort lautet: „Die Frage stellt sich nicht. Lena hält durch, also halten wir auch durch.“

Im Inkubator liegt das Mädchen wochenlang, beatmet wird es über gut anderthalb Monate. Ein winziger Mensch in einem Gewimmel von Schläuchen und Kabeln. Ein bedrückender Anblick. Nach drei Wochen folgt eine Herz-OP. Der Spezialist reist aus Duisburg an. Der Raum wird auf 30 Grad geheizt. Bloß keine Infektion riskieren. Lena Marie wiegt 600 Gramm. Ein Hauch Leben.

„Wir haben einige Etappen überstanden. Da hangelt man sich quasi von Station zu Station“, blickt Holger Sombetzki zurück. An die Augen-OP, an den Zeitpunkt, als die Kleine selbstständig zu atmen beginnt, es einfach muss. Die bangenden Freunde bekommen Mails: als Lena Marie die tausend Gramm erreicht, als sie die Zwei-Kilo-Marke knackt. Patensohn Felix (8) spendet früh seinen Lieblingsteddy Julian. Als Wache, damit ja nichts passiert.

Fortschritte summieren sich

Elf Wochen nach der Geburt kommt ein erstes zaghaftes „Mäh“ aus dem Mund des Mädchens. Heute lachen alle darüber, aus Freude. Fortschritte summieren sich.

Ein Blick auf das Baby lässt die Ehrfurcht vor dem Leben wachsen. Ein Blick auf das Baby sorgt für Demut angesichts des Kampfgeistes, den ein winziger Mensch an den Tag legt, um zu schaffen, was wir alle wollen: einfach leben.

Am Gründonnerstag wird Lena Marie aus dem Marienhospital entlassen. Es ist der 21. April 2011. Eine Woche nach dem ursprünglich vorgesehenen Geburtstermin. Der Kaiserschnitt liegt auf den Tag vier Monate zurück. Die Kleine wiegt jetzt 2450 Gramm und ist 45 Zentimeter groß.