Gelsenkirchen. Mehr Schüler brauchen mehr Platz. Den gibt es für die Aufstockung zweier Gesamtschulen in Gelsenkirchen aber nicht. Was Pädagogen befürchten.

196 Fünftklässler nimmt die Gesamtschule Horst zum Schuljahr 2023/24 neu auf, 28 mehr als im vergangenen Jahr. Der Bildungsausschuss hatte der Erweiterung auf sieben Züge zugestimmt – mangels Alternativen. Auch am Berger Feld ist der fünfte Jahrgang nun siebenzügig. Beide Schulen sind damit nicht wirklich glücklich. „Wir fühlen uns zwar auch ein wenig geehrt, dass man uns das zutraut. Aber wir haben den Anspruch, unsere Schüler gut auszubilden, und die Bedingungen dafür sind einfach sehr, sehr schwierig“, erklärt Markus Hogrebe, Leiter der Gesamtschule Horst.

Konflikte drohen bei zu vielen Schülern auf zu engem Raum

Hogrebe spricht von zu wenig Räumen und den Problemen, die zu große Schulsysteme gepaart mit fehlendem Platz mit sich bringen können. „Unser Kollegium zählt 160 Lehrkräfte, wir sind bis auf vier Sonderpädagogen aktuell erfreulicherweise sogar voll besetzt. Aber ich führe Entwicklungsgespräche mit allen im Kollegium, das ist kaum noch möglich. Und wenn zu viele Schüler auf zu engem Raum lernen, kann das negative Auswirkungen auf das Miteinander haben. Das hat sich ja beim Start der Gesamtschulen in den 80er Jahren gezeigt. Entsprechend hat man seitdem kleinere Gruppen und Abteilungen gebildet“, erklärt der Schulleiter.

Mittagessen funktioniert jetzt schon nur in zwei Schichten

Der Platzmangel beginnt schon beim Mittagessen. Gesamtschulen sind Ganztagsschulen und die sind eigentlich verpflichtet, allen Schülern ein Mittagsangebot zu machen. Das ist nun aber gar nicht mehr möglich. 1480 Köpfe zählt die Schülerschaft jetzt schon. In der ehemaligen Turnhalle, die Platz für 170 Kinder bietet, wird bereits in Schichten gegessen. Bislang galt in Horst für Fünftklässler Mittagessen in der Mensa als verpflichtend, um das Gemeinschaftserlebnis und eine gesunde Ernährung zu fördern. Sie bilden die erste Mittagsschicht, die größeren Schüler folgen. Diese Gemeinschaft der Fünfer wird nun zeitgleich gar nicht mehr möglich sein. Markus Hogrebe plant daher, im nächsten Schuljahr die Mittagessenpflicht nur bis zu den Herbstferien durchzuhalten und danach das Essen auch für Fünftklässler nur freiwillig anzubieten, um die Abläufe beim Essen zu vereinfachen.

Gesamtschulleiter Markus Hogrebe vor einem der in die Jahre gekommenen Pavillons in Horst. Dem extremen Moder-Geruch in den Räumen soll mit Lüften begegnet werden, empfahlen Bauexperten bei einer Begehung. Auf die Räume zu verzichten, ist jedoch mangels Alternativen nicht möglich.
Gesamtschulleiter Markus Hogrebe vor einem der in die Jahre gekommenen Pavillons in Horst. Dem extremen Moder-Geruch in den Räumen soll mit Lüften begegnet werden, empfahlen Bauexperten bei einer Begehung. Auf die Räume zu verzichten, ist jedoch mangels Alternativen nicht möglich. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„In den oberen Klassen nimmt das Interesse am Mittagessen ohnehin ab, bei den Sechsern und Siebenern allerdings wird es schon noch nachgefragt. Die Alternative sind ja Pommes aus der Stadt“, weiß der Schulleiter. Aber der fehlende Mensaplatz ist nicht das einzige Problem. „Wir sind Schule des Gemeinsamen Lernens mit 100 Schülern mit besonderem Förderbedarf, haben dafür bei steigenden Zahlen aber nicht genug Differenzierungsräume. Auch der Platz für den Ganztag ist schon jetzt knapp, ganz zu schweigen von den Turnhallenkapazitäten, die komplett ausgebucht sind.“ Die Schule ist jedoch DFB-Partnerschule mit je einer Profilklasse Sport und somit auf den Platz angewiesen.

