Gelsenkirchen. Sie ist – neben der Gesamtschule Erle – Gelsenkirchens beliebteste Schule. Vor 25 Jahren wurde die Evangelische Gesamtschule gegründet.
Schon von außen ist es unübersehbar: Diese Schule ist anders. Recht kleine, alleinstehende Gebäude, die eher nach Einfamilienhaus als nach Schulgebäude aussehen, alle mit kleinem Gartengrundstück. Viel Holz, viele Fenster, zum Teil schräge Grundrisse und mitten auf dem Schulhof eine metallene Pyramide. Schon vor dem Eingangsrondell steht ein Wegweiser für die Gebäude mit Hinweisen auf ein „Rathaus“, dem Sitz der Verwaltung, ganz wie im richtigen Leben. Nur, dass im lichtdurchfluteten Flur dieses „Rathauses“ große Bäume bis zu Decke wachsen. Volker Franken leitet die Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen (EGG) und feiert mit der gesamten Schulgemeinde inklusive der Ehemaligen in diesem Schuljahr das 25-jährige Bestehen.
Schüler planten mit Lehrern und Architekten die Jahrgangshäuser
Beim Schulstart stand lediglich das Hauptgebäude. Hier zog der allererste fünfte Jahrgang ein und lernte in den heutigen Fachräumen nicht nur fürs Leben, sondern plante auch das Aufwachsen seiner eigenen Schule mit. Jedes Jahr wurde ein neues Jahrgangsgebäude errichtet. Schülerinnen und Schüler, Architektinnen und Architekten sowie Lehrkräfte planten gemeinsam. Die Vorgabe war: Diese Schule soll ein einladender, ein angenehmer Lernort werden. Die Schüler bauten kleine Holzmodelle im Maßstab 1:100 als Muster, eines davon – das Regenbogenhaus – ist noch im Zentralbau ausgestellt.
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Tatsächlich wurden die Entwürfe weitgehend umgesetzt. Und so verfügen alle Jahrgangshäuser nicht nur über geräumige eigene Flurbereiche mit eigenen Toiletten für jeden Klassenraum. Alle Reihenhäuser, wie sie genannt werden, haben auch eine zweite, halb offene obere Ebene, in die sich Kinder, die still für sich lernen oder einfach nur ausruhen mögen, zurückziehen können. Neben der Entspannungsecke gibt es Schreibtische und Bänke für das selbstständige Lernen.
Schulleiter: „Baukosten waren nicht höher als anderen Schulen“
Nach diesem Prinzip kam jedes Jahr ein neuer Jahrgangskomplex hinzu, immer vom jeweiligen fünften Jahrgang mitgeplant. Möglich war dieses Vorgehen dank des eigens gegründeten Vereins, von dem die Evangelische Kirche als Schulträgerin die Gebäude mietet. Dank dieses Konstrukts mit dem Bauverein können an der EGG auch alljährlich notwendige Sanierungsarbeiten durchgeführt werden. „Die Baukosten waren nicht höher als bei klassischen Schulbauten“, versichert Schulleiter Franken, der dritte Leiter an dieser Schule. Der Gründer der Reformschule, wie es damals hieß, Professor Wolfgang Winkel, amtierte lediglich fünf Jahre.
Volker Franken (heute 62) wechselte bereits vor 22 Jahren an die EGG, zunächst als stellvertretender Leiter, elf Jahre später übernahm er die Leitung. Mitbestimmung der Schülerschaft spiele auch heute noch eine große Rolle, versichert er. Auch das sei ein wichtiger Faktor in Zusammenhang mit der heutigen Beliebtheit der Schule. 230 Kinder stehen in diesem Jahr wieder auf der Warteliste, die im ersten Anlauf keinen Platz bekommen haben. Die Schule kann nur 144 Kinder aufnehmen im fünften Jahrgang, weil sie – schon seit vielen Jahren – auch Inklusionsschüler unterrichtet. „Wir haben damit früh und freiwillig begonnen. Und dank unseres frühen Starts haben wir auch noch alle sieben Sozialpädagogenstellen besetzen können“, erläutert Franken.
