Gelsenkirchen. Gelsenkirchen arbeitet am Zukunftskonzept Radverkehr. Der ADFC sieht Beschleunigungsbedarf im Spannungsfeld zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Es war nicht viel mehr als ein symbolischer Akt an einem verregneten Freitag im September, mit dem der ADFC Gelsenkirchen für die „Re-Urbanisierung“ Gelsenkirchens warb und buchstäblich einen Parkplatz besetzte. Wo sonst ein Auto parken kann, standen für eine gute Stunde diesmal etliche Fahrräder. An der Polsumer Straße warben die Fahrradaktivisten für ein Umdenken bei der Verkehrs-Ausrichtung. Die kleine Aktion zeigt aus ihrer Sicht ein großes Problem auf.

Gelsenkirchener ADFC: Die Städte ersticken in Autos

„Die Städte ersticken in Autos. Und riesige Flächen werden für Autos vorgehalten, und das in sehr weiten Bereichen kostenlos. Das alles geht zu Lasten des Fuß- und Radverkehrs, wobei beispielsweise der Radverkehr deutlich weniger Platz braucht“, betont Ulrich Krauß vom Gelsenkirchener ADFC-Vorstand. Wie viel weniger, wollten die Fahrradaktivisten beim sogenannten „Parking Day“ demonstrieren. Eine Abstellfläche nahe am Café Gatenbröcker an der Polsumer Straße, üblicherweise Parkplatz für ein Kraftfahrzeug, stellten sie mit Rädern voll. Sieben fanden ohne Probleme Platz, es hätten es sogar noch mehr sein können.

Umstrittene Pläne für die Polsumer Straße in Hassel

Am „Parking Day“ Ende September „besetzten“ ADFC-Mitglieder einen Parkplatz an der Polsumer Straße, um deutlich zu machen, wie viel weniger Platz der Radverkehr im Vergleich zum Auto benötigt.
Am „Parking Day“ Ende September „besetzten“ ADFC-Mitglieder einen Parkplatz an der Polsumer Straße, um deutlich zu machen, wie viel weniger Platz der Radverkehr im Vergleich zum Auto benötigt. © ADFC GE | Ulrich Krauß

Die Polsumer Straße hatten die ADFC-Mitglieder nicht ohne Grund gewählt. Dort, fürchten sie, werde gerade die Chance auf eine mögliche Rad- und Fußgänger-freundliche Umgestaltung verwässert. Der Bereich in Hassel soll als Aufenthaltsort attraktiver werden. Zumindest darin sind sich so ziemlich alle einig. Der erste Entwurf der Planer – basierend auch auf einer Befragung von rund 1000 Personen – sah ein Modell vor, bei dem Auto-, Rad- und Fußgängerverkehr mit dem ÖPNV gleichberechtigt nebeneinander existieren sollen, bei dem mehr Platz für Grün bleibt. Das ginge allerdings auf Kosten der Parkplätze. Nach dem Umbau soll es den Plänen zufolge nur noch etwa 140 der bislang 385 an dem 1,9 Kilometer langen Stück Polsumer Straße geben. Eine Zahl, die Alarm auslöste: Dirk Kück etwa, Vorsitzender des Unternehmer-Netzwerks „Wir in Hassel“, wertet die geplante Stellplatz-Reduzierung als „Katastrophe für den Einzelhandel“.

Die Umverteilung der Verkehrsflächen bleibt eine Herausforderung

„Wir erleben immer wieder, dass von fast allen Fraktionen das Bekenntnis kommt, sie wollten mehr für den Radverkehr tun. Dann kommt aber meist gleich das große Aber“, dann würden „alle zögerlich“, wenn es beispielsweise um eine konsequente Umverteilung der Verkehrsflächen gehe. Und lege die Verwaltung mal ein mutiges Konzept vor wie für die Polsumer Straße, schlage gleich der Handel Alarm, stellt Krauß fest. Dann heiße es stets: „Geschäfte brauchen Parkmöglichkeiten für Kundschaft mit Pkw.“ Ein „endgültiges Einsetzen für den Radverkehr“ möchte Krauß daher „den meisten Stadtverordneten definitiv absprechen“.

Letztlich, so der ADFC-Vertreter, ginge es darum, Straßenverkehr anders zu denken, wie das in Holland oder Dänemark längst an der Tagesordnung sei. „Das findet hier nicht statt.“ Dass Parkplätze innerhalb der Stadt wegfallen sollen, sei für viele ein Ko-Kriterium“, glaubt Krauß. „Dann heißt es immer: Parkplätze werden geopfert. Das hat fast schon etwas religiöses.“

Lediglich Durchschnittsnote 4,3 im Radklima-Test des ADFC

Komfort und Sicherheit beim Radeln werden in der Stadt vermisst. Die Mängel zeigt auch alle paar Jahre wieder der ADFC-Fahrradklima-Test auf. Die Durchschnittsnote 4,3 wurde zuletzt 2020 nach der Bewertung durch 348 Test-Teilnehmer vergeben. Sie bedeutete: Platz 21 im deutschlandweiten Ranking der 26 Orte mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern. Vor allem aber zeigte sich gegenüber 2018 keine Verbesserung.

