Gelsenkirchen. Das Bundeskriminalamt unterstützt Gelsenkirchen mit einem Frühwarnsystem. Eine Chance, wenn auch mit Zweifeln behaftet. Ein Kommentar.
In der der Natur von Pilotprojekten liegt es, dass Erfahrungswerte noch gesammelt werden müssen. Deshalb ist es zunächst einmal gut und richtig, dass Stadt und Polizei Unterstützung von höchster Stelle nutzen, um die drängenden Probleme in Gelsenkirchen anzugehen: Illegaler Müll, Verwahrlosung, Kriminalität und mehr. Das Frühwarnsystem ELSA* soll der Stadt Gelsenkirchen die Möglichkeit einräumen, zu erkennen, welche ihrer Quartiere abzurutschen drohen oder es schon sind.
Dennoch sind ein paar Gedanken angebracht. Was kann dieses Werkzeug mehr, was nicht Präventionsräte, Bezirksvertretungen und andere Gremien bereits jetzt regelmäßig mit Polizei, KOD und Co. diskutieren? Und warum sind diese zum Teil seit etlichen Jahren gesammelten Daten nicht längst zusammengeführt worden, damit die Ordnungspartner darauf zugreifen können? Computer sind ja keine Erfindung der Neuzeit. Aus Hartz IV-Bezugszahlen sinkende Kaufkraft für bestimmte Ortsteile vorauszusehen, dürfte keine Raketenwissenschaft sein. Will sagen: Ressortübergreifende Arbeit auf einer gemeinsamen Datenbasis wäre auch ohne Elsa schon möglich gewesen.
Entscheidungsprozesse beschleunigen
Elsa könnte den Entscheidungsprozess beschleunigen, damit Polizei, KOD, Sozialarbeiter und Gelsendienste besser „vor die Lage kommen“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Bedeutet, dass ein Abwärtstrend sich früher abzeichnet und Maßnahmen im Vorfeld getroffen werden können. Gut. Zumal nun auch auf Quartiersebene empirisch und wissenschaftlich belegt werden soll, dass Herkunft und Zugehörigkeit von Personen und Gruppen eine deutlich untergeordnetere Rolle in Bezug auf Kriminalität spielen als soziale und ökonomische Aspekte etwa.
Fraglich dabei aber ist, ob die Rechnung des Algorithmus tatsächlich aufgeht. Denn Alarmstufe gelb oder rot bedeutet ja nicht, dass Polizei, KOD oder Stadt über mehr Einsatzkräfte als bislang verfügen. Und die starke Fluktuation in Problemquartieren, Stichwort Ein- und Wegziehende, dürfte es nach wie vor erschweren, Strukturen von längerer Haltbarkeit zu schaffen. Schon jetzt müssen Einsatzkräfte die Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenlebens Neuangekommenen immer aufs Neue erklären. Denn kaum, dass die Regeln beim Adressaten ankommen, hat der nicht selten auch schon wieder eine neue Anschrift. Meist in einer anderen Stadt.
Außerdem sind Licht und Schatten an Gelsenkirchens Straßen oft kaum mehr als einen Steinwurf voneinander entfernt – Schrottimmobilien und illegale Müllberge stehen nicht selten nur ein paar Meter entfernt von schmucken Ein- und Mehrfamilienhäusern. Der gute Sozialstatus vieler in der Umgebung könnte da möglicherweise einen kleinen, aber immerwährenden Brennpunkt überdecken und das Ampelergebnis verwässern. Und was können KOD, Polizei und Sozialarbeiter dann gegebenenfalls anders machen als heute?
Das muss man abwarten, eine Evaluation steht nach einem Jahr an. Vielleicht mit einem positiven Ergebnis.
*ELSA (evidenzbasierte lokale Sicherheitsanalysen)