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Die Beliebtheit ist nur langsam, aber stetig gewachsen, ähnlich der Schule selbst. Gab es anfangs noch Skepsis, so steht die Schule nun seit einigen Jahren in jedem Januar/Februar vor der undankbaren Aufgabe, eine Schülerauslese zu treffen. Was sie freilich in die glückliche Lage versetzt, die Schülerschaft so gemischt zusammenzusetzen, wie Gesamtschulen nach dem ursprünglichen Konzept gedacht waren: mit einem Drittel Kindern mit Gymnasialempfehlung, (aktuell etwas mehr als) einem Drittel mit Realschulempfehlung und etwas weniger als einem Drittel mit Hauptschulempfehlung. Etwa zwei Drittel schaffen es im Durchschnitt in die Oberstufe und zum Abitur. Das ist deutlich mehr als im Durchschnitt an Gesamtschulen. „Wir führen auch viele Kinder mit Realschulempfehlung zum Abitur. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir mehr Kinder mit Gymnasialempfehlungen haben als andere Gesamtschulen“, räumt Franken ein.
Kinder aus dem Stadtteil haben Vorrang, stellen mehr als 50 Prozent der Schülerschaft. „Alle Bewerber aus einem Umkreis von einem Kilometer haben wir aufnehmen können!“, versichert Franken. Man versteht sich – ähnlich wie die ebenso beliebte Gesamtschule Erle – als Stadtteilschule. Weshalb auch die eigenen Turnhallen ab 16 Uhr grundsätzlich Vereinen zur Verfügung stehen, die Elternschaft stark in alle schulischen Belange einbezogen wird.
Eine wichtige Rolle spielt freilich auch die Religion, allerdings nicht bei der Aufnahme. Dabei wird nicht unterschieden. Es gibt Islamunterricht in deutscher Sprache ebenso wie in evangelischer und katholischer Religion, enge Kontakte zur jüdischen Gemeinde. Die Jubiläumsfeier wurde mit einem Open-Air-Gottesdienst eröffnet, ein gutes Miteinander und christliche Werte sind wichtig. In Volker Frankens Dienstzimmer hängen Luthers Thesen an der Wand – gegenüber der hölzernen Giraffe aus Sambia, wo die EGG eine Partnerschule hat.
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Bei der finanziellen Ausstattung habe die EGG als Schule in privater Trägerschaft zwar eigentlich keine Vorteile. Für das Personal habe man genauso viel Geld zur Verfügung wie Schulen in öffentlicher Trägerschaft: 94 Prozent zahlt der Staat, sechs Prozent die Kirche. „Aber wir dürfen unbegrenzt Lehrer mit Sekundarstufe II-Befähigung einstellen, das dürfen die staatlichen nicht. Diese Lehrer bekommen zwar auch nur Sek-I-Gehalt: Aber sie dürfen kommen“, erklärt Franken. Und wohl auch deshalb liegt die Besetzungsquote an seiner Schule bei stolzen 100 Prozent. Doppelte Lehrerbesetzung in vielen Fächern, individuelle Förderung, all das ist so möglich. Nicht ganz so optimal sind die Klassengrößen. 30 Kinder je Klasse, sind zieldifferent lernende Kinder (mit Förderbedarf geistige Entwicklung) darunter, pro Kind eines weniger: Das ist nicht optimal. „So müssen wir etwas weniger ablehnen“, nennt Franken den Grund.
Veränderungen der Schülerschaft bemerkt Franken auch in dieser Schule: „Der Faktor Erziehung ist deutlich größer geworden.“ Zwei Sozialarbeiter und die Seelsorgerin unterstützen das Kollegium, es gibt Anti-Aggressionstraining, Disziplinarkonferenzen mit entsprechenden Konsequenzen, Hausbesuche von Lehrern sowie Kontakte zu Jugendamt und psychiatrischen Einrichtungen. „Die Kinder bringen heute eine Menge Päckchen mit“, weiß Franken. Aber dank guter Durchmischung könne man das an der EGG noch auffangen.
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Am Freitag, 1. März, steigt nun – nach den Partys der Sekundarstufe I und II – ab 18 Uhr ein großes Jubiläumsfest unter dem Motto „Eine Gute Geschichte“ mit geladenen Gästen, Eltern, Kollegium und Ehemaligen im Hauptgebäude an der Laarstraße 41. Es gibt Live-Musik, Tombola sowie ein buntes Unterhaltungsprogramm.