Gelsenkirchen. Gelsenkirchen implementiert ein Frühwarnsystem des Bundeskriminalamtes. Start: 2023. Wo das Potenzial von Elsa liegt.

Es ist amtlich: Gelsenkirchen und das Bundeskriminalamt (BKA) sind Kooperationspartner. In der Emscherstadt kommt 2023 ein neu entwickeltes Analysetool (Werkzeug) zum Einsatz, das die Sicherheit und Ordnung in der Stadt verbessern soll. Wichtigste Neuerung: Negativentwicklungen in einzelnen Quartieren sollen mit diesem Frühwarnsystem schneller erkannt und behördenübergreifend gegengesteuert werden. Am Montag unterzeichneten Oberbürgermeisterin Karin Welge, BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer und der Leiter der Direktion Kriminalität, Carsten Berg, die Vereinbarung.

BKA-Vize: Gelsenkirchen ist „Seismograph und Epizentrum“ gesellschaftlicher Veränderungen – Frühwarnsystem für mehr Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit

Unterschrieben: Kriminaldirektor Carsten Berg (Polizei GE), Oberbürgermeisterin Karin Welge und der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes, Michael Kretschmer, bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages. Gelsenkirchen bekommt damit ein Frühwarnsystem. Start: 2023.
Unterschrieben: Kriminaldirektor Carsten Berg (Polizei GE), Oberbürgermeisterin Karin Welge und der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes, Michael Kretschmer, bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages. Gelsenkirchen bekommt damit ein Frühwarnsystem. Start: 2023. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Gelsenkirchen ist die einzige Stadt in NRW, in der Elsa eingesetzt wird, drei weitere sind auf Bundesebene noch beteiligt. Wer, das bleibt vorerst unter Verschluss. Das Akronym Elsa steht dabei für „Evidenzbasierte lokale Sicherheitsanalysen“. Von ihm versprechen sich die Partner Verbesserungen in den Bereichen Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit.

Nach Ansicht von BKA-Vize Michael Kretschmer sind „Städte wie Gelsenkirchen Seismograph und Epizentrum“ für gerade stattfindende massive Veränderungen. Daraus lässt sich ein hoher Problemdruck ableiten. OB Welge wählte mit „Stadt mit Strukturbruch“ und einem „häufigen Bevölkerungsumschwung“ zwar weniger drastische Worte. Im Blick haben dürften beide aber ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Schieflagen und ihre Auswirkungen: Beispielsweise Menschen, die ihre Energierechnung nicht mehr bezahlen können, Kaufkraftverlust, Kinderarmut, Armutszuwanderung, Arbeitslosigkeit, Lehrermangel, Schrottimmobilien und Behörden, die der steigenden Flut an Aufgaben hinterherhecheln.

Im Kern basiert das Analyse-Werkzeug auf acht verschiedenen Modulen, die in einem Ampelsystem münden: „Kriminalprävention, Ressourcen, Behördenkooperation, Kriminalität, Ordnung, Wirtschaft, Wohnraum (Infrastruktur) und Integrationsbedarf“. Für jedes Modul wird ein Wert zwischen 0 und 10 nach einem komplizierten Algorithmus berechnet. Je höher der Wert, desto unproblematischer der Aspekt. Erste Ergebnisse werden in einem Jahr erwartet.

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Die grafische Darstellung in Form einer Ampel soll die intuitive Nutzung der Daten ermöglichen. Werte von null bis 3,3 würden so eine potenziell problematische Lage in einem Bereich darstellen, das Modul zeige dann rot. 3,3 bis 6,6 zögen eine Einstufung als neutral nach sich und 6,6 bis 10 eine grüne Ampel. Aktiv werden wollen die Kooperationspartner „bereits bei Gelb“.

Daraus resultierten dann beispielsweise eine verstärkte Streifentätigkeit durch die Polizei und den KOD in den Quartieren oder die Entsendung von Sozialarbeitern. Politisch gesehen ist das digitale Instrument zudem eine Möglichkeit, der Forderung bei Land und Bund nach mehr Ressourcen mehr Nachdruck zu verleihen.

