Herne/Gelsenkirchen. Die AGR gerät für Pläne zur Verdichtung der Deponie in Herne und Gelsenkirchen immer mehr ins Kreuzfeuer. Was der RVR-Tochter vorgeworfen wird.
Die Betreiberin AGR gerät wegen der geplanten Verdichtung der Zentraldeponie zunehmend in die Kritik: Nach dem Herner Umweltausschuss in der vergangenen Woche zeigten sich am Dienstag auch die Mitglieder des Gelsenkirchener Umweltausschusses entsetzt über die Pläne und das Vorgehen der Tochter des Regionalverbandes Ruhr (RVR).
Im Ausschuss teilte die Gelsenkirchener Stadtverwaltung zum Erstaunen der Politik mit, dass die Testreihen zur Verdichtung der Deponie bereits am Mittwoch, 23. November, beginnen sollen – offenbar ohne eine vorherige Information an alle Anwohnerinnen und Anwohner, so die Vermutung. Die Stadt sei erst am Montag darüber informiert worden. Die Ergebnisse der anstehenden Tests würden Mitte/Ende Januar erwartet, sagte eine Stadtmitarbeiterin.
Die AGR hat bereits vor der Gelsenkirchener Ausschusssitzung alle Vorwürfe zurückgewiesen. Eine Verdichtung des Müllvolumens auf der Zentraldeponie Emscherbruch würde nicht zur Laufzeitverlängerung der Anlage an der Stadtgrenze zwischen Herne und Gelsenkirchen führen, es bleibe bei der „Prognose“ für ein Schütt-Ende 2030/31, so das Unternehmen in einer Pressemitteilung.
Testreihe auf Deponie: 17-Tonnen-Gewicht fällt auf Müll
Wie berichtet, hat die AGR bei der Bezirksregierung Münster eine Testreihe beantragt. Darin soll untersucht werden, ob durch eine Verdichtung von Abfällen neues Deponievolumen erschlossen werden kann. Die Bezirksregierung hat diesen Versuch genehmigt, bei dem nun auf drei etwa 500 Quadratmetern großen Feldern (auf Gelsenkirchener Stadtgebiet) mehrfach ein riesiges Gewicht von 17 Tonnen aus einer Höhe von 25 Metern auf den Müll fallen gelassen wird.
Die AGR habe diesen Antrag „vor dem Hintergrund der faktischen Deponieraumknappheit“ in der Region gestellt, erklärte Unternehmenssprecher Jürgen Fröhlich in der Pressemitteilung. Auf Basis der von der Bezirksregierung Münster (gegen den Willen von Anwohnern, einer BI und der Politik) genehmigten Erweiterung der Deponie wäre das Volumen 2030/31 laut einer Prognose „final erschöpft“. Im Falle einer Verdichtung des Abfalls bliebe es aber bei dem genehmigten Deponievolumen und damit auch bei dem geplanten Aus der Anlage in den Jahren 2030/2031, rechnete Fröhlich vor. Übersetzt: viel Lärm um nichts – zumindest aus Sicht der AGR.
+++ Mülldeponie: Menschen befürchten Laufzeitverlängerung +++
Doch damit nicht genug: Der WAZ Herne warf Fröhlich vor, Vorwürfe gegen die AGR „herbeispekuliert“ zu haben und „unbegründete Ängste der Anwohner geschürt“ zu haben. Er bezog sich dabei auf die WAZ-Berichterstattung, in der die im Herner Umweltausschuss laut gewordene Wut und Kritik der Politik dokumentiert und der Vorgang in einem Kommentar bewertet wird.
SPD-Politiker wirft der RVR-Tochter Trickserei vor
Die Empörung in den Ratsfraktionen über das Vorgehen der AGR hat sich auch mehrere Tage nach der Sitzung des Ausschusses nicht gelegt. Im Gegenteil: Die SPD-Ratsfraktion habe am Montagabend entschieden, eine Sondersitzung zum Thema Deponie zu beantragen, berichtet SPD-Umweltpolitiker Roberto Gentilini. Auch der Gelsenkirchener Umweltausschuss sprach sich am Dienstag für eine solche Sitzung aus, zu der Anfang 2023 alle Beteiligten von der AGR über den RVR und die Bezirksregierung bis hin zum NRW-Umweltministerium eingeladen werden sollen.
