Gelsenkirchen. Vier Gelsenkirchener klagen gegen die Erweiterung der Zentraldeponie. Ihre Strategie, ihre Aussichten und welche neue Klagewelle anrollen könnte.

Über die Erweiterung der umstrittenen Zentraldeponie Emscherbruch fällt das Oberverwaltungsgericht Münster am Donnerstag, 1. Juni (10 Uhr, Sitzungssaal 1), sein Urteil. Klage eingereicht haben vier Gelsenkirchener Anwohner.

„Wir gehen mit gemischten Gefühlen in die Verhandlung“, sagt Marc Bruckmann, er ist so etwas wie der Sprecher der Kläger. Geklagt hat er zusammen mit den Gelsenkirchener Anwohnern Fabian Gärtner, Albert Wübbena und Anja Hollerer. Bruckmann und seine Mitstreiter wie auch ihr Rechtsanwalt Daniel Kuhlmann bewerten die Erfolgsaussichten vor dem Oberverwaltungsgericht höchst unterschiedlich.

Deponie Emscherbruch: Kläger kämpfen im Abwehrkampf an zwei Fronten

Dass die OVG-Richter die Genehmigung der Bezirksregierung Münster zur Erweiterung der Deponie als „planungsrechtlich als unzulässig ansehen“, davon gehen die Gelsenkirchener eher nicht aus. Den zivilrechtlichen Klagen hingegen – ein weiterer Versuch, sich gegen die Deponie zur Wehr zu setzen, messen sie „wesentlich größere Erfolgschancen“ bei. Der langjährige Streit um die Kokerei Bottrop dient ihnen dabei als Blaupause.

Aber der Reihe nach: Als gering stufen Kläger wie Anwalt die Chancen, erfolgreich gegen die planungsrechtliche Erlaubnis vorzugehen, deshalb ein, weil „der Gesetzgeber den Behörden ein sehr weites Ermessen zubilligt“. Sprich: Die Gerichte können nur Ermessensüberschreitungen feststellen, nicht aber das Ermessen für die Behörde selbst ausüben, also die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme prüfen. Und Münster hat ja bereits pro Erweiterung entschieden. Immerhin: Im Falle einer Niederlage am Donnerstag können die Kläger noch das Bundesverwaltungsgericht anrufen.

Die mit einer Laufzeitverlängerung verbundene Erweiterung respektive Erhöhung der Deponie an der Stadtgrenze zwischen Herne und Gelsenkirchen ist im September 2021 von der zuständigen Bezirksregierung Münster genehmigt worden.

Auf der Zentraldeponie Emscherbruch an der Stadtgrenze zwischen Herne und Gelsenkirchen sollen bis zu 4,6 Millionen Kubikmeter zusätzliche Abfallmengen deponiert werden, darunter gefährlicher Müll.
Auf der Zentraldeponie Emscherbruch an der Stadtgrenze zwischen Herne und Gelsenkirchen sollen bis zu 4,6 Millionen Kubikmeter zusätzliche Abfallmengen deponiert werden, darunter gefährlicher Müll. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Angesichts hoher Entsorgungskosten wird in den umliegenden Naturschutzgebieten zumeist nachts illegal Müll wie tonnenweise Bauschutt und anderer Abfall abgeladen. Gerade erst hat RVR-Revierförster Matthias Klar dazu einen Notruf abgesetzt.

Außerdem können in Gerichtsverfahren nur die Einwände vorgetragen werden, die bereits bei den außergerichtlichen Erörterungsterminen vorgebracht wurden.„Wir haben gute Gründe angeführt“, sagt Marc Bruckmann. Zwei Kernargumente der Kläger sind, dass die Deponie nur zum Teil über eine Basisabdichtung im Untergrund verfügt, Gefahr für Mensch und Natur durch Verseuchung drohe. Zudem berufen sie sich auf „eine EU-Vorschrift, nach der solche alten Deponien bis 2009 hätten stillgelegt werden müssen“. Die AGR als Deponie-Betreiberin, ein Tochterunternehmen des Regionalverbandes Ruhr, streitet beides ab, argumentiert in erster Linie mit der notwendigen Versorgungssicherheit für die umliegenden Städte angesichts schwindender Kapazitäten.