An der arbeitet die Gelsenkirchener Verwaltung eigentlich intensiv und setzt dabei auf einen Mobilitätsmanager und Beauftragte für den Radverkehr. Abgearbeitet werden soll bis 2026 das Gelsenkirchener „Zukunftsprogramm Radverkehr“. Es bündelt 44 Projekte. „Wir können den verfügbaren Straßenraum eben nur einmal verteilen“, da gehöre es dazu. „dass auch mal ein Parkplatz wegfallen muss“, so Stadtbaurat Christoph Heidenreich bei der Vorstellung vor knapp einem Jahr.

Etliche Baustellen werden auf das Jahr 2023 verschoben

Allein die für 2022 geplanten Baustellen abzuwickeln, tut sich die Verwaltung stellenweise schwer. Die dieses Jahr vorgesehene Markierung der Hiberniastraße mit einem 2,50 Meter breiten Radstreifen (einer sogenannten Protected Bikelane) werde erst 2023 beginnen. Anders als 2021 angegeben, wird auch die Radabstellanlage am Rathaus Buer frühestens Anfang 2023 errichtet. 300.000 Euro waren mal veranschlagt. „Ein Teil der Ausschreibung ist bereits abgeschlossen. Detaillierte Kosten können erst nach kompletter Ausschreibung erfolgen“, teilt die Verwaltung zum Sachstand mit. Auch die Baumaßnahme an der Hüller Straße – zwischen Florastraße und Schlagenheide - wird erst Anfang 2023 durchgeführt – inklusive Fahrradschutzstreifen.

Auch ein Problem aus Sicht des ADFC: Vor dem Hauptbahnhof stehen in Gelsenkirchen etliche Fahrräder – darunter allerdings offensichtlich etliche Schrottbikes, die hier hinterlassen wurden und nun Pendlern Platz wegnehmen.
Auch ein Problem aus Sicht des ADFC: Vor dem Hauptbahnhof stehen in Gelsenkirchen etliche Fahrräder – darunter allerdings offensichtlich etliche Schrottbikes, die hier hinterlassen wurden und nun Pendlern Platz wegnehmen. © Jörn Stender

Repariert werden sollten die Radwege an Münsterstraße und Auf dem Bettau. „Die Maßnahmen am Parallelweg zur Münsterstraße werden für 2023 eingeplant“, die Arbeiten am gemeinsamen Geh- und Radweg Auf dem Bettau „werden voraussichtlich noch 2022 abgeschlossen sein“, lautet nun der aktuelle Informationsstand. Immerhin: Die Einrichtung einer von der SPD angeschobenen Fahrradzone in Ückendorf wird noch „2022 angestrebt. Die Abstimmungen mit der Verkehrsbehörde und der Polizei sind abgeschlossen.“

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Die Bergmannstraße in Gelsenkirchen soll Teil der Fahrradzone in Ückendorf werden. Nach deren Einführung wird das 30-Kilometer-Schild gegen das Hinweisschild für die Fahrradzone ausgetauscht.
Die Bergmannstraße in Gelsenkirchen soll Teil der Fahrradzone in Ückendorf werden. Nach deren Einführung wird das 30-Kilometer-Schild gegen das Hinweisschild für die Fahrradzone ausgetauscht. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Fahrradaktivisten oder auch Birgit Wehrhöfer, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, mahnen weiterhin „eine direkte Nord-Süd-Radverbindung“ an. Auch die hat die Verwaltung auf der Agenda, sieht mittelfristig aber kaum Umsetzungschancen. Dafür müsse die „Verkehrswende insgesamt weiter vorangeschritten sein“, glaubt Planungs- und Umweltdezernent Heidenreich und verweist auf die bereits 2020 geschaffenen und ausgeschilderten Alternativen: eine Nord-Süd-Radroute West und eine Nord-Süd-Route Ost. Beide Verbindungen hätten einen „Qualitätsvorteil“ und seien im Vergleich zur Fahrt über die Kurt-Schumacher-Straße nur unwesentlich länger.

„Radfahrer brauchen gerade Wege und Verbindungen“

Hinweisschilder führen seit Mitte 2020 zu den beiden Radrouten durch Gelsenkirchen, die Buer mit dem Stadtsüden verbinden.
Hinweisschilder führen seit Mitte 2020 zu den beiden Radrouten durch Gelsenkirchen, die Buer mit dem Stadtsüden verbinden. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Für ADFC-Vorstand Krauß zählen die Argumente kaum. „Als Radfahrer will ich nicht über Riesenhuckel fahren. Ich brauche gerade Wege und Verbindungen.“ Daran macht er auch seine Hauptkritik an der Situation in Gelsenkirchen fest: „Freizeitroutenhaben wir gute und viele. Aber hier gibt es definitiv kein nachvollziehbares Netz von sinnvollen, guten Radwegen für den täglichen Verkehr. Wenn ich in die Innenstadt will, ist irgendwo immer Schluss mit lustig. Da bleibe ich als Radfahrer ein Exot.“

Infrastruktur für Radler

Servicepunkte: An allen Tankstellen und weiteren Orten in Gelsenkirchens wurden insgesamt 50 Servicestationen für kleinere Reparaturen oder Reifenluft aufgestellt.

Leihräder: Die Flotte der Metropolrad Ruhr Räder wurde auf 100 Stück aufgestockt.

Abstellanlagen: Bikeports gibt es neun in Gelsenkirchen. Ein zusätzlicher Standort im Grünlabor Hugo wurde kurzfristig errichtet. Aufgrund der Lage von Versorgungsleitungen musste allerdings der Standort im Bezirk West neugeplant werden. Eine Aufstellung ist für 2023 geplant.

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