Gelsenkirchen. Nicole Schmidt will für die SPD Gelsenkirchen bei der Europawahl antreten. Dafür muss sie aber wohl zunächst Michelle Müntefering ausstechen.
Fühlt man den Puls der SPD-Basis in Gelsenkirchen, merkt man schnell, wie das Blut manch eines Sozialdemokraten mit Blick auf die Europawahl in Wallung gerät. Denn ziemlich genau ein Jahr vor dem Rennen um ein Mandat im Europäischen Parlament beginnt im Ruhrgebiet ein überraschender Wettkampf zweier SPD-Frauen um einen aussichtsreichen Platz auf der SPD-Wahlliste, den noch vor einigen Wochen kaum jemand erwartet hatte.
Da ist zum einen die 41-jährige Hernerin Nicole Schmidt von der Gelsenkirchener SPD, die zumindest für die Genossen in der Emscherstadt als gesetzte Kandidatin aus der Region galt – bis vor einigen Wochen überraschend die ebenfalls in Herne lebende Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering erklärte, sie wolle nächstes Jahr nach Straßburg.
Die Ehefrau des früheren Parteivorsitzenden und Vizekanzlers Franz Müntefering (83) hatte den Wahlkreis Herne/Bochum II im September 2021 zum dritten Mal hintereinander direkt gewonnen. In der Großen Koalition von CDU und SPD war sie in der Regierung Merkel noch Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Außenministerium. Im Kabinett Scholz bekleidet sie keinen Posten mehr. Und auch Michelle Münteferings Status als Herner Kandidatin für die nächste Bundestagswahl stehe auf tönernen Füßen, wie in Teilen der SPD kolportiert wird.
Irritationen in der Gelsenkirchener SPD über Kandidatur von Michelle Müntefering für Europawahl 2024
Hinter den Kulissen heißt es, Hernes SPD-Chef Hendrik Bollmann wolle ihr den sicheren Herner Bundestagswahlkreis in einer Kampfkandidatur streitig machen. Der 40-jährige SPD-Ratsherr wies das gegenüber der WAZ entschieden zurück. Diese Gerüchte seien an den Haaren herbeigezogen. Überzeugt sind von dem Dementi aber nicht alle. Zudem wird die Europa-Kandidatur Münteferings als Versuch einer Politikerin gewertet, die vor allem an ihre eigene Karriere denke und nach dem letzten Strohhalm Europaparlament greife, wie mancher in der Gelsenkirchener SPD hinter vorgehaltener Hand spottet.
Öffentlich will sich mit solchen Sätzen keiner zitieren lassen, stattdessen wird beschworen, dass sich die Region doch glücklich schätzen könne, wenn sich zwei Kandidatinnen mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der EU für das Ruhrgebiet einsetzen wollten. Tatsächlich hatte man in der Gelsenkirchener SPD aber auf die Unterstützung der Herner Sozialdemokraten für Nicole Schmidt gehofft, die zwar in Gelsenkirchen arbeitet, aber in Herne lebt. Angesprochen auf das, was man ihr in Teilen der Gelsenkirchener SPD nachsagt, verweist Michelle Müntefering auf WAZ-Nachfrage, dass „über 86 Prozent Zustimmung auf der Delegiertenkonferenz die deutliche Unterstützung meiner Partei belegt“.
Nicole Schmidt: „Ich will mich für Projekte gegen Kinderarmut einsetzen“
Und auch Schmidt sowie der Gelsenkirchener Landtagsabgeordnete Sebastian Watermeier, der die 41-Jährige zum Gespräch mit der WAZ begleitet hat, wollen am liebsten gar nicht über Münteferings Kandidatur reden. Nachfragen, ob Schmidt bis vor einigen Wochen nicht noch mit der Unterstützung Münteferings gerechnet hatte, moderieren beide diplomatisch ab. Mit Blick auf die Listenplätze für die Europawahl räumt Watermeier zwar eine Konkurrenzsituation zwischen den Kandidatinnen ein. Dass die Kandidatur von Michelle Müntefering aber für Misstöne gesorgt habe, will der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Gelsenkirchen indes nicht vernommen haben.
Und Nicole Schmidt erklärt: „Die Kandidatur von Michelle Müntefering ist sehr überraschend gekommen. Aber es ist ein demokratischer Weg, den sie da jetzt gewählt hat. Und die Partei muss entscheiden, welche Kandidatin des Ruhrgebietes sie auf welchen Listenplatz setzt.“ Schmidt hofft, dass sie die SPD mit ihren Themen überzeugt, ihr einen aussichtsreichen Listenplatz zu geben.
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Dann berichtet Nicole Schmidt von ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin, davon, dass sie tagtäglich mitbekomme, „wo der Schuh drückt“. Fördermittel für Gelsenkirchen und die Region gegen Kinderarmut und für Integrationsprojekte zu akquirieren, sei ihr Antrieb – und der Kampf gegen rechtsextreme Strömungen.
Wer ist Nicole Schmidt?
„Ich will bei der Europawahl kandidieren, weil es mir am Herzen liegt, Kindern mit unterschiedlicher Herkunft ein gutes Leben ermöglichen zu können. Für die Projekte, die dabei helfen, braucht es Fördermittel - vor allem im Ruhrgebiet. Dafür will ich mich einsetzen“, so erklärt Nicole Schmidt ihre Motivation für die Kandidatur bei der Europawahl 2024.
Nicole Schmidt hat jahrelang als Sozialarbeiterin in verschiedenen Städten des Ruhrgebiets und auch im Jugendamt der Stadt Gelsenkirchen gearbeitet. Inzwischen koordiniert die 41-Jährige die Arbeit der Kinderstuben in Gelsenkirchen.
Schmidt ist verheiratet, lebt in Herne, arbeitet aber in Gelsenkirchen und ist eine von drei stellvertretende Vorsitzenden der SPD Gelsenkirchen.
Vor allem Projekte wie die Kinderstuben in Gelsenkirchen, die sie mit ins Leben gerufen hat, liegen der 41-Jährigen am Herzen. Also Angebote für zugewanderte Kinder und ihre Eltern, die den Zugezogenen die Integration in Deutschland erleichtern sollen. Angesichts der zahlreichen strukturellen Probleme, vor denen Gelsenkirchen steht, brauche es eine Sozialdemokratin im Europäischen Parlament, die sich um Sozialpolitik kümmere. Und es brauche „frischen Wind und Überzeugung “, so Schmidt, die im Gegensatz zu Müntefering erstmals für ein hohes Amt kandidiert.