Gelsenkirchen. Gelsenkirchen klagt seit langer Zeit, weil der Stadt immer noch so viele Geflüchtete zugewiesen werden. Wo genau hier das Problem liegt.
Kaum eine Forderung an die Landesregierung vernimmt man aus dem Hans-Sachs-Haus häufiger als die nach der Neuorganisation bei der Verteilung von Asylsuchenden. OB Karin Welge und ihrer Verwaltung geht es darum, die „tatsächlichen Integrationsherausforderungen“ Gelsenkirchens bei der Zuweisung der Menschen in die Kommunen zu berücksichtigen. Aber was heißt das eigentlich? Und wo liegt das Problem bei dem aktuellen Verteilungsmechanismus?
In NRW werden die Schutzsuchenden nach einem zweigliedrigen System aus den Aufnahmeeinrichtungen des Landes in die Kommunen verteilt. Die Zuweisung erfolgt zum einen nach der FlüAG-Quote, also nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz, zum anderen nach der Wohnsitzauflage (WSA). Wohnsitzauflage bedeutet, dass Personen, die Sozialleistungen beziehen, ihren Wohnsitz nicht frei wählen dürfen. (Erst, wenn sie Gründe wie etwa die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit darlegen, können sie ihren Wohnort frei wählen.)
Ein Schutzsuchender wird bei der FlüAG-Quote berücksichtigt, wenn er während seines laufenden Asylverfahrens oder nach Ablehnung seines Asylantrags einer Kommune zugewiesen wird. Dass abgelehnte Menschen zugewiesen werden, statt direkt abgeschoben zu werden, kann übrigens vielerlei Gründe haben. Eine Rückführung kann aus gesundheitlichen, familiären oder bürokratischen Gründen nicht umgesetzt werden, beispielsweise weil wichtige Dokumente fehlen. Lesen Sie hierzu: Warum viele Ausreisepflichtige in Gelsenkirchen bleiben
Wie viele Menschen eine Kommune aufnehmen muss, wird berechnet aus ihrem Einwohneranteil an der Gesamtbevölkerung des Landes (Einwohnerschlüssel) und entsprechend dem Flächenanteil der Kommune an der Gesamtfläche des Landes (Flächenschlüssel). Damit wird das Ziel verfolgt, die Schutzsuchenden möglichst gleichmäßig aufs Land zu verteilen.
Der Stadt Gelsenkirchen werden weiterhin viele Geflüchtete zugewiesen
Für Gelsenkirchen ergibt sich daraus: Die Stadt muss gegenwärtig (Stichtag 17. November) bis zu 3840 Schutzsuchende aufnehmen, hat aber bislang „nur“ 3561 Menschen zugewiesen bekommen. Gelsenkirchen erfüllt die Quote also nur zu 92,75 Prozent und müsste noch rund 280 Personen aufnehmen. Die Quote ist aber „lebendig“, denn wenn immer mehr Geflüchtete ins Land kommen, erhöhen sich auch wieder die Aufnahmepflichten. So kommt es, dass die Stadt die Quote immer noch nicht erfüllt, obwohl ihr seit Anfang des Jahres bereits viele weitere Menschen zugewiesen worden sind. In diesem Jahr waren es allein 568 Schutzsuchende, darunter 190 Ukrainer und 378 Menschen anderer Herkunftsländer.
Nach der anderen Quote, die nach der Wohnsitzauflage, werden der Stadt gegenwärtig übrigens überhaupt keine Menschen zugewiesen. Denn diese Quote übererfüllt Gelsenkirchen in ausgesprochen hohem Maße. Nach der Quote müsste die Stadt 1914 Schutzbedürftige aufnehmen, tatsächlich leben in der Stadt aber 2728 Menschen nach Wohnsitzauflage. Das ergibt eine Erfüllungsquote von 145,85 Prozent.
Zustande kommt das wie folgt: Erhält ein Asylsuchender in einer Landeseinrichtung bereits seine Aufenthaltserlaubnis, dann wird er einer Kommune nach der Wohnsitzauflage zugewiesen. „Da in diesen Fällen feststeht, dass die betroffenen Geflüchteten in Deutschland bleiben dürfen, werden bei dem dann maßgeblichen Verteilschlüssel auch Integrationsgesichtspunkte wie zum Beispiel der örtliche Arbeitsmarkt berücksichtigt“, heißt es aus dem NRW-Ministerium für Flüchtlinge.
Das heißt: Wer im laufenden Asylverfahren nach Gelsenkirchen kommt, aber dann hier eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, rutscht in der Statistik von dem Bestand der zugewiesenen Menschen nach der FlüAG-Quote in den Bestand der Menschen nach der Wohnsitzauflage. So erläutert es auch das Ministerium. Noch mal umverteilt wird ein Mensch dann aber nicht, auch wenn eine Stadt schon so überbelastet ist wie Gelsenkirchen, „denn der einmal begonnene Integrationsprozess in der Kommune soll nicht unterbrochen werden“, heißt es.
Krasses Missverhältnis bei den beiden Flüchtlingsquoten in Gelsenkirchen
So kann es aber zu einem krassen Missverhältnis bei den Quoten kommen – wie in Gelsenkirchen, wo man zusätzlich ja auch noch große Integrationsaufgaben mit Blick auf die Migration aus Südosteuropa zu leisten hat. Denn die rund 12.000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien werden natürlich in keiner Quote berücksichtigt, weil sie als EU-Bürger nach Gelsenkirchen gekommen sind.
Aber: „Die Schwierigkeiten von Kommunen, die in einer der beiden Quoten in einer deutlichen Übererfüllung sind, sind der Landesregierung bekannt“, so das Ministerium auf WAZ-Nachfrage. „Deshalb findet aktuell ein Prüfprozess statt, ob und wie die beiden Quoten in einen Ausgleich gebracht werden können.“ Ähnlich klang es schon, als die WAZ vor über einem Jahr bei dem Ministerium anfragte. Und eines ist klar: So lange diese „Verschneidung“ der Schlüssel nicht geschieht, wird die Zahl der Schutzbedürftigen in Gelsenkirchen weiter anwachsen.