Gelsenkirchen. Sie haben nicht von Anfang an die gleichen Chancen – dafür aber ein Schülerstipendium: „Ruhrtalente“ bietet Zukunft. Wir treffen vier von ihnen.

Es gibt beeindruckende Geschichten, die nur das Leben erzählt. Und es gibt diese beeindruckenden Geschichten, die in Gelsenkirchen geschrieben werden. Vielleicht gerade weil es Gelsenkirchen ist? Hier, an dieser Stelle, geht es um das Streben nach Wissen, neuen Erkenntnissen und nach Unterstützung beim Entdecken der eigenen Talente. Hier, an dieser Stelle, erzählen wir die Geschichten von vier jungen Menschen, die in dieser Stadt leben und die mit Hilfe des Schülerstipendienprogramms „Ruhrtalente“ neue Chancen, neue Möglichkeiten und vor allem Perspektiven für ihr Leben bekommen haben. Es ist ein großer Traum vom Aufstieg.

Melika Mumic, 18 Jahre alt, Schülerin am Grillo-Gymnasium

„Was möchte ich werden?“ – diese Frage beschäftigt Melika Mumic nun schon so lange. Seit drei Jahren lebt sie erst in Deutschland, die Wurzeln ihrer Familie liegen in Bosnien. In dem Land, das ihre Eltern wohl Heimat nennen, „gibt es nicht so viele Möglichkeiten in Sachen Bildung“, berichtet sie an diesem späten Nachmittag im Zentrum für Talentförderung an der Bochumer Straße in Ückendorf. Irgendwann, da habe ihr Vater ihr ein Versprechen gegeben: „Ich bringe dich in ein Land, wo du deine Träume erfüllen kannst.“

Melika Mumic, die Gelsenkirchener Ruhrtalente-Stipendiatin, ist überzeugt: „In Wissen zu investieren, zahlt sich am Ende am besten aus.“
Melika Mumic, die Gelsenkirchener Ruhrtalente-Stipendiatin, ist überzeugt: „In Wissen zu investieren, zahlt sich am Ende am besten aus.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Ich wollte immer etwas Großes erreichen“, sagt Melika Mumic dann auch, heute ist sie überzeugt: „In Wissen zu investieren, zahlt sich am Ende am besten aus.“ Durch ihr Schülerstipendium, das sie am 15. April 2022 zu einem der mittlerweile zahlreichen Ruhrtalente macht, kommt sie nun an „Informationen, die ich so vorher nie bekommen hätte.“ Sie sieht für sich eine Chance, die sie nicht auslassen wollte. „Ich war sehr motiviert, alles zu geben.“

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Sie reist im Rahmen einer Exkursion nach Berlin, trifft Bundesjustizminister Marco Buschmann, kann an den vielen Veranstaltungen für die jungen Talente teilnehmen. Sie ist umgeben von einem „riesigen Netzwerk, man ist einfach nicht allein“. Und nebenbei macht die junge Frau, die in Bismarck lebt, ihr Abitur. Und was kommt danach? Sie will International Business Management studieren. Und wenn sie so von ihrer Zukunft spricht, dann strahlt sie.

Mina Hahn, 23 Jahre alt, Schülerin am Herwig-Blankertz-Berufskolleg in Recklinghausen

„Ich wohne alleine, seitdem ich 16 Jahre alt bin“, erzählt Mina Hahn und dann sagt die angehende Abiturientin ganz offen auch das: „Mein Schulweg war so gar nicht geradlinig, ich habe eine wilde Fahrt hinter mir.“ Mit 18 Jahren kam sie nach Nordrhein-Westfalen, lebt heute in Schalke. Sie sei sehr dankbar für die Unterstützung – „egal, wie alt man ist, oder wo man herkommt, man wird hier gesehen“, ist ihre Ruhrtalente-Erfahrung. „Ich habe vorher nicht so wirklich an mich geglaubt“, nun fühle sie sich schlicht: wertgeschätzt.

Mina Hahn, die Gelsenkirchener Ruhrtalente-Stipendiatin, sagt: „Ich möchte ein Vorbild sein für junge Frauen, die vielleicht auch diesen Weg einschlagen wollen.“
Mina Hahn, die Gelsenkirchener Ruhrtalente-Stipendiatin, sagt: „Ich möchte ein Vorbild sein für junge Frauen, die vielleicht auch diesen Weg einschlagen wollen.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Vielleicht auch deshalb, weil sie sich als Teil des Ruhrtalente-Programms so entfalten kann, wie es ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht. Es geht ihr um die großen Fragen. Sie lernt während der Ruhrtalente-Veranstaltung „Meet the Professional“ – einmal im Monat gibt eine Expertin oder ein Experte aus der Praxis Einblick in den Berufsalltag – Max Gronke, Astrophysiker am Max Planck Institut für Astrophysik, kennen. Für die junge Frau ist schnell klar: Sie wird Physik studieren, Schwerpunkt Astrophysik, an der Ruhr-Universität Bochum. „Ich möchte ein Vorbild sein für junge Frauen, die vielleicht auch diesen Weg einschlagen wollen.“

Ivanov Ion, 19 Jahre alt, Schüler an der Gesamtschule Erle

Ivanov Ion, der junge Mann aus Erle mit rumänischen Wurzeln, lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Am Anfang, sagt er, da habe er große Probleme mit der deutschen Sprache gehabt. Diese Sprachprobleme, sie hätten auch dafür gesorgt, dass er zunächst eine nicht ganz so „gute Schullaufbahn“ hinlegt, wie er es beschreibt. Inzwischen ist Ivanov Ion mit viel freiwilligem Engagement unterwegs und das durch und durch – er half seinen Mitschülern, war Mitglied in der AG Jung trifft Alt seiner Schule, wo ältere Menschen in Begegnung kommen mit den Jüngeren.