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Das von der Stadt 2020 beauftragte Schulentwicklungs-Gutachten ging für die Gesamtschule Horst noch von Mehrbedarf an Räumen selbst bei Sechszügigkeit aus, vor allem für den Ganztagsbereich. Eine neue Handreichung des Deutschen Städtetages, die die Stadt zur Grundlage ihrer Entscheidung zur Aufstockung nutzte, kam zu anderen Ergebnissen, sprach von „optionalen“ Räumen. Auch die Technikräume sind laut Städtetag ausreichend. „Aber die vier Technikräume im Keller sind klein, nur 15 Schüler können hier unterrichtet werden, Klassen müssen geteilt werden. Da wir viele technikinteressierte Schüler haben, die nach Klasse zehn eine Technikausbildung anstreben, reicht das nicht“, erläutert Hogrebe.

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Die stellvertretende Leiterin der Gesamtschule Horst, Swantje Schweppe, hat Bedenken auch wegen des Einsatzes der veralteten, unsanierten Pavillons.
Die stellvertretende Leiterin der Gesamtschule Horst, Swantje Schweppe, hat Bedenken auch wegen des Einsatzes der veralteten, unsanierten Pavillons. © Sibylle Raudies

Außerdem habe der Städtetag in der Handreichung die Mehrklassen und die Internationalen Förderklassen kaum berücksichtigt und den vierten Oberstufenzug ausgeklammert. „Dass Mehrklassen (Auffangklassen für Schüler, die aus Internationalen Förderklassen ins Regelsystem wechseln, die Red.) künftig entfallen, ist sehr unwahrscheinlich“, erläutert Hogrebe seine Skepsis. Die Verwaltung hatte dies selbst im Bildungsausschuss eingeräumt.

Bedenken auch am Berger Feld

An der Gesamtschule Berger Feld, die zum neuen Schuljahr ebenfalls aufgestockt wurde und die nun 196 Fünftklässler aufgenommen hat, stehen genügend Quadratmeter zur Verfügung. Auch hier entsprechen jedoch längst nicht alle Räume den aktuellen baulichen und technischen Anforderungen.

Schulleiterin Maike Selter-Beer fürchtet neben für die Eliteschule des Sports zu knappen Turnhallenkapazitäten vor allem mehr Konflikte. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Gefahr vermehrter Konflikte mit einer zu großen, schwer überschaubaren Schulgemeinde steigt, warnte sie im Vorfeld. Daraus habe man gerade am Berger Feld gelernt und die Zügigkeit von ursprünglich zehn Eingangsklassen zurückgefahren.

Die stellvertretende Schulleiterin, Swantje Schweppe, verweist zudem auf kaum noch zumutbare Unterrichtsräume in Pavillons aus den 60er- und 70er Jahren, die bereits jetzt zeitweise genutzt werden müssen: „Die haben weder WLAN noch Whiteboards. Vor allem aber ist die Geruchsbelastung in den Räumen extrem.“ Tatsächlich schlägt der Redakteurin beim Betreten dieser Räume ein extrem modriger Geruch entgegen, der nur schwer erträglich ist. Raumluftmessungen hat es dazu, so die Schule, noch nicht gegeben. Bei einer Begehung hätten Bauexperten keine Gesundheitsgefahren gesehen, so Hogrebe. Den Handlungsbedarf hierbei erkennt auch die Schulverwaltung; was fehlt, sind die Kapazitäten im Baureferat.

Um es klar zu sagen: Das Dilemma der Schulverwaltung, genügend Platz für alle Schulkinder in der Stadt zur Verfügung zu stellen, erkennen die Gesamtschul-Leitungen an. Ihre Kritik richtet sich daher ausdrücklich nicht gegen jene, die den Mangel verwalten und Lösungen finden müssen.