Das Vorgehen der RVR-Tochter bezeichnet Gentilini gegenüber der WAZ als „Trick“ und „Versuch durch die Hintertür“. Gentilini erinnert daran, dass AGR-Geschäftsführer Joachim Ronge im vergangenen Jahr in einer Sitzung des Herner Umweltausschusses signalisiert habe, dass die von Münster genehmigte Obergrenze des Müllvolumens auf der Deponie wahrscheinlich deutlich vor 2030/31 erreicht werden könnte. Vor diesem Hintergrund drohe bei einer Verdichtung sehr wohl eine Laufzeitverlängerung mit zusätzlichen Belastungen für die seit Jahrzehnten unter der Deponie leidenden Anwohnerinnen und Anwohner, betont der Sozialdemokrat. Fragen nach Auswirkungen auf die Tragfähigkeit des Geländes und auf Häuser im Umfeld der Anlage müssten ebenfalls gestellt werden.
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Diese und weitere Bedenken zum Beispiel hinsichtlich möglicher Folgen für das Grundwasser meldeten am Dienstag auch Mitglieder des Gelsenkirchener Umweltausschuss an. Beklagt wurde zudem die mangelhafte Kommunikation der AGR. Als „kommunales Unternehmen“ habe diese Gesellschaft eine ganz besondere Verantwortung – auch was die Kommunikation mit der Bevölkerung angehe, erklärte Ausschussvorsitzender Manfred Leichtweis (SPD). Er hätte zudem erwartet, dass die AGR noch vor ihrem Antrag von sich aus auf die beiden Städte zugegangen wäre, um über die Pläne zu informieren. Und: Es gebe bisher keinerlei verbindliche Aussage des Unternehmens, dass der Deponiebetrieb tatsächlich 2030/31 eingestellt wird, so Leichtweis.
In Herne richtet sich der Blick derweil auch auf Schwarz-Grün in Düsseldorf. Die Landesregierung müsse ihre Hausaufgaben machen und endlich einen Beschluss für einen neuen Deponiestandort herbeiführen, fordert Roberto Gentilini (siehe auch unten). Zumindest in diesem Punkt gibt es offenbar so etwas wie einen Konsens zwischen der RVR-Tochter und der Politik. „Geringe Deponiekapazitäten und steigende Zahlen mineralischer Abfälle, auch noch einmal verschärft durch die Ersatzbaustoffverordnung und große Infrastrukturprojekte, führen unweigerlich dazu, dass die wenigen verbliebenen Deponie-Kapazitäten eher früher volllaufen, als uns allen lieb sein kann“, so die AGR. Seit 2016 suche man intensiv nach Nachfolgestandorten und -kapazitäten, die für die Entsorgungssicherheit dringend erforderlich seien.
>>> Eine Frage der Dringlichkeit
Die Stadt Herne hatte die Politik im dortigen Umweltausschuss bereits am Mittwoch, 16. November, durch einen längeren schriftlichen Bericht sowie mündlich über die umstrittenen Pläne der AGR auf der Zentraldeponie informiert.
In der Sitzung des Gelsenkirchener Umweltausschusses am Dienstag, 22. November, gelangte das Aufreger-Thema nicht durch die Verwaltung, sondern über zwei Dringlichkeitsanträge des Ausschussvorsitzenden Manfred Leichtweis (SPD) und der Grünen auf die Tagesordnung.
Erklärungsversuch des städtischen Planungsdezernent Christoph Heidenreich: Man habe die Politik am Ende der Sitzung unter Mitteilungen kurz informieren wollen, um sich dann in der Ausschusssitzung am 24. Januar 2023 ausführlich damit zu befassen.
>>> Das sagen OB Frank Dudda und der Herner SPD-Landtagsabgeordnete
Hernes OB Frank Dudda (SPD) – er ist auch Vorsitzender des Ruhr-Parlaments beim RVR – teilt die scharfe Kritik der SPD-Ratsfraktion nicht. „Ich gehe nicht von einer Laufzeitverlängerung aus und bleibe dabei, dass das Ende der Schüttungen nach Möglichkeit 2030 erreicht werden muss“, so Dudda zur WAZ. Dies sei auch mit dem Regierungspräsidium Münster abgestimmt. Und: Nach offizieller Stellungnahme der AGR sei eine Laufzeitverlängerung nicht Intention des beantragten Verdichtungsversuchs.
Hernes SPD-Landtagsabgeordneter Alexander Vogt erklärt auf Anfrage, dass die Tests zur Müllverdichtung „nachvollziehbare Sorge vor einer Laufzeitverlängerung oder vermehrtem Lkw-Verkehr“ aufwürfen. In NRW müssten endlich alternative Deponieflächen her, damit die Zentraldeponie geschlossen werden könne. Hier seien vor allem die Grünen in der Pflicht, die in NRW den Umweltminister stellten und mit dem Herner Raoul Roßbach einen politischen Landesgeschäftsführer hätten, der die Situation vor Ort genau kenne. Dass die Grünen im NRW-Koalitionsvertrag mit der CDU die Deponie Emscherbruch erst gar nicht erwähnten, sei „ein Skandal“.
Die WAZ kommt auf das Thema zurück.