Das Neue am Frühwarnsystem: Kleinteiligere Analysen und Prognosen für Gelsenkirchener Stadtquartiere möglich

Das Neue dabei ist, dass „dieser Werkzeugkoffer“ wie es der Leiter der Direktion Kriminalität in Gelsenkirchen, Carsten Berg, nannte, es den Behörden erstmals ermögliche, kleinteiligere Analysen und Prognosen nicht nur im gesamten Stadtgebiet und in den Stadtteilen zu erstellen, sondern jetzt auch in „den einzelnen Quartieren“. Vor allem Maßnahmen präventiver Art sollen daraus hervorgehen, damit Missstände gar nicht erst Fuß fassen und sich etablieren können.

Und: Erstmals fließen die Daten, die bislang mühevoll von allen Ordnungspartnern, Ämtern und Behörden und Einrichtungen zusammengetragen werden mussten, direkt in eine Datei. Analysen aus verschiedenen Blickwinkeln, so zumindest die Erwartungen, werden dadurch einfacher und schneller. Dabei ist es nicht so, als ob die Kooperationspartner bei null anfangen. Verwaltung und Polizei beispielsweise generieren seit langem schon eine Vielzahl an Informationen – nur eben nicht so kanalisiert, was die Reaktion auf negative Entwicklungen träger wirken ließ.

Gelsenkirchener Frühwarnsystem wird mit 40 Parametern gespeist – Spektrum reicht von Kriminalitätszahlen über Hartz-IV-Bezug bis zur Zuwanderung

Rund 40 Parameter fließen dafür von den Kooperationspartnern in das von BKA und mehreren Universitäten entwickelte Frühwarnsystem ein. Im Kern basiert das Analyse-Werkzeug auf acht verschiedenen Modulen, die in einem Ampelsystem münden: „Kriminalprävention, Ressourcen, Behördenkooperation, Kriminalität, Ordnung, Wirtschaft, Wohnraum (Infrastruktur) und Integrationsbedarf“.
Rund 40 Parameter fließen dafür von den Kooperationspartnern in das von BKA und mehreren Universitäten entwickelte Frühwarnsystem ein. Im Kern basiert das Analyse-Werkzeug auf acht verschiedenen Modulen, die in einem Ampelsystem münden: „Kriminalprävention, Ressourcen, Behördenkooperation, Kriminalität, Ordnung, Wirtschaft, Wohnraum (Infrastruktur) und Integrationsbedarf“. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Rund 40 Parameter fließen dafür von den Kooperationspartnern in das von BKA und mehreren Universitäten entwickelte Frühwarnsystem ein. Im Modul Kriminalität sind das beispielsweise Daten aus der polizeilichen Statistik zu Gewaltdelikten, Straßen- und Drogenkriminalität, also etwa auch die derzeit vielfach vermeldeten Raubzüge.

Illegaler Müll und Schrottfahrzeuge im öffentlichen Raum sind in Gelsenkirchen ein immerwährendes Ärgernis, verursachen zudem viel Arbeit und Kosten. Solche Falldaten steuern der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) und Gelsendienste für das Analyse-Tool bei. Darüber hinaus erfasst werden auch soziodemografische Informationen zu Kaufkraft, Arbeitslosigkeit und Menschen im Hartz-IV-Bezug – und zu Problemimmobilien. Gerade Letztere sind hier ein hartnäckiges Problem, in Gelsenkirchen gibt es mehrere Hundert solcher Schrotthäuser. Es ist ein ebenso lukratives wie menschenverachtendes Geschäftsmodell, marode Gebäude an Menschen aus Osteuropa teuer zu vermieten. Gelsenkirchen kämpft dagegen an. So konnten in den vergangenen Jahren rund 50 dieser Schrotthäuser von Amtswegen zwangsweise geschlossen und/oder abgerissen werden.

Daher ist es wohl auch kein Zufall, dass Elsa zum Start mit Daten aus Schalke-Nord und Ückendorf seine Arbeit beginnen wird. In diesen Quartieren leben die meisten der mehr als 11.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien.

An Elsa entzündet sich allerdings auch Kritik. Vorwurf: Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen, weil laut Handbuch „Chancen und Risiken von migrantisch geprägten Quartieren und Stärken und Schwächen der tätigen Behörden“ aufgezeigt werden sollen. Da ist es nicht weit bis zum Verdacht, „Racial Profiling“ zu betreiben. Immerhin ist Gelsenkirchen nicht erst durch den Zuzug aus den östlichen Gebieten der EU eine Stadt mit weit zurückreichender Zuwanderungsgeschichte.