Kokerei-Klagen als Vorbild: Immobilien-Wertverlust – Streitwert 100.000 Euro

Diese Gelsenkirchener Anwohner klagen gegen die von der Bezirksregierung Münster genehmigte Erweiterung der Deponie: (von links) Fabian Gärtner, Anja Hollerer und Marc Bruckmann. Nicht im Bild: der Kläger Albert Wübbena.
Diese Gelsenkirchener Anwohner klagen gegen die von der Bezirksregierung Münster genehmigte Erweiterung der Deponie: (von links) Fabian Gärtner, Anja Hollerer und Marc Bruckmann. Nicht im Bild: der Kläger Albert Wübbena. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Größere Hoffnungen und Chancen sehen die Gelsenkirchener Kläger und ihr Anwalt „in der Geltendmachung zivilrechtlicher Abwehr- und Schadensersatzansprüche“. Ihr Ansatz: Sollte ein Gericht (gesundheitliche) Belastungen durch (Lkw-) Lärm, Staub und andere Emissionen als unzumutbar und damit als rechtswidrig ansehen, so ließen sich entsprechende Ersatzansprüche geltend machen, etwa der Wertverlust von der eigenen Immobilie.

Die Deponie-Gegner nehmen sich den Streit um die Kokerei Bottrop, bei dem das Oberlandesgericht Hamm „bereits darauf hingewiesen hat, dass Ansprüche bestehen würden“ zum Vorbild, erklärt Rechtsanwalt Daniel Kuhlmann. Nach Einschätzung eines Sachverständigen, so der Anwalt, könnten die Eigenheime bis zu einem Drittel an Wert verlieren. „Die Verfahren laufen noch, in allen ist der Streitwert jeweils auf 100.000 Euro festgesetzt worden.“

Die Bottroper Umweltbehörde hatte den täglichen Verzehr des Gemüses aus einigen Gärten im Umkreis der Kokerei Prosper als gesundheitsgefährdend eingestuft, nachdem die Messwerte in der Spitze mehr als 25-mal so hoch wie die allgemein üblichen Orientierungswerte waren. Dabei geht es um die Umweltbelastungen durch Benzo(a)pyren (BaP) und durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK-4). PAK stuft „das Bundesumweltamt als besonders problematische Stoffgruppe“ ein, weil viele von ihnen „giftig und krebserregend“ sind.

Raffinerie-Rückstände auf der Deponie Emscherbruch

Die Zentraldeponie verfügt über eine Sonderabfall-Deponie (Klasse III), wo gefährlicher Abfall – wie Raffinerie-Rückstände – entsorgt wird. Die Gelsenkirchener Deponie ist eines der 24 Unternehmen in 20 Städten in der Rhein-Ruhr-Region, in denen seit 2008 Raffinerie-Rückstände „eingesetzt, umgeschlagen, gelagert bzw. abgelagert“ wurden. Das geht aus einer früheren Information des Umweltministeriums hervor.

Ursprungserzeuger Shell hatte das Material, das dem an der Wiedehopfstraße abgelagerten Müll beigemischt ist, jahrelang falsch als „Petrolkoks“ deklariert.

Das alles im Hinterkopf, streben die Gelsenkirchener Deponie-Anwohner ähnliche Klagen an. Sogenannte „Belästigungsprotokolle“, in denen Lärm, Staub und mehr regelmäßig dokumentiert werden, sollen dazu führen, dass ein Sachverständiger per Gericht beauftragt wird, zu prüfen, „ob Grenzwerte eingehalten und welchen Substanzen die Menschen ausgesetzt werden“, so Marc Bruckmann, der bereits um die 100 weitere Anwohner hinter den Klägern versammelt sieht.

„Je mehr mitmachen, desto größer die Erfolgsaussichten“, sagt der Gelsenkirchener. Und umso teurer möglicherweise dann auch für die Deponie-Betreiberin. Zahlungen in Millionenhöhe könnten die AGR vielleicht dazu bewegen, den Deponie-Betrieb früher als geplant einzustellen, so der strategische Ansatz von Rechtsanwalt Daniel Kuhlmann.