Gelsenkirchen. Wahl-Krimi in Gelsenkirchen: Die SPD wird bei der Europawahl nur dritter und landet hinter AfD und CDU. Auch anderswo gibt es Überraschungen.

Ein Wahlkrimi an der Emscher – mit einem historischen Ergebnis, das die bisherigen Verhältnisse in Gelsenkirchen ordentlich durchwühlt: Die einstige sozialdemokratische Hochburg wurde bei der diesjährigen Wahl des Europaparlamentes in Gelsenkirchen sowohl von der CDU als auch von der AfD zerschlagen. Mit 23,47 Prozent (plus 3,84 im Vergleich zu 2019) ist die Union in Gelsenkirchen – erstmals bei einer Europawahl – stärkste Kraft geworden. Die AfD holt mit Abstand ihr bislang stärkstes Ergebnis in Gelsenkirchen und kommt auf 21,66 Prozent. (plus 5,23 Prozent). Die SPD ist knapp dahinter und wird mit 21,55 Prozent nur dritter (minus 4,12 Prozent).

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Abgeschlagen auf einem vierten Platz sind die Gelsenkirchener Grünen, die in etwa die Hälfte ihrer Stimmenanteile eingebüßt haben. Auf 7,7 Prozent kommen sie dieses Mal. Noch vor der FDP (4,34 Prozent) liegt das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) mit 4,89 Prozent – obwohl es noch nicht mal Personal der neuen Partei in Gelsenkirchen gibt. Die „Sonstigen“ kommen insgesamt auf 11,2 Prozent, darunter werden dieses Mal übrigens auch die Linken gezählt, die mit knapp 2 Prozent fast keine Rolle mehr in Gelsenkirchen spielen.

Die Ergebnisse der Europawahl - Gewinner und Verlierer

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    Sicherheit und Ordnung: CDU will noch mehr sichtbare Zeichen setzen

    „Das hat es noch nie gegeben!“, zeigte sich Gelsenkirchens CDU-Chef Sascha Kurth nach der Auszählung der meisten Stimmbezirke bereits hocherfreut. Die CDU habe das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler gewinnen können. Dennoch sei das „alarmierende und schockierende“ AfD-Ergebnis und das ebenfalls starke Abschneiden von BSW ein Zeichen dafür, „dass es ein hohes Maß an Unzufriedenheit“ gibt. „Das zeigt, dass die Leute Vertrauen in die Politik als Ganzes verloren haben.“

    Wahlsieger in Gelsenkirchen: Die CDU traf sich zur Wahl-Party im kleinen Kreis in ihrer Geschäftsstelle an der Munckelstraße. Im Bild: Parteichef Sascha Kurth (li.), Guido Tann, Hobie Fischbach. 
    Wahlsieger in Gelsenkirchen: Die CDU traf sich zur Wahl-Party im kleinen Kreis in ihrer Geschäftsstelle an der Munckelstraße. Im Bild: Parteichef Sascha Kurth (li.), Guido Tann, Hobie Fischbach.  © Presse | CDU GE

    Man habe als Partner der SPD in der Lokalpolitik „gute erfolgreiche Maßnahmen“ ergriffen, „die man an vielen Ecken sieht“, kam Kurth in seiner Analyse schnell auf das kommunalpolitische Geschehen zu sprechen. Diesen „Trend“, das gibt der Parteichef zu, habe man aber noch nicht „in den Köpfen manifestieren können, wie es möglich gewesen wäre.“ Man müsse nun darüber nachdenken, was man bei Themen wie Ordnung und Sicherheit noch tun könne als CDU in Gelsenkirchen.

    Historisches Ergebnis: AfD blickt schon auf Super-Wahljahr 2025

    „Nicht mit so einem Erfolg gerechnet“ hatte die Sprecherin des AfD-Kreisverbandes und Landtagsabgeordnete Enxhi Seli-Zacharias. „Die Resonanz während des Wahlkampfes war überwältigend und auch der anhaltend hohe Zulauf von Neumitgliedern zeigt, dass die Gelsenkirchener sich eine ideologiefreie Politik für unsere Stadt wünschen“, teilte die örtliche Chefin der Rechtsaußen-Partei mit, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird. Ein Ergebnis, das sie im Übrigen ohne Spitzenpersonal aus dem Ruhrgebiet auf der Europawahlliste erreichen konnte.

