Gelsenkirchen. Gelsenkirchen war für den Generalsekretär der neuen Wagenknecht-Partei ein wichtiger Ort. Mischt die Partei nun die Politik in GE auf?
Dass der Bundestagsabgeordnete Christian Leye hier vor kurzem noch sein Bürgerbüro unterhielt, ist am Werner-Goldschmidt-Salon an der Wanner Straße, an der Zentrale der Gelsenkirchener Linken, nicht mehr zu erkennen. Hier fordern nur teils vergilbte Wahlplakate der Linkspartei, Arbeitslose nicht länger zu schröpfen und den „Rüstungswahn“ zu stoppen. Es sind Positionen, die nicht weit weg sind von dem, was Christian Leye auch in seiner neuen Position fordert: Der Ruhrpotter Ex-Linke ist jetzt Generalsekretär beim neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das die Parteienlandschaft ordentlich aufmischen will.
Aber zunächst zu seiner alten Partei, den Linken: Bei ihnen herrscht nach der Aufspaltung auch in Gelsenkirchen eine gewisse Orientierungslosigkeit. Martin Gatzemeier, der Fraktions- und Kreisverbandschef in Gelsenkirchen, weiß nicht, wie viele seiner Parteikollegen mit dem Gedanken spielen, zur neuen Wagenknecht-Partei überzutreten, wie er der WAZ gegenüber zugibt. „Für mich kommt der Wechsel derzeit nicht infrage“, sagt er. „Aber wie das bei den anderen aussieht, weiß man nicht.“ Sicher sei nur, dass es bei den drei Fraktionsmitgliedern – neben Gatzemeier sind das seine Frau Bettina Peipe und Doris Stöcker – keine Austritts- und Wechselpläne gebe.
Gelsenkirchener Linken-Fraktionsgeschäftsführer verlässt die Partei
Und sicher ist auch schon einmal, dass Gelsenkirchens Fraktionsgeschäftsführer Fotis Matentzoglou Ende des Monats offiziell aus der Linkspartei austreten will – „aufgrund der politischen Schwerpunkte, die der Bundesvorstand gesetzt hat und weil seit 2019 mit Fehlern und Misserfolgen in der Partei falsch umgegangen wird“, wie er sagt. Den Job als Fraktionsgeschäftsführer bei den Gelsenkirchener Linken will er trotzdem bis zum Ende der Wahlperiode (also bis 2025) fortführen, auch „weil die Fraktion in Gelsenkirchen sehr auf das Soziale und einen guten politischen Kurs setzt.“ Ob Matentzoglou dann auch BSW-Mitglied wird, lässt er offen.
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Trotz der chaotischen Situation bei den Linken scheint die Stimmung besser als gedacht. „Warum soll man böse mit denjenigen sein, mit denen man jahrelang Politik gemacht hat?“, sagt etwa Gatzemeier. Und damit sind wir bei Christian Leye, dem gegenüber Gatzemeier ebenfalls kein Groll hegt, obwohl der Duisburger die Partei verlassen und den Mietvertrag für sein Bürgerbüro in Gelsenkirchen gekündigt hat.
Kein Streit zwischen BSW und Linken in Gelsenkirchen
„Ich gehe mit den Linken in Gelsenkirchen sicher nicht im Streit auseinander“, sagt auch Leye selbst gegenüber der WAZ. „Es gibt hier viele Leute, die ich politisch sehr schätze, die ich persönlich respektiere und wertschätze.“ Die politischen Konflikte habe der BSW-Generalsekretär eher mit „führenden Funktionären“ der Linkspartei gehabt, weniger mit der Basis in den Kreisverbänden.
Ob sich der Duisburger jetzt ein neues Büro in Gelsenkirchen suchen wird, lässt er noch offen. „Es gibt keine konkreten Pläne, aber gerade für Ruhrgebietsstädte ist das, was wir vorhaben, ein wichtiges politisches Angebot“, meint er. „Es gibt hier viele Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit ihrem Verdienst über den Monat zu kommen, die von wenig Geld und viel Arbeit leben.“
„Während Konzerne sogar in Krisenzeiten Rekorddividenden ausschütten, werden die Schlangen an den Tafeln immer länger“: Das ist ein Kernsatz in der bisherigen Programmatik von BSW. Dahinter steckt eine Sozialpolitik, die der der Linken sehr ähnlich ist: Es soll mehr umverteilt werden, die Tarifbindung soll gestärkt und der Sozialstaat nicht abgebaut werden. Einen anderen Weg als die Linken will BSW dagegen bei der Migrationspolitik setzen: Hier setzt man auf eine Begrenzung des Zuzugs, hier sieht man Migration „nicht als Lösung für das Problem der Armut auf unserer Welt.“
BSW-Generalsekretär: „Deutschland muss wieder aufgebaut werden“
Aber was sagt BSW eigentlich über die finanzielle Ausstattung von Kommunen wie Gelsenkirchen, die eben auch deswegen so unter der Strukturschwäche leiden und wo deswegen auch eine so schlechte Stimmung herrscht, weil sie seit Jahren unterfinanziert sind? „Ich will dem Programmfindungsprozess nicht vorgreifen, aber wir werden uns mit der Finanzierung der Kommunen ernsthaft und zeitnah beschäftigen“, sagt Leye hierzu bislang. Schließlich gehe es dabei um Probleme, die Menschen in ihrem Alltag erleben, „wenn Ämter schlecht besetzt sind oder die Schulen in einem Zustand sind, für den man sich schämen muss.“
Wie sich das BSW die Finanzierung der Kommunen vorstellt, soll also noch erarbeitet werden. Leye macht aber bereits deutlich, in welche Richtung es gehen könnte: „In Deutschland gibt es ein ungerechtes Steuersystem. Es gibt Menschen, die Geld wie Heu haben und von Krise zu Krise mehr Geld anhäufen. Diese sehr, sehr starken Schultern müssen einfach mehr tragen in diesem Land.“ Zudem sei es ein „finanzpolitischer Wahnsinn“, dass weiterhin an der Schuldenbremse festgehalten werde. „Der Investitionsstau türmt sich auf bis zum Himmel, das sieht man in den Kommunen eben besonders. Wir müssen dringend darüber nachdenken, dass wir zumindest die Investitionen von der Schuldenbremse abkoppeln, damit Deutschland wieder aufgebaut werden kann.“