Gelsenkirchen. Nach einigen aufsehenerregenden Abschiebe-Fällen wird weiter über die Arbeit des Ausländeramtes diskutiert. Dieser Vorschlag steht jetzt im Raum.
- Nach einigen aufsehenerregenden Abschiebe-Fällen wird in der Politik weiter über die Arbeit der Ausländerbehörde Gelsenkirchen diskutiert.
- Die WIN-Fraktion macht nun den Vorschlag, eine „Härtefallkommission“ in Gelsenkirchen einzurichten.
- Hier sollen sensible Fälle von Ausreisepflichtigen besprochen werden. Bindend für das Ausländeramt wären die Empfehlung einer solchen Kommission allerdings nicht.
Erwartbar viel Gegenwind von der Stadtverwaltung und anderen Fraktionen haben die Gelsenkirchener Grünen für ihren jüngsten, scharf formulierten Vorstoß erhalten, „skandalöse Familientrennungen“ in Gelsenkirchen stoppen zu wollen – indem beispielsweise vor Abschiebungen systematischer das Jugendamt eingeschaltet wird. Da ist nicht nur die insgesamt migrationskritische Stimmung in der aktuellen Politik, vor allem zeigen die meisten Fraktionen in Gelsenkirchen immer wieder, dass bei ihnen durchaus Zufriedenheit mit der Arbeit des Ausländeramtes und Vertrauen in dessen Entscheidungen herrscht.
Das allerdings heißt längst nicht, dass die Abschiebepraxis in Gelsenkirchen ausdiskutiert ist. Nun macht auch die WIN-Fraktion (Wähler Initiative NRW) einen Vorschlag: Es müsse eine „Härtefallkommission“ für Ausreisepflichtige in Gelsenkirchen eingerichtet werden.
Flucht und Migration: So arbeitet die „Härtefallkommission NRW“
Eine solche Härtefallkommission nimmt eigentlich bereits auf Landesebene Anträge von Schutzsuchenden entgegen. Hier geht es um Menschen mit „dringenden humanitären oder persönlichen Gründen“ für ihren Aufenthalt, die durch den Gesetzgeber nicht bereits erfasst wurden. Das Härtefallverfahren soll also nicht „zugunsten einer großen Anzahl von Ausländern“ genutzt werden, sondern vielmehr als Abhilfe „in besonders gelagerten, humanitären Fallgestaltungen (z.B. schwerer häuslicher Gewalt, Zwangsverheiratung) zur Anwendung kommen“, erläutert man bei der Stadt.
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Rechtsbindend für das Ausländeramt Gelsenkirchen sind die Entscheidungen der NRW-Kommission allerdings nicht; es handelt sich um Empfehlungen. Die Verwaltung weist Menschen, die von einer Abschiebung bedroht sind, nicht einmal auf die Härtefallkommission des Landes hin – mit dem Argument, man führe als Gemeinde nun mal keine Rechtsberatung durch.
53 Härtefälle aus Gelsenkirchen
Nach Angaben der Verwaltung hat sich die Härtefallkommission seit 2018 mit insgesamt 53 Fällen aus Gelsenkirchen befasst. Um welche Fälle es sich dabei handelt und wie oft die Ausländerbehörde anders gehandelt hat, als es die Härtefallkommission empfohlen hat? Dazu existierten „keine statistischen Erfassungen“, heißt es seitens der Stadt. Teils sei man Empfehlungen gefolgt, teils nicht, ergänzt die Stadt auf Nachfrage.
Ali-Riza Akyol, Fraktionsgeschäftsführer und bekanntestes Gesicht der WIN, ist grundsätzlich nicht zurückhaltend mit lauter Kritik an der Verwaltung und wertet nicht nur diese Antwort als „geringes Interesse der Stadt an so einem wichtigen Thema“. Zudem hält er es für problematisch, dass trotz gegenteiliger Empfehlung der Kommission in manchen Fällen abgeschoben werde. Auch andere Fragen von ihm zur Abschiebepraxis seien viel zu wortkarg beantwortet worden, meint Akyol – beispielsweise die Frage danach, wie andere Kommunen mit Empfehlungen der Härtefallkommission umgehen. Die Antwort der Stadt hier: nicht bekannt.
Politiker: Gelsenkirchen soll von Mönchengladbach lernen
Bekannt jedenfalls ist: Andere Kommunen haben sogar eigene Härtefallkommissionen oder vergleichbare Gremien aufgebaut. Heraus sticht aus Sicht von Akyol das Modell der Stadt Mönchengladbach. „Es ermöglicht den Mandatsträgern, ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Verwaltung in Fragen der Ausländerangelegenheiten nachzukommen“, meint er. Versammelt sind in der dortigen Kommission nämlich Vertreter der Lokalpolitik, aber auch der katholischen und evangelischen Kirche, des „Eine-Welt-Forums“ und des Integrationsrates – also Personen, die sicher besser über das lokale Geschehen und die Arbeit des örtlichen Ausländeramtes informiert sind als eine Kommission der Landesregierung.
„Eine Härtefallkommission ist vor dem Hintergrund der mehrfach medial kontrovers besprochenen Abschiebefälle besonders wichtig“, meint man bei der WIN, die besonders auf die Abschiebung einer geistig behinderten 20-Jährigen in den Kosovo im Oktober 2021 aufmerksam macht. Es ist nicht der einzige umstrittene, vom „Abschiebungsreporting NRW“ öffentlich gemachte Fall, über den auch die WAZ berichtet hat. Zuletzt ging es um die Abschiebung einer jesidisch-armenischen Familie, die im Oktober 2023 zurückgeführt wurde, während sich die Mutter in stationärer Behandlung in einer Psychiatrie befunden hat. 2022 machte die Trennung eines nigerianischen Vaters von seiner fünfköpfigen Familie Schlagzeilen.
Besprochen wird die Härtefallkommission bei der Sitzung des Ordnungsausschusses am 23. Januar. Dann geht es auch um weitere Anträge der Grünen zur Thematik, die sich mehr Transparenz vom Ausländeramt zu Abschiebefällen wünschen.