    Die Gelsenkirchener AfD-Chefin und Landtagsabgeordnete Enxi Seli-Zacharias blickt schon auf das Super-Wahljahr 2025.
    Die Gelsenkirchener AfD-Chefin und Landtagsabgeordnete Enxi Seli-Zacharias blickt schon auf das Super-Wahljahr 2025. © picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski/SVEN SIMON

    Man gebe den Wählern als AfD ein „authentisches Versprechen“, das man auch einhalten werde, behauptete Seli-Zacharias – „ein Ende der illegalen Migration und der damit einhergehenden Kriminalität, aber auch ein nachhaltiges Umdenken in Bezug auf die EU-Freizügigkeit“. Selbstsicher blickt die AfD-Chefin auf die kommende Kommunal- und Bundestagswahl: „Selbstverständlich organisieren und bereiten wir uns intern sehr akribisch auf die zwei wichtigen Wahlen im kommenden Superwahljahr 2025 vor, die in Gelsenkirchen zu entscheidenden Veränderungen führen können und auch werden!“

    SPD Gelsenkirchen: „Wir werden den Rechten die Stadt nicht überlassen!“

    „Wir werden den Rechten nicht den Platz in der Stadt überlassen“, gab sich Nicole Schmidt, die der SPD Gelsenkirchen als Kandidatin auf Bundeslistenplatz 41 im Wahlkampf ein Gesicht gab, in ihrer ersten Reaktion kämpferisch – gab aber zugleich zu, dass sie sich jetzt „beschissen“ fühle und die Stimmung bei der Partei „bedrückt“ sei. „Ich glaube, dass die Ampel-Politik zu großer Unzufriedenheit führt und sich das auch in Gelsenkirchen abzeichnet“, sagte die Hernerin zu dem Ergebnis. „Wir müssen den Menschen jetzt deutlich machen, dass die AfD eine rechtsextreme Partei ist und dass das hier nicht das richtige Wahlergebnis sein kann.“

    Betrübt: Gelsenkirchenerin Terry Reintke, Spitzenkandidatin der Grünen in Deutschland, verfolgte die Auszählung der Stimmen von Berlin aus.
    Betrübt: Gelsenkirchenerin Terry Reintke, Spitzenkandidatin der Grünen in Deutschland, verfolgte die Auszählung der Stimmen von Berlin aus. © dpa | Christoph Soeder

    Weniger geschockt über das eigene Ergebnis in Gelsenkirchen, sondern mehr über das der AfD zeigte sich am Wahlabend Dennis Nawrot, der Co-Vorsitzende der Grünen. Obwohl mit Terry Reintke eine Gelsenkirchenerin als Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Deutschland ins Rennen ging, habe man nicht damit gerechnet, über dem Bundesschnitt zu liegen. „In Gelsenkirchen liegen wir traditionell zwischen drei und sechs Prozent unterm Schnitt“, so Nawrot, der davon ausgeht, dass Bundesthemen bei der Europa-Wahl entscheidend gewesen sind. Über den bundesweit tiefen Fall der Grünen müsse man sich nun dringend bei der Parteiführung in Berlin Gedanken machen. „Man muss die Bundespartei fragen, ob sie gerade einen guten Job macht“, machte Nawrot deutlich.

    Migranten-Partei DAVA holt in Gelsenkirchen starkes Ergebnis

    Auffällig ist in Gelsenkirchen auch das starke Ergebnis der „Demokratischen Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA), die auf 2,69 Prozent gekommen ist. Die erst im Januar 2024 gegründete Partei sieht sich als Interessensvertretung aller Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, insbesondere von Muslimen. Besonders angesprochen werden auch Menschen mit türkischem Hintergrund – also auch viele Leute in Gelsenkirchen, wo fast 20.000 Menschen mit türkischem Pass leben. DAVA steht allerdings in der Kritik, als Ableger der türkischen Regierungspartei AKP, der Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, zu gelten. Die Partei selbst hat diese Vorwürfe bislang trotz zahlreicher Indizien stets zurückgewiesen.

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    Noch nicht endgültig klar war am Wahlsonntag, ob neben der Tierschutz-Partei nicht auch die Partei „Tierschutz hier!“ einen Sitz im Europaparlament bekommen könnte. In Gelsenkirchen erreichte sie 0,87 Prozent der Stimmen. Für Gelsenkirchen wäre ein Parlamentssitz nicht weniger als eine Sensation: Ratsfrau Cornelia Keisel, in der Stadt als besonders umtriebige Tierschützerin bekannt, steht auf Listenplatz eins und würde Gelsenkirchen damit künftig in Brüssel repräsentieren.

    OB Welge: Geringes Interesse an Europa in Gelsenkirchen ist „verwunderlich“

    Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) bezog sich in ihrer ersten Stellungnahme am Abend zunächst vor allem auf die Wahlbeteiligung. Dass diese mit 52,29 Prozent zum zweiten Mal hintereinander gestiegen ist, sei „die einzige positive Nachricht“ des Tages. Zugleich sei es aber auch eine schlechte Nachricht, dass „sich rund die Hälfte der Menschen in unserer Stadt gar nicht für Europa engagieren wollen.“ Mit Blick auf die bevorstehende EM sagte Welge. „Es ist schon verwunderlich, dass wir uns darauf freuen, in genau einer Woche ein europäisches Großereignis in Gelsenkirchen zu begehen und gleichzeitig so wenig Interesse an der Stärkung europäischer Institutionen haben.“

    Über das schlechte Abschneiden ihrer Partei sagte Welge nichts. Als OB könne sie aber „nur beunruhigen, dass auch in unserer Stadt Kräfte erfolgreich unterwegs sind, das demokratische, diskursorientierte politische und gesellschaftliche System zu diskreditieren und nachhaltig zu beschädigen.“