Gelsenkirchen. Ein Gelsenkirchener würde seine Kinder gerne mit dem Fahrrad zur Schule bringen. Warum die Stadt das für überhaupt keine gute Idee hält.
- „Ich bin bereit für die Mobilitätswende“: Björn Sengotta würde seine drei Kinder gerne mit dem Fahrrad zur Schule bringen und würde deshalb sogar auf den Komfort seines Dienstwagens verzichten.
- Was er dafür bräuchte: Fahrradständer an der Grundschule seiner Kinder. Doch die Stadt hält es für keine gute Idee, diese zu errichten.
- Das Argument: Grundschulkinder, die noch kein Jugendverkehrstraining absolviert haben, sollen nicht animiert werden, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Sengotta ist enttäuscht: „So wird das nichts mit der Verkehrswende.“
Als jemand, der von einem vergünstigten Dienstwagen profitiert, muss sich Björn Sengotta keine großen Sorgen um steigende Benzinpreise und Unwuchten auf dem Kfz-Markt machen. Der tägliche Transport seiner drei Kinder zur Schule mit dem Auto ist für den 38-Jährigen damit kein großer Kostenfaktor. Trotz seiner Privilegien würde der Gelsenkirchener aber auf Komfort verzichten und das Auto stehenlassen. „Ich bin bereit für die Mobilitätswende!“, sagt er. Aber von der Stadt werde man nur ausgebremst. Aufs Elterntaxi verzichten? „Das geht in Gelsenkirchen nicht.“
Am liebsten würde Sengotta gemeinsam mit seinen Kindern, die die erste bzw. vierte Klasse der Grundschule an der Erzbahn besuchen, per Fahrrad zur Schule radeln. „Das scheitert aber daran, dass die Schule über keinerlei Fahrradständer oder andere Unterbringungsmöglichkeiten für die Fahrräder der Kinder verfügt“, erläutert er. Auch in der unmittelbaren Umgebung der Grundschule in Bulmke-Hüllen gibt es Sengotta zufolge keine Möglichkeiten, ein Rad sicher anzuschließen oder abzustellen. „Außer vielleicht an dem Zaun der Schule, was aber sicherlich nicht gewünscht ist.“
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Abhilfe könnten doch eigene Fahrradständer auf dem Schulhof schaffen, dachte Sengotta. Also fragte er bei der Schulleitung nach – und erhielt eine ernüchternde Antwort. Aus versicherungstechnischen Gründen könne man keine Fahrradständer aufstellen, erinnert er sich an die Aussage der Schulleitung. Aber damit wollte sich der Gelsenkirchener nicht zufriedengeben.
Stadt Gelsenkirchen: Erst Verkehrstraining, dann Teilnahme am Straßenverkehr
Also tippte er bereits im März 2022 eine Mail an das städtische Bildungsreferat. Es vergingen sechs Monate, Sengotta schrieb mehrere Erinnerungsmails. „Mit der Zeit hatte ich das Gefühl, dass man mir gar nicht antworten wollte.“ Doch dann, Anfang September, kam doch eine Mail. Sie war wieder äußerst ernüchternd.
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Sowohl die Schulaufsicht als auch die Grundschulleitung seien grundsätzlich nicht dafür, dass Grundschulkinder mit dem Fahrrad zur Schule kommen, heißt es in dem Schreiben von Bildungs- und Jugenddezernentin Anne Heselhaus. Hintergrund hierfür sei, dass die Schülerinnen und Schüler erst in der vierten Klasse die Verkehrsschule besuchen, was „für die aktive Teilnahme als Fahrradfahrer im Straßenverkehr erforderlich und wichtig ist“. Gesetzlich verpflichtend ist die Teilnahme an der Jugendverkehrsschule allerdings nicht, nur müssen Kinder bis acht Jahren laut Straßenverkehrsordnung eben den Gehweg oder einen abgetrennten Radweg benutzen, auf der Straße dürfen sie nicht fahren.
Fahrradständer sind an Gelsenkirchens Grundschulen tabu
„Natürlich“, das räumt Heselhaus ein, „ist das Alltagsleben anders.“ Viele Kita- und Grundschulkinder würden schon regelmäßig Fahrrad fahren. „Die Errichtung von Fahrradständern an den Grundschulen würde aber signalisieren, dass gegen eine Fahrradnutzung auf dem Schulhof keine Bedenken bestehen oder sie gar akzeptiert bzw. unterstützt wird.“ Das heißt im Klartext: Fahrradständer sind an Gelsenkirchens Grundschulen tabu – um die Kinder bloß nicht zu animieren, mit dem Rad am Straßenverkehr teilzunehmen.
Auf Sengotta aber wirkt es befremdlich, dass Verwaltung und Politik „dauernd über die Verkehrswende sprechen“, aber nicht mal solch einfache, kostengünstige Maßnahmen wie Fahrradständer an Schulen umgesetzt werden. „Wahrscheinlich weiß die Stadt sehr genau um die desolate Radinfrastruktur in Gelsenkirchen“, interpretiert Sengotta die Antwort der Verwaltung auf seine Mail.
Stadt Gelsenkirchen: „Elterntaxis stellen keine geeignete Alternative dar“
Zwar hat sich die Stadt Verbesserungen vorgenommen. Aber das in diesem Jahr vorgestellte „Zukunftsprogramm Radverkehr“ mit 44 Projekten für besseren Radverkehr in der Stadt kommt bislang nicht so voran wie geplant, viele für 2022 geplante Baustellen wurden auf 2023 verschoben. Und auch der ADFC bekräftigte in der WAZ zuletzt seine Kernkritik an der Rad-Infrastruktur in Gelsenkirchen: „Freizeitrouten haben wir gute und viele. Aber hier gibt es definitiv kein nachvollziehbares Netz von sinnvollen, guten Radwegen für den täglichen Verkehr.“
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Nur was sind die Alternativen? Grundschulkinder, so argumentiert Bildungsdezernentin Anne Heselhaus in ihrem Schreiben an Björn Sengotta, sollten ihren Schulweg vorrangig zu Fuß zurücklegen oder – bei längeren Entfernungen – den ÖPNV nutzen. Elterntaxis jedenfalls stellten „keine geeignete Alternative dar, nicht im Sinne des Umweltschutzes und auch nicht im Sinne der Verkehrssicherheit“, bekräftigt die Dezernentin.
In Gelsenkirchen gibt es keine Lastenrad-Förderung – in anderen Städten schon
Für Björn Sengottas Familie aber sind die Alternativen nicht sinnvoll. Bus und Bahn? „Der ÖPNV ist wohl auch nicht geeignet, um Erstklässler allein damit fahren zu lassen, von den Kosten von knapp 120 Euro pro Monat für drei Kinder mal ganz abgesehen“, sagt er. Der Gang per Fuß? „Die Schule ist zu weit weg, um zu Fuß zu gehen.“ Andere Möglichkeiten? „Ein Lastenrad wäre etwas. Aber im Gegensatz zu Städten wie Recklinghausen oder Essen wird die Anschaffung privater Lastenräder in Gelsenkirchen ja nicht gefördert.“
Also bleibt für Sengotta nur eines: das ungeliebte Elterntaxi weiterhin jeden Tag in Bewegung zu setzen und sich den knappen Parkraum vor der Grundschule mit zig anderen Eltern zu teilen. „So kann man den Kindern nicht nur schwer Selbstständigkeit beibringen“, sagt er. „So wird das auch nichts mit der Mobilitätswende.“