Gelsenkirchen. Dramatische Konflikte entstehen oft aus nichtigen Anlässen. Gelsenkirchener GSÜ-Schüler üben, Probleme früh zu erkennen und gemeinsam zu lösen.

In einer Zeit, in der Meinungsverschiedenheiten immer wieder eskalieren, Mobbing analog und digital alltäglich ist und Aggressionen gerade von Kindern und Jugendlichen viel zu oft unangemessen ausgelebt werden – siehe Polizeiberichte – , kann ein faires Miteinander gar nicht oft genug geübt werden. Das Angebot des Fair Mobils unter der Überschrift „Stark MiteinanderN“ nahm der Leiter der Gesamtschule Ückendorf (GSÜ), Achim Elvert, daher nur zu gern an. Drei Tage lang übten Fünft- und Sechstklässler gemeinsam an verschiedensten Stationen, unterstützt von Mitschülern des Jahrgangs 13, Konflikte und deren Ursachen zu erkennen und gemeinsam zu lösen.

Soziale Kontakte üben und Außenseiter einbeziehen

Bettina Schwartz-Brosch hat das Projekt, das auch mit Hilfe der Post-Corona-Gelder vom Land finanziert werden konnte, für die Schule mit Kollegin Felicitas Fischer vorbereitet. „Corona hat wie ein Brennglas gewirkt. Die Schüler haben sich weniger bewegt, soziale Kontakte konnten nicht gepflegt werden, Aggressionen haben sich aufgestaut, Außenseitertum hat sich verstärkt: Das alles wirkt nach“, hat die Pädagogin Schwartz-Brosch beobachtet. Für die kleinen Teams, die den Parcours gemeinsam bewältigen, hat sie eigens Schüler zu Gruppen gefügt, die nicht ohnehin schon beste Freunde sind.

Auch das Miteinander mit Menschen mit körperlichen Einschränkungen ist Teil des Parcours, den das Fair Mobil im Gepäck hat. Die Schule ist auch eine des Gemeinsamen Lernens.
Auch das Miteinander mit Menschen mit körperlichen Einschränkungen ist Teil des Parcours, den das Fair Mobil im Gepäck hat. Die Schule ist auch eine des Gemeinsamen Lernens. © GSÜ | Felicitas Fischer

Beim Fair-Mobil-Parcours wird das Miteinander auf verschiedensten Ebenen geübt. Mal geschieht dies im sportlichen Miteinander, in dem es nicht um Konkurrenz, sondern um den nur gemeinsam zu meisternden Weg zum Ziel geht. Das ist der Fall etwa beim Spinnennetz, das nur gemeinsam zu durchdringen ist, oder bei Geschicklichkeitsspielen, bei denen jeder auf den anderen achten muss, wenn es gilt, etwas per gemeinsamer Fernsteuerung zu stapeln.

An anderen Stationen geht es vorwiegend um Kommunikation, vor allem um digitale Kommunikation. Wie viel gebe ich in sozialen Netzwerken und in Whatsapp-Gruppen von mir preis? Was kann mit meinen Fotos und den anderen Informationen geschehen? Dabei nehmen die 10- bis 12-Jährigen sowohl verschiedenste Perspektiven ein, versetzen sich in szenischem Spiel in die Rolle von Täter, Opfer und Beobachter von Cyber-Mobbing. Auch bei den Beobachtern werden verschiedene Blickwinkel erfahren: die des Zeugen, der die Prügelszene filmt und ebenso stolz wie rücksichtslos verbreitet, ebenso wie die des stummen Beobachters, der das alles eigentlich nicht in Ordnung findet, aber nicht einzugreifen wagt, weil er nicht weiß, wie. „Es ist wichtig zu wissen, wie es sich anfühlt, Opfer von Mobbing zu sein. Und wir zeigen auch, wie Beobachter helfen oder Hilfe organisieren können“, erklärt Daniel Rütten, der im Auftrag des Jugendrotkreuzes vor Ort ist, das das Fair-Mobil-Programm für Schulen erarbeitet hat und anbietet.

Eine Mitschülerin im Rollstuhl sicher über eine kippende Rampe navigieren, mit verbundenen Augen einen Turm bauen oder sich mit Augenblende einem Mitschüler anvertrauen, der einen sicher über einen Parcours führt – all das gehört zum Programm. Vor- und nachbereitet werden die Gruppenübungen in den Klassen. Dort wird auch – moderiert von Fair Mobil – ermittelt, wie zufrieden die Schülerinnen und Schüler mit ihrer Klasse, den Lehrern, der Situation sind. Es geht darum, was sie gern ändern möchten und können, was gut läuft, wo sie sich nicht wohlfühlen, wo Angsträume sind.

„Klassenkompass“ fragt konkret, was anders oder besser werden sollte

„Orte, an denen Schülerinnen und Schüler sich unwohl fühlen, sind oft Flure oder Mensen, wo es eng ist und geschubst wird. Aber es kann auch der Klassenraum sein. Das ist sehr, sehr unterschiedlich“, hat Daniel Rütten erlebt. Wenn aber bekannt ist, was diese Räume ausmacht, ist Abhilfe möglich.

Übungen zum Miteinander für alle Stufen

An der Gesamtschule Ückendorf gibt es Übungen im Miteinander, Maßnahmen gegen Mobbing und Konflikttraining in fast allen Altersstufen. Das Fair Mobil allerdings war zum ersten Mal zu Gast hier. Es ist Teil des „Stark MiteinanderN“-Projektes der Provinzialversicherung, des Jugendrotkreuz Westfalen-Lippe (JRK), des Arbeitskreises soziale Bildung und Beratung e.V. und der Schulpsychologischen Beratungsstelle der Stadt Münster.

In anderen Jahrgängen gibt es an der GSÜ das „Trau dich“!-Projekt zur Stärkung des Selbstbewusstseins und als Anti-Mobbing-Werkzeug, „Balu und Du“, bei dem Große den Jüngeren helfen, als Talentschule gibt es zudem eine Kooperation zum Thema mit dem Consol Theater.

Die Gesamtschule Ückendorf muss sich nun zügig überlegen, ob sie es (finanziell) wagt, das Fair Mobil des Jugendrotkreuzes für das nächste Jahr erneut zu buchen. Nicht nur die GSÜ schätzt das Angebot sehr. Es ist so beliebt, dass Buchungen nur ein Jahr im Voraus möglich sind. Doch im nächsten Jahr gibt es wohl keine Post-Corona-Gelder mehr vom Land.