Der Gelsenkirchener Ruhrtalente-Stipendiat Ivanov Ion: „Früher habe ich das Problem gehabt, dass ich nicht genau wusste, was ich machen soll.“
Der Gelsenkirchener Ruhrtalente-Stipendiat Ivanov Ion: „Früher habe ich das Problem gehabt, dass ich nicht genau wusste, was ich machen soll.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Und es scheint, als gebe es für den 19-Jährigen längst keine Sprachbarriere mehr. Die Gemeinschaft, die die Ruhrtalente bilden, sie habe ihn ermuntert, auch mal ein Risiko einzugehen. Er trifft, ebenfalls bei „Meet the professional“, auf einen erfolgreichen Piloten – der im Rollstuhl sitzt und es trotzdem geschafft hat. Das habe Ivanov Ion einen riesigen Motivations-Schub gegeben, seine Zielen zu verfolgen. „Früher habe ich das Problem gehabt, dass ich nicht genau wusste, was ich machen soll“, sagt er. Doch diese Gedanken sind längst passé: Medizintechnik ist das Berufsfeld, in dem der Erler durchstarten will. Auch mit Hilfe seiner eigenen, persönlichen Ruhrtalente-Förderung.

Samatin Hüting, 18 Jahre alt, Schüler der Gesamtschule Gelsenkirchen-Ückendorf

Samatin Hüting verliert seinen Vater früh, seine Mutter muss alleine für ihn und seine beiden Schwestern sorgen. Er zieht mehrmals um, bis er in Feldmark ein neues Zuhause findet. Dort, und auch schon vorher, spricht die Mutter häufig in ihrer Muttersprache. Und Samatin Hüting merkt schnell, dass sich sein Deutsch verschlechtert. Er geht auf eine Hauptschule. „Bei mir wurden keine Erwartungen gestellt, also bin ich zur Hauptschule“, schildert der junge Mann ganz nüchtern, was seinen Weg ausmacht.

Samatin Hüting, der Ruhrtalente-Stipendiat aus Gelsenkirchen, ist überzeugt: „Wenn die das geschafft haben, warum sollte ich es dann nicht auch schaffen?“
Samatin Hüting, der Ruhrtalente-Stipendiat aus Gelsenkirchen, ist überzeugt: „Wenn die das geschafft haben, warum sollte ich es dann nicht auch schaffen?“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Seit dem 1. Mai 2020 hat er nun schon das Stipendium bei den Ruhrtalenten, er freut sich, dass „einem überhaupt zugehört wird, dass man seine Ziele erreichen kann, dass man gefördert wird“, sagt der 18-Jährige. Er sagt, die Ruhrtalente geben ihm die Möglichkeit, an sich selbst arbeiten zu können – „sie geben dir eine Richtung“. Melika Mumic, Mina Hahn und Ivanov Ion nicken, scheinen sich genau so zu fühlen. Und sie teilen sicher auch diesen Satz von Samatin Hüting, was diese Sache mit den Vorbildern, mit den vielen Erfolgsgeschichten, die das Leben schreibt, angeht: „Wenn die das geschafft haben, warum sollte ich es dann nicht auch schaffen?“

Ruhrtalente: Eines der größten regionalen Stipendienprogramme made in Gelsenkirchen

„Ruhrtalente“ ist ein von der Westfälischen Hochschule und der RAG-Stiftung entwickeltes Schülerstipendienprogramm, das mittlerweile als größte regionale Stipendienprogramm in Deutschland gilt. Es richtet sich an „engagierte und leistungsorientierte Schülerinnen und Schüler aus dem ganzen Ruhrgebiet“. Umgesetzt wird das Stipendienprogramm am NRW-Zentrum für Talentförderung der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen. In diesem Jahr konnten 32 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Gelsenkirchen starten – sie machen die Stadt zu einer der Stipendiatenhochburgen im Ruhrgebiet.

Die Förderung soll sich gezielt an Bildungsaufsteigerinnen und Bildungsaufsteiger richten, Bestandteile des Programms sind Workshops, Seminare, Exkursionen, Sprachreisen, persönliche Beratung und finanzielle Unterstützung bis zum Beginn einer Berufsausbildung oder eines (dualen) Studiums, heißt es seitens der Verantwortlichen. Das Ruhrtalente-Programm besteht aus fünf Feldern: Orientierung schaffen, praktische Erfahrungen sammeln, Politik und Gesellschaft gestalten, Kultur erleben und Fachkenntnisse vertiefen.

Jede Schülerin, jeder Schüler ab der achten Klasse – egal welcher Schulform – kann sich bewerben. „Diese Form der langfristig angelegten Talententwicklung ist ein Schlüssel für mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit im Ruhrgebiet“, heißt es seitens der Verantwortlichen.

Die RAG-Stiftung hat Ruhrtalente seit 2015 mit rund 4 Millionen Euro finanziert, ist auch weiterhin als so genannte Ankerstiftung dabei. Darüber hinaus werden die Ruhrtalente von zahlreichen weiteren Stiftungen, Privatpersonen und Unternehmen unterstützt.

Weitere Infos gibt’s im Netz unter ruhrtalente.de