Gelsenkirchen. Hinter der Felix-Lobrecht-Verfilmung „Sonne und Beton“ steckt Gelsenkirchener David Wnendt. Diese Parallelen sieht er zwischen Neukölln und GE.
- Die Verfilmung von Felix Lobrechts Roman „Sonne und Beton“ läuft aktuell auch in den Gelsenkirchener Kinos.
- Dahinter steckt der gebürtige Gelsenkirchener Regisseur David Wnendt, der wie Felix Lobrecht auch eine Zeit im Berlin-Neukölln gelebt hat.
- „Diese Kids haen keine Chance auf Integration“: Im WAZ-Interview erzählt Wnendt über die Parallelen zwischen beiden Orten und über die Perspektivlosigkeit vieler Jugendliche in Großstädten.
Er läuft auch im Gelsenkirchener Apollo, der neue Film des Gelsenkirchener Regisseurs und Drehbuchautors David Wnendt. „Sonne und Beton“ ist die filmische Umsetzung des gleichnamigen Romans von Felix Lobrecht. 2017 veröffentlichte der Stand-up-Comedian, Autor und Podcaster Lobrecht die Geschichte (s)einer Jugend in Berlin-Neukölln, angesiedelt im Jahr 2003. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Lukas und seinen drei Freunden, die in der Gropiusstadt aufwachsen, weit entfernt von den Sonnenseiten des Lebens. Sie sind im schon zu allen Zeiten und in allen Gesellschaftsschichten schwierigsten Alter mit ihren 14 oder 15 Lebensjahren. Doch sie leben in Verhältnissen und in einem Umfeld, die es „zur Hölle machen“, wie Wnendt es bezeichnet.
Nach dem Kindergarten in Gelsenkirchen-Rotthausen in die Welt gezogen
David Wnendt (46) ist zwar in Gelsenkirchen-Rotthausen geboren und hat seine ersten Lebensjahre hier verbracht, aufgewachsen aber ist er als Diplomatensohn in verschiedensten Ländern. Berlin-Neukölln kennt er ebenfalls gut, hat selbst dort gelebt. Als Felix Lobrechts Debütroman erschien, war der Regisseur sofort davon fasziniert. Man kam schnell überein, den Stoff gemeinsam zu verfilmen. Wnendt hat mit früheren Arbeiten wie „Kriegerin“, ein Film über zwei junge Frauen in der Neonaziszene, gezeigt, wie realitätsnah er aktuelle Themen umsetzen kann.
Das Drehbuch zu „Sonne und Beton“ schrieben beide gemeinsam, für das Casting bediente sich Wnendt vorwiegend bei der Neuköllner Jugend selbst. Was daraus entstand, ist ein ebenso realitätsnaher wie schonungsloser Film, der trotz alledem Humor und sonnige Lichtblicke zulässt.
Eine Gesellschaft voller Vorurteile
Im Film sind die vier Jungs Lukas, Gino, Julius und Sanchez keine gewalttätigen Monster, sondern gleichermaßen verunsichert-naiv wie hilflos aggressiv. Ihre Situation ist verzweifelt, ein prügelnder Vater, ein krimineller großer Bruder, überforderte Lehrer, eine Gesellschaft voller Vorurteile gegenüber allem, was sie ausmacht. Dabei kann der Zuschauer diese Jungs mögen, sich in sie hineinfühlen ohne alles zu akzeptieren, was sie tun. Das besondere daran: Auch der bürgerliche Zuschauer kann das.
Bei all dem sind die Themen, die der Film verhandelt – Gewalt unter Jugendlichen, Vernachlässigung, Jugendkriminalität, Brennpunktschulen – Themen, die in Gelsenkirchen aktueller sind denn je. Dazu haben wir ihn befragt.
Herr Wnendt, die Frage drängt sich in ihrer Heimatstadt auf: Ist Gelsenkirchen 2023 das Neukölln von 2003?
David Wnendt: Ich weiß, was Sie meinen. Ich war zuletzt 2022 in Gelsenkirchen. Es war sehr, sehr traurig. Die leerstehenden Häuser, die Straßen wirkten wie ausgestorben. Gewalt habe ich in Gelsenkirchen nicht erlebt, es war nur ein kurzer Besuch. Aber das Problem mit vernachlässigten Jugendlichen und Kriminalität gibt es heute in allen größeren Städten, zumindest in Teilen der Städte.
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In Ihrem Film erleben die Protagonisten viel Gewalt als Teil des Alltags. Wie viel Gewalt unter Jugendlichen ist ihrer Meinung nach noch in Ordnung?
Gewalt ist nie in Ordnung. Gewalt ist immer ein klares Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Es geht hier eigentlich um ganz normale Jungs. Aber sie merken sehr früh, dass sie keine Chance haben in dieser Gesellschaft, sind frustriert. Sie haben keine Unterstützung.
„Diese Kids haben gar keine Chance auf Integration“
Und was könnte im wahren Leben heute und in Gelsenkirchen helfen, die Situation zu verändern?
Die Situation zu verändern, sie zu verbessern ist kompliziert. Diese Kids lernen an Brennpunktschulen, in Neukölln wie in Gelsenkirchen, sie haben gar keine Chance auf Integration, weil sie dort separiert sind. Sie haben Eltern, die nicht für sie da sind oder ihnen nicht helfen können. Die Lehrer erkennen oft ihre Talente nicht, weil sie selbst überfordert sind. Wir dürfen die Schulen nicht aufspalten, Schüler nicht separieren. Und es braucht viel mehr Lehrer und kostenlose Nachhilfe für die, die zu Hause keine Unterstützung haben. Zum Beispiel.
Über welche Auszeichnung für Ihren Film würden Sie sich am meisten freuen?
Bei diesem Film geht es mir gerade weniger um Preise und Auszeichnungen. Was ich mir mehr wünsche als Preise, ist in diesem Fall, dass viele junge Leute reingehen, ihn im Kino sehen. Mir haben so viele gesagt, dass Lobrechts Buch endlich mal ein Buch aus ihrer Lebenswirklichkeit ist. Das einzige Buch, das sie jemals gern und zu Ende gelesen haben, das sie überzeugt hat. Und ich wünsche mir, dass viele auch unseren Film sehen und danach dasselbe sagen und dass der Film ebenso ihre Lebenswirklichkeit trifft.
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Sie haben in der Vergangenheit stets ein gutes Gespür für drängende aktuelle Themen gehabt. Gibt es schon Pläne für das nächste Projekt?
Nein. Das ist noch zu früh. Aber muss ein aktuell drängendes Thema sein. Es kann auch einfach etwas literarisch Interessantes sein. Ich träume auch schon lange von einem Science-Fiction-Film, der auch tief in die germanische Historie eintaucht. Wichtig ist, dass es ein Stoff ist, der auch so lange meine Energie binden kann, dass ich ihm auf die Spur kommen kann.
In Gelsenkirchen läuft „Sonne und Beton“ täglich in den Apollo Cinemas Multiplex an der Willy-Brand-Allee 55 um 15.30, 17.45 und 20.15